Der Zusammenbruch einer Grossbank ohne Schuldige

Credit Suisse am Paradeplatz in Zürich
Der Hauptsitz der Credit Suisse am Zürcher Paradeplatz 8. (Bild: muula.ch)

Die Grossbank Credit Suisse ist in eine Krise geraten und untergegangen. Die Rekonstruktion des Dramas zeigt die wahren Verantwortlichkeiten.

Der Blick in den Duden zum Schlagwort «Verantwortung» bringt eine interessante Definition zum Vorschein.

Es sei die Verpflichtung, dass alles einen möglichst guten Verlauf nimmt, das jeweils Notwendige und Richtige getan wird und möglichst kein Schaden entsteht, lautet die Erklärung.

24 Personen in der Pflicht

Bei einer Aktiengesellschaft ist die Verantwortung klar geregelt.

Das Topmanagement aus Geschäftsleitung und Verwaltungsrat sind für das Wohl einer Firma da.

Bei der Credit Suisse (CS), die in eine Existenzkrise geraten ist, bestand laut jüngstem Geschäftsbericht die Geschäftsleitung (GL) aus 12 Mitgliedern und im Verwaltungsrat (VR) sassen auch 12 Personen.

Finanzkontrolle klar geregelt

Der Verwaltungsrat ist das oberste Aufsichts- und Gestaltungsorgan einer Aktiengesellschaft, heisst es im Gesetz.

Gemäss Obligationenrecht (OR) führt der Verwaltungsrat die Geschäfte selber oder, was die Regel ist, überträgt er die Geschäftsführung an Dritte.

Das Gremium hat jedoch sieben unübertragbare und unentziehbare Aufgaben, worunter etwa die Ausgestaltung des Rechnungswesens, die Finanzkontrolle sowie die Finanzplanung fallen.

Haftung im Aufsichtsgremium

Somit ist klar, dass die Verantwortung für das CS-Desaster beim Verwaltungsrat liegt.

Es verwundert daher nicht, dass sich fünf Mitglieder des Gremiums erst an der Generalversammlung (GV) am Dienstag dieser Woche nicht mehr zur Wiederwahl stellten. Es wird der Bettel einfach hingeworfen.

Gemäss Artikel 754 OR muss der VR aber für verschuldete Pflichtwidrigkeiten einstehen, die zu einer Schädigung von Gesellschaft, Aktionären oder Gläubigern geführt haben.

Die Haftung ist solidarisch, jedes Mitglied kann für den vollen Schaden belangt werden, lauten die gesetzlichen Regeln.

UBS-Vergangenheit allgegenwärtig

Im VR der CS sitzen Personen, deren berufliche Vergangenheit zum Konkurrenten UBS führen.

Somit lag wahrscheinlich die Notlösung, ein Verkauf der Katastrophenbank an die UBS, wahrscheinlich auf der Hand.

Neben Verwaltungsratspräsident Axel Lehmann, der von 2009 bis 2021 bei der UBS gearbeitet hatte, verweisen nämlich auch die Biographien von Mirko Bianchi und Shan Li auf die grösste Schweizer Bank.

Tolle Zufälle

In der GL, also dem Gremium, was vom VR die Aufgaben zur Führung der Gesellschaft delegiert bekommt, sitzen der CEO Ulrich Körner, der von 2009 bis 2020, und General Council, der von 2008 bis 2022 bei der UBS tätig waren.

Auch die Chief Technology & Operations Officer Joanne Hannaford hat eine UBS-Vergangenheit.

Doch auch frühere Mitglieder der GL sowie des VR sind wahrscheinlich in der Verantwortung. Der Blick fällt regelmässig auf den Juristen und einstigen CEO von ProSiebenSat.1 Media Urs Rohner.

Verbindung zu Roche

Aber auch Rohners Nachfolger ab Dezember 2020, der Portugiese António Horta-Osório, der Covid-Regeln gebrochen hatte, steht im Rampenlicht. Danach kam Lehmann.

Eine besondere Rolle spielte aber auch der zurückgetretene, aber seit 2017 als Vize-Chair und Lead Independent Director amtierende Severin Schwan, der seit 2014 im VR der CS sass, aber gleichzeitig auch noch den Pharmakonzern Roche als CEO durch die Coronavirus-Pandemie führen musste.

Wie viel Aufmerksamkeit kann ein vielbeschäftigter Konzernchef noch einer Krisenbank widmen?

Ein Skandal zum anderen

Dann kommt der Blick auf die Konzernführung der CS. Bekanntermassen führte jahrelang Brady Dougan das Geldhaus.

Er baute das Investmentbanking aus, welches der CS hohe Risiken bescherte. Danach kam Tidjane Thiam, ein Versicherungsmanager, zu der Bank. Auf ihn folgte der langjährige Schweiz-Chef der CS, Thomas Gottstein, als kurzzeitiger Konzernchef, der von Körner abgelöst wurde.

All die abgelösten Manager gaben sich aus unterschiedlichen Gründen die Klinken in die Hand. Die Probleme reichten von exorbitanten Salären, über Milliarden-Verluste um Greensill und Archegos bis hin zu Skandalen, wie der Beschattungsaffäre von Topmanagern.

Unabhängige Aufsicht?

Banken sind keine normalen Firmen, weil sie zum Schutz der Kundschaft von staatlichen Stellen beaufsichtigt werden.

Bei der CS schaut die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht Finma genau hin, also sollte man zumindest meinen.

Doch die Komplexität einer weltweit agierenden Grossbank scheint die Möglichkeiten einer kleinen Berner Behörde zu übersteigen. Daher ist bereits vielerorts von Aufsichtsversagen die Rede.

Regelmässige Enforcement-Verfahren zeigten, dass die Bankführung nicht in der Lage gewesen war, die Geschäftsrisiken adäquat zu erkennen, geschweige denn zu managen.

Regulator direkt von CS

Ein Geldwäscherei-Skandal um einen bulgarischen Drogenhändlerring landete sogar vor dem Schweizer Bundesstrafgericht.

Es sollte aber auch nicht unerwähnt bleiben, dass sowohl Finma-Präsidentin Marlene Amstad, als auch Finma-Direktor Urban Angehrn jeweils CS-Vergangenheiten haben.

Die Präsidentin des Schweizer Regulators kommt sogar aus dem quantitativen Kreditrisiko-Management der Credit Suisse. Unglaublich, oder?

Bussen von den USA

Eine wichtige Rolle in dem Drama um die CS spielen aber auch die Amerikaner.

Die Grossbank hatte sich zunächst im US-Steuerstreit schuldig bekannt, US-Bürgern bei der Steuerhinterziehung geholfen zu haben. Das Geldhaus akzeptierte eine Milliardenbusse.

Kurz danach kam in den USA eine weitere Milliarden-Geldstrafe auf die CS zu, weil sie mit Hypothekenpapieren geschlampt hatte.

Von weiteren, kleineren US-Bussen ganz zu schweigen, etwa wegen eines Bestechungsskandals in Mosambik oder wegen Textnachrichten von Mitarbeitenden über Messenger-Diensten, die nicht korrekt archiviert worden waren.

Merkwürdige Anfrage

Die offizielle Sprachregelung zur CS lautet, dass auf die Schweiz diesbezüglich kein Druck aus den USA ausgeübt worden sein soll.

Mit der sich verschärfenden Liquiditätskrise bei der Grossbank fragten die Amerikaner aber ständig nach, ob die Schweiz nun bald eine Lösung für die Krisenbank habe. Vielleicht wollten die USA auch von ihren eigenen Problemen mit der Silcon Valley Bank & Co. ablenken.

Letztlich brachten sie nämlich die komplette Vertrauenskrise bei der CS ins Rollen, weil sie am Vorabend der Veröffentlichung des 2022er Geschäftsberichtes nach Belanglosem in alten Cash-Flow-Statements erkundigten, aber die CS ihre Publikation des Jahresabschlusses verschob.

Damit war ein weiterer Vertrauensverlust manifestiert. Die Hintergründe der US-Anfrage blieben bisher ungeklärt.

Fehlendes Machtwort

Verantwortung für den Untergang der CS scheint aber auch bei der Schweizerischen Nationalbank SNB zu liegen.

Sie hat viel zu spät auf die Notsituation bei dem grossen Schweizer Geldhaus reagiert.

Viel früher hätte die Zentralbank mit einem Satz, «whatever it takes» reagieren und die Kundengemüter beruhigen müssen.

Dass es keine rechtlichen Vorkehrungen gab, der CS ausreichende Liquidität, ohne die Hinterlegung von Sicherheiten zur Verfügung stellen zu können, ist ein weiteres Element des ganzen Dramas.

Ungereimtheiten im Ablauf

Es brauchte dann ad-hoc Notrecht, um kurzfristig einigermassen rechtskonform handeln zu können. Der zeitliche Ablauf wirft jedoch ebenfalls Fragen auf, wie auch muula.ch mehrfach berichtete.

Die SNB nutzte nicht einmal die Chance auf Klarstellung, als vom neuen CS-Grossaktionär Saudi National Bank, auch SNB abgekürzt, die Meldung kam, dass sie kein weiteres Kapital in das strauchelnde Schweizer Kreditinstitut einschiessen würden, und mancherorts geglaubt wurde, die Schweizerische Notenbank mit der gleichlautenden Abkürzung hätte dies gesagt.

Shortselling als Druckverstärker

Und da landet man schliesslich bei dem letzten im Bunde und das sind die Medien.

Sie sind nur noch auf Schlagzeilen aus, weil jeder Klick im Internetzeitalter zählt. Angelsächsische Medien verbreiten sogar gerne Gerüchte, die Shortsellern in die Hände spielen und ein am Boden liegendes Kreditinstitut sogar noch weiter schwächen. Das war auch bei der CS so.

Während der jüngsten Finanzkrise hatten Behörden aber das Shortselling schon mal komplett verboten – warum diesmal nicht, um der Spekulation etwas Einhalt zu bieten?

Ehrliche Medienarbeit?

Während den letzten Stunden der unabhängigen CS waren britische und amerikanische Zeitungen um die «Financial Times» beziehungsweise um das «Wall Street Journal» sogar über jeden Schritt der Transaktionen genauestens informiert, während Schweizer Medien nur von ihnen abschreiben konnten.

Medienhäuser müssen Informationen verifizieren und falls sie den Eindruck haben, von einer Seite zu stark für deren Zwecke eingesetzt zu werden, sogar die Notbremse bei der Publikation ziehen.

Beim CS-Untergang darf man Zweifel anbringen, dass dies mit der notwendigen Sorgfalt erfolgt ist.

Schadenabwehr als Ziel

Verantwortung heisst laut Duden, die Verpflichtung übernehmen, damit etwas einen guten Verlauf nimmt.

Doch wie sich zeigt, ist bei dem CS-Desaster niemand für irgendetwas verantwortlich, denn sonst hätte die Grossbank definitionsgemäss auch keinen Schaden erlitten.

09.04.2023/kut.

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