Lehren für die Schweiz aus Russland-Thriller

Der Kreml in Moskau
Der Kreml hat einen Geheimangriff auf Deutschland geführt. (Bild: Lachmann-Anke / pixabay)

Die Kriegsführung hat sich vom Schlachtfeld auf andere Gebiete verlagert. Aus einem Geheimangriff Russlands kann die Schweiz viele Lehren ziehen.

Um ein Haar wäre Deutschland in eine Katastrophe geraten. Dies belegen neueste Recherchen der deutschen Wirtschaftszeitung «Handelsblatt».

Zwei Helden verrieten Pläne

Demnach wollte Russland die vom Kreml kontrollierte Tochtergesellschaft Gazprom Germany, also die deutsche Tochtergesellschaft des russischen Erdgaslieferanten Gazprom, in die Insolvenz schicken und damit flächendeckende Stromausfälle in Deutschland verursachen.

Zwei Whistleblower aus Russland, die mittlerweile deutsche Pässe haben, meldeten sich kurz nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine bei der deutschen Regierung und vereitelten den Plan des Kremls, der zu Chaos führen sollte.

Grösstmöglichen Schaden anrichten

Der Angriff auf die Energieinfrastruktur Deutschlands war von langer Hand aus Moskau geplant. Im Berliner Luxushotel Ritz-Carlton am Potsdamer Platz sollte die Geschäftsleitung von Gazprom Germania fünf Männer treffen, die angeblich aus der Gazprom-Zentrale in St. Petersburg und von neuen Eigentümern von Gazprom Germania kämen.

Dort wurde das russische Management von Gazprom in Deutschland von der Information überrascht, dass die Firma nicht mehr zum Gazprom-Konzern, sondern zu der Firma JSC Palmary gehöre und übergaben den verdutzten Managern den Liquiditätsbeschluss. Gazprom Germania soll dichtgemacht werden und damit hunderte Stadtwerke in Deutschland von der Versorgung vom russischen Gas abzuklemmen.

Die neuen Eigentümer hätten damit «grösstmöglichen wirtschaftlichen Schaden» anrichten wollen, hiess es vom Treffen im Frühjahr 2022.

Clevere Vorgehensweise des Kremls

Die Russen wollten offenbar erreichen, dass die Gasversorgung in Deutschland zusammenbricht und die Menschen auf die Strasse gegangen wären. Die zwei russischen Männer, welche den Plan des russischen Präsidenten Wladimir Putin vereitelten, leben nun zwar in Lebensgefahr. Allerdings retteten sie ein ganzes Land vor dem Chaos.

Wie clever der Kreml dabei vorgegangen ist, zeigt die Vorgehensweise, wie sie geschickt die Energieinfrastruktur jahrelang unterwanderten und sich als verlässlicher Energielieferant positionierten. Für den Deal mit dem Eignerwechsel bei Gazprom Germania hatten sie sogar einen Strohmann vorbereitet, der von seinem «Glück» gar nichts wusste.

Ahnungsloser Strohmann

Dmitrij Zepljaew tritt nämlich normalerweise in der Moskauer Klubszene unter dem Namen «DJ Five» oder «Dmitry Five» auf und trägt bisweilen eine rote Mütze mit der Aufschrift «Switzerland». Normalerweise verdient er aber sein Geld im Autohandel.

Seine Arme sind stark tätowiert und plötzlich lag in seinen Händen die Energieversorgung hunderttausender Haushalte und hunderter Industriefirmen in Deutschland.

Am 25. März 2022 hatte der Gazprom-Konzern das Eigentum seiner deutschen Tochtergesellschaft Gazprom Germania an die Gazprom Export Business Services LLC (GPEBS) übertragen.

In einem zweiten Schritt reichte diese GPEBS wenige Tage später 0,1 Prozent der Anteile, aber 100 Prozent der Stimmrechte an die Firma JSC Palmary weiter, deren Chef der russische DJ Zepljaew ist.

Merkwürdiges Vorgehen

Der Nachtschwärmer kontrollierte auf einen Schlag, zumindest auf dem Papier, eine Firma mit über 1500 Mitarbeitern, die pro Jahr einen Umsatz in zweistelliger Milliardenhöhe erzielt und einen Gewinn von über eine Milliarde Euro macht.

Ziel dieser Aktion war es laut dem «Handelsblatt», die wahren Eigentümer hinter Gazprom Germania zu verschleiern. Die Führung der Deutschlandtochter von Gazprom war von alldem Vorgehen nicht im Bilde.

Die Deutschen schenkten den Whistleblowern aus dem Gazprom-Imperium aber Glauben und versuchten in einer Nacht-und-Nebel-Aktion die Rettung der Energieversorgung des Landes.

In Teilen berichtete muula.ch über eine merkwürdige Massnahme zur Verstaatlichung, die damals Stirnrunzeln ausgelöst hatte, aber nun im Zusammenhang mit diesem Angriff Russlands auf die deutsche Energieversorgung erst Sinn ergibt.

Herunterfahren von Gaskraftwerken

Die deutsche Regierung zog sofort Unternehmensberater von Boston Consulting, Wirtschaftsprüfer von PwC, Anwälte der Kanzlei CMS in die komplexe Situation hinzu, um die Gasversorgung des Landes sicherzustellen.

Das Herunterfahren von Gaskraftwerken, mit denen Strom und Wärme produziert wird, konnte dabei nur durch einen Fehler der Russen gerettet werden. 

Als Investor von ausserhalb der EU hätten die Russen den Eigentümerwechsel der Bundesregierung melden müssen, da Gazprom Germania zur kritischen Infrastruktur des Landes gehört.

Damit war der Eigentümerwechsel schwebend unwirksam und das deutsche Wirtschaftsministerium konnte unter Berufung auf das Aussenwirtschaftsgesetz der Übernahme der Gazprom-Deutschland-Tochter rechtlich einen Riegel vorschieben.

Die Strippenzieher im Hintergrund wollten durch die Sabotageaktion zwar den russischen Gazprom-Konzern aus der Schusslinie bringen, aber an die Meldepflicht nach deutschem Recht hatten die Verantwortlichen offenbar nicht gedacht.

Putin tobte vor Wut

Eine technische Insolvenz kam aber für die deutsche Regierung nicht infrage, weil das Vertrauen in die Gasversorgung bei Banken, Kunden und Lieferanten gegeben seien sollte.

Auch wollte Deutschland möglichen Schadenersatzforderungen Russlands entgehen. Aufgrund von Sanktionen wollten ohnehin kaum noch Banken die Transaktionen nach Russland abwickeln, insofern brauchte es Vertrauen.

Dann kam Deutschland die rettende Idee: Sie stellten Gazprom Germania unter treuhänderische Verwaltung, wobei der Eigentümer gleich blieb, aber er keine Möglichkeit mehr hat, über das Unternehmen zu verfügen.

Fortan war nicht mehr ein DJ in Moskau für die Gaslieferungen zuständig, sondern der Chef der deutschen Bundesnetzagentur.

Sofort meldete sich Putin zu Wort und sprach von «brachialen Massnahmen, einschliesslich des Verwaltungsdrucks auf unser Unternehmen Gazprom in einigen europäischen Ländern».

Deutsche Leitung installiert

Anschliessend verbot der russische Präsident per Dekret jegliche Geschäfte von russischer Seite mit Gazprom Germania, und es fehlten auf einen Schlag rund 20 Prozent der deutschen Gasversorgung.

Gazprom Germania wurde dann unter deutscher Leitung in «Securing Energy for Europe Sefe» umbenannt und die Finanzlage des Unternehmens verschlechterte sich rasant, weil es Gas zu horrenden Preisen einkaufen musste, um die Lieferverpflichtungen zu erfüllen.

Deutschland musste der Firma auch Darlehen geben und das Eigenkapital schrumpfte gigantisch. Der Wert des Unternehmens war damit negativ, und es konnte am 14. November 2022 verstaatlicht werden, ohne Schadenersatz an Russland wegen der Enteignung fürchten zu müssen.

China als Herausforderung

Die Moral von der Geschichte ist, dass Russland kein verlässlicher Energielieferant darstellt und alle Länder aufpassen müssen. Deutschland geht nun systematisch etwa auch an Wirtschaftsbeziehungen zu China heran, um allfällige Abhängigkeiten zu lösen.

Der chinesische Technologieanbieter Huawei ist der Hauptausstatter deutscher Mobilfunknetze. In Deutschland sind rund 60 Prozent aller Komponenten aus China; in der Region um die Hauptstadt Berlin sind es 100 Prozent.

Die Abhängigkeiten Deutschlands zu dem Reich der Mitte sind noch viel grösser als jene zu Russland, hiess es von Experten.

Strategie prüfen

Die Schweiz muss daraus lernen, dass Schlüsseltechnologien und kritische Infrastrukturen stets im Fokus von ausländischen Mächten sind. Dabei geht es nicht nur um Cyberangriffe, wie der Bund zuletzt immer wieder mitteilte.

Die Schweiz sollte daher auch strategische Beteiligungen, wie etwa an der Trans Adriatic Pipeline TAP, nicht einfach leichtfertig verkaufen, wie muula.ch kritisch berichtete.

Rüge der Finanzkontrolle

Wenn aber etwa Swisscom ausfällt, geht in diesem Land kaum mehr etwas – auch der Zahlungsverkehr oder Geldautomaten dürften nicht mehr funktionieren.

Selbst in Friedenszeiten muss sich das Land auf wirtschaftliche Verwundbarkeiten vorbereiten.

Wie schlecht es laufen kann, brachte die Eidgenössische Finanzkontrolle EFK unlängst bei der Rettungsaktion zur Fluggesellschaft Swiss auf den Punkt, wie muula.ch berichtete.

UBS als Grossrisiko

Alles war chaotisch und nichts war gut vorbereitet. Swiss hatte keine Ziele und die Milliardenkredite der Schweiz kontrollierte die Fluggesellschaft quasi selbst. Für kommende Notsituationen müsste die Schweiz viel besser vorbereitet sein.

Ob dies geschieht, daran darf das Volk aber zweifeln.

Und wenn man auf die jüngsten Ereignisse um den Untergang der Schweizer Krisenbank Credit Suisse (CS) blickt, so wird rasch klar, dass die USA und die EU die Schweiz eigentlich in der Hand haben, wenn sie die Monsterbank UBS einfach etwas ins Wanken bringen.

02.12.2023/kut.

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