Wie Wirtschaftsmedien ökonomischen Unsinn verbreiten

Buchhaltung unter der Lupe
Gelder können aus den Büchern von Firmen nicht einfach verschwinden. (Bild: Tumisu / pixabay)

Der Überfall Russlands auf die Ukraine hat Firmenwerte mit einem Schlag entwertet. Der Fall von Holcim zeigt, was konkret passiert, und dass Medien durchaus Blödsinn verbreiten.

«Das russische Geschäft wurde seit März 2022 nicht mehr in den Büchern von Holcim geführt», vermeldeten Schweizer Medien am Mittwochmorgen zum Verkauf der Russland-Aktivitäten des Baustoffherstellers Holcim und lassen aufhorchen.

Wo, um Himmels willen, sollen die Gelder von einem auf den anderen Tag aber sein?

Geld nicht verschwunden

muula.ch hat sich auf die Suche gemacht und ging der Sache auf den Grund. Schliesslich heisst ein altes Buchhalterprinzip «Keine Buchung ohne Beleg». Selbst mit dem Entscheid des Konzernmanagements, einen Markt zu verlassen, können die Gelder ja nicht sofort aus den Büchern verschwinden.

Zunächst ist die Grundlage der Medienmeldung, dass sich der Baustoffhersteller Holcim aus dem russischen Markt zurückzieht und die Aktivitäten das Lokalmanagement übernimmt. So hiess es am Mittwoch in einem Communiqué.

Entkonsolidierung als Grund

Weiter wird darin aber ausgeführt, dass das Geschäft in Russland mit dem Entscheid, den Markt zu verlassen, seit März 2022 «entkonsolidiert» worden sei. Ahhh, denken nunmehr ökonomisch versierte Leser.

Das russische Geschäft wird also noch in den Büchern von Holcim geführt, aber eben nicht mehr vollkonsolidiert.

Das ist ein grosser Unterschied.

Ausklammern bei Kennzahlen

Weitere Angaben finden Interessierte zu dem Russland-Geschäft im Halbjahresabschluss des Zementkonzerns. Dort heisst es, wie in der aktuellen Medienmitteilung, dass die Aktivitäten in Russland im Jahr 2021 weniger als ein Prozent des konsolidierten Konzernumsatzes ausmachten.

Ab 1. März 2022 sei Russland allerdings bei wichtigen Kennzahlen, wie Umsatz, wiederkehrender Betriebsgewinn auf Stufe Ebit und freier Cash Flow, ausgeklammert.

Die Angaben verschwinden also nicht aus den Holcim-Büchern, sondern werden fein-säuberlich herausgerechnet.

Der Rubel roll weiter

Der operative Gewinn, den das Tagesgeschäft in Russland seit 1. März 2022 abwirft, wird aber unter der Position «Gewinne aus Aktivitäten, die eingestellt werden sollen und anderen nicht-operativen Aktivitäten» ausgewiesen.

Bargeldbestände in Russland führe Holcim obendrein per 30. Juni 2022 als «restricted cash» in den kurzfristigen Finanzforderungen auf, hiess es.

Selbst den verwendeten Wechselkurs zum russischen Rubel gibt das Unternehmen bekannt.

Hoher Abschreiber

Gleichzeitig sei mit der Analyse der Gesamtsituation von Holcim eine Wertminderung von 88 Millionen Franken bezüglich Immobilien, Fabriken sowie Ausrüstung im Segment Europa vorgenommen worden.

Das heisst, von einem Schlag auf den anderen, waren die Vermögensgegenstände von Holcim in Russland praktisch nichts mehr wert gewesen. Die Geschäfte verschwanden aber nicht sofort spurlos im Boden.

Geld kommt wieder rein

Was passiert nun mit dem Verkauf der Russland-Aktivitäten an das lokale Management? Holcim wird ab dem Verkaufsübertrag die noch in den Büchern vorhandenen Positionen ausbuchen.

Allerdings kommt der Erlös, den Holcim für den Verkauf erhält, aber im Detail nicht bekanntgeben will, noch in die Holcim-Jahresrechnung.

Transparenz nach aussen

Da der grösste Zementhersteller der Welt ein börsenkotiertes Unternehmen ist, das seine Aktien künftig ausschliesslich in der Schweiz handeln lässt, wie auch muula.ch berichtete, wird er diese Russland-Einnahmen aber wahrscheinlich irgendwann in den Jahresrechnungen doch noch zumindest erwähnen.

Dies tun Konzerne oftmals, damit ihnen niemand Intransparenz, wie etwa bei sensiblen Russland-Aktivitäten, vorwerfen kann.

Wesentlichkeit von Bedeutung

Diese Details könnten je nach Grössenordnung aber im Sammeltopf der Zahlen zu Fusionen, Übernahmen und Verkäufen sowie beim Cash Flow auch einfach untergehen, weil sie zusammengefasst werden.

Mit Sicherheit verschwinden solche Angaben aber nicht einfach aus den Büchern, wie von Wirtschaftsmedien vermeldet.

14.12.2022/kut.

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