Ex-Raiffeisenchef Pierin Vincenz hat vor dem Zürcher Obergericht einen Sieg errungen. Am Ziel ist der einstige Topmanager jedoch noch nicht.
Das Zürcher Obergericht hat das Urteil und das Nachtragsurteil gegen den ehemaligen Raiffeisen-Chef Pierin Vincenz und zahlreiche weitere Beschuldigte aufgehoben.
Schwerwiegende Fehler
Nach Auffassung des Obergerichts seien die in einem Strafverfahren zentralen Ansprüche auf rechtliches Gehör und auf eine den gesetzlichen Vorgaben entsprechende Anklageschrift verletzt worden, teilte das Gericht am heutigen Dienstag überraschend mit.
Damit hoben die Richter die erstinstanzlichen Entscheide des Zürcher Bezirksgericht um Spesenexzesse und Ausflüge ins Rotlichtmilieu wegen schwerwiegender Verfahrensfehler auf und verwiesen die Sache an die Staatsanwaltschaft zurück.
Für Vincenz & Co. ist die Sache damit aber noch nicht erledigt, denn die Vermögenswerte bleiben sichergestellt.
Obergericht stimmt zu
Die Mängel vom erstinstanzlichen Gericht könnten von der oberen Instanz nicht selbst behoben werden, weshalb für das Obergericht eine Rückweisung aufgrund der gesetzlichen Vorgaben und der höchstrichterlichen Rechtsprechung unabdingbar sei, hiess es weiter.
Der Anspruch auf ein faires Gerichtsverfahren gelte für alle Beschuldigten, unabhängig von deren Bekanntheit oder der Grösse und Komplexität des Falles.
Das Obergericht hiess die prozessualen Rügen der Beschuldigten betreffend Verletzung des rechtlichen Gehörs in wesentlichen Punkten gut.
Sprengen des Rahmens
Eine beschuldigte Person muss aus der Anklageschrift erkennen können, wessen Verhalten sie angeklagt ist. Im vorliegenden Verfahren wurde dieser Grundsatz durch die Staatsanwaltschaft verletzt. In der teilweise ausschweifenden Anklageschrift werden umfangreiche Vorbringen zur Begründung der Anklage angeführt, welche den gesetzlichen Rahmen, der für eine Anklageschrift vorgesehen ist, massgeblich sprengen.
Durch diesen Umstand wurde den Beschuldigten im erstinstanzlichen Verfahren erheblich erschwert, sich wirksam zu verteidigen.
Sprache wichtig
Der Anspruch auf rechtliches Gehör beinhaltet auch, dass einem Beschuldigten, der die Verfahrenssprache nicht ausreichend beherrscht, die wichtigsten Verfahrenshandlungen übersetzt werden, so insbesondere die Anklageschrift.
Ein französischsprachiger Beschuldigter verlangte sowohl in der Strafuntersuchung als auch im vorinstanzlichen Gerichtsverfahren mehrfach vergeblich die Übersetzung der Anklageschrift, welche dem erstinstanzlichen Urteil zugrunde lag.
Es wurden ihm einzig einige Auszüge aus Entwürfen der Anklageschrift übersetzt. Dies genüge jedoch nicht, so die Richter.
Zürich auf Los
Das Obergericht hebt die Urteile des Bezirksgerichts Zürich auf und weist das Strafverfahren an die Staatsanwaltschaft III des Kantons Zürich zurück. Die Staatsanwaltschaft wird die Verfahrensmängel zu beheben und anschliessend beim Bezirksgericht Zürich eine neue Anklage zu erheben haben.
Mit anderen Worten geht es wieder von vorne los.
Und am Abend gab dann die Staatsanwaltschaft Zürich bekannt, beim Bundesgericht sofort Beschwerde gegen die Aufhebung der Urteile einreichen zu wollen. Es bleibt in jedem Fall spannend.
20.02.2024/kut./Meldung am Ende mit Reaktion der Staatsanwaltschaft ergänzt