Der Rückversicherer Swiss Re hat die Traktanden für anstehende Generalversammlung publiziert. Der Inhalt zeigt, wie absurd die Regulierung der Finanzmarktaufsicht Finma ist.
Der zweitgrösste Rückversicherer der Welt, die Swiss Re, hat den Geschäftsbericht für ein nicht berauschendes Geschäftsjahr sowie die Traktanden für die anstehende Generalversammlung (GV) publiziert.
Doch schon die Medienmitteilung dazu irritiert, weil der Titel «Dividende von 6.40 USD je Aktie beantragt, gestützt auf sehr starke Kapitalposition» lautet.
Munich Re viel besser
Wie kann der eher mittelmässige Rückversicherer, der im vergangenen Jahr einen Gewinneinbruch um 67 Prozent auf 472 Millionen Dollar erlitten und rund 50 Prozent seines Eigenkapitals eingebüsst hat, eine so hohe Dividende ausschütten?
Zum Vergleich: Marktführer Munich Re hat den Gewinn um 16,6 Prozent auf 3,4 Milliarden Euro gesteigert, will mit 11,60 Euro je Aktie fast doppelt so viel ausschütten und das Eigenkapital ist «bloss» um rund 30 Prozent eingebrochen.
Finma schaut auf SST
Swiss Re würde mit dem Dividendenvorschlag rund 1,8 Milliarden Dollar auszahlen und damit das schon halbierte Eigenkapital noch weiter schwächen.
Dennoch spricht der Rückversicherer von einer «sehr starken Kapitalposition». Ist das nicht komisch?
Der Rückversicherer beruft sich bei der Aussage auf die SST-Quote der Gruppe von 294 Prozent per 1. Januar 2023.
Damit ist der Swiss-Solvency-Test (SST) der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht Finma gemeint. Mit dem Schweizer Solvenztest wird die Kapitalisierung eines Versicherungsunternehmens beurteilt.
Sicht auf ein Jahr
Der SST ist laut dem Schweizer Regulator Finma ein modernes, prinzipien- und risikobasiertes Prüfinstrument, das auf einem Gesamtbilanzansatz beruht.
Dazu muss das Versicherungsunternehmen sämtliche Anlagen und Verpflichtungen marktkonsistent bewerten.
Anschliessend sind die möglichen Veränderungen dieser Bilanzpositionen über den Zeithorizont von einem Jahr zu modellieren und gestützt darauf das geforderte Kapital zu ermitteln.
Grossschäden hauen rein
Der SST trage dazu bei, finanzielle Schwierigkeiten von Versicherungsunternehmen früh zu erkennen, hiess es weiter von der Finma. Mit einem Wert von fast 300 Prozent bei Swiss Re scheint demnach alles im Lot.
Doch dabei gehen mehrere Sachen vergessen.
Erstens kann es passieren, dass der Rückversicherer völlig unerwartet einen oder mehrere Grossschäden, wie ein Erdbeben in Japan oder Kalifornien, erleidet, und extrem hohe Schäden zahlen muss, die nicht in den Modellen berücksichtigt sind.
Dabei sei nur schon an die unwahrscheinlich gewesenen Hurrikane «Katarina», «Rita» und «Wilma» gedacht oder die Betriebsunterbrechungen während der Coronavirus-Pandemie, die gigantische versicherte Schäden verursacht haben.
Die Rückstellungen für solche Schadensereignisse können durchaus viel zu niedrig sein.
Schwächen des Modells
Doch es muss, zweitens, gar nicht so weit an der Schadenfront kommen, ein Kapitalmarkt-Crash würde wohl auch schon reichen, um die Schwächen des Modells aufzuzeigen.
Dabei sei, drittens, erinnert, dass Negativeffekte durchaus später als ein Jahr auftreten können.
Schöne Finma-Welt
Bei Swiss Re ist das harte Eigenkapital weggebrochen, weil die Verwerfungen an den Kapitalmärkten sowie der Zinsanstieg die Marktwerte der Anleihen im Portfolio stark reduziert haben.
Dies ist insofern im SST-Modell nicht berücksichtigt, weil die Kapitalanlagen von der Aktiv-Seite der Swiss Re in der Höhe nach sowie im zeitlichen Anfall nach den Verbindlichkeiten auf der Passivseite der Bilanz gegenüberstehen und diese «Marktwerte» auch mit dem Zinsniveau schwanken.
Solange dies einigermassen mit der Realität übereinstimmt, ist diese Modellwelt auch kein Problem. Doch falls die Anleihen etwa verkauft und damit die niedrigen Marktwerte realisiert werden müssten, ginge die schöne Finma-Welt im SST nicht mehr auf.
Banken zeigen Schwächen
Und an dieser Stelle kommt die aktuelle Bankenkrise ins Spiel.
Bei der insolventen Silicon Valley Bank SVB ist nämlich genau das passiert, was nicht passieren sollte.
Aufgrund des Zinsanstieges sanken die Anleihewerte in den Büchern und das Geldhaus musste die niedrigen Geldbeträge letztlich realisieren, weil sie Geld brauchte, um die Verpflichtungen zahlen zu können.
In einem solchen Fall zeigt aber das Eigenkapital genau an, wie hoch die tatsächlichen Mittel der Bank zum entsprechenden Stichtag sind.
Abenteuerlicher Kurs
Im Modell können die Annahmen durchaus plausibel klingen, dass nicht so viele Menschen gleichzeitig ihr Geld abheben wollen oder bei einem Rückversicherer nicht gleichzeitig Grossschäden gehäuft anfallen. Gesichert ist dies aber keineswegs.
Der Rückversicherer Swiss Re fährt also insofern einen ziemlich abenteuerlichen Kurs. Das harte Eigenkapital halbierte sich auf 12 Milliarden Dollar und wird durch die Dividendenausschüttung auf rund 10 Milliarden Franken gedrückt.
Per 31. Dezember 2022 sank sogar das ökonomische Eigenkapital (ENW) laut dem Rückversicherer wegen Anpassungen für Inflation, den Rückgängen der Aktienmärkte und wegen hoher Naturkatastrophenschäden um rund 12 Prozent auf 31,1 Milliarden Dollar.
Ermotti muss lernen
Verwaltungsratspräsident der Swiss Re, der Starbanker der UBS Sergio Ermotti, der sich gegenüber muula.ch schon positiv über die Zukunft der Rückversicherungen geäussert hat, verweist auch auf die sehr gute Kapitalausstattung des Rückversicherers.
Vielleicht studiert er am besten mal die Wirkungsweise der Finma-Modelle und, wie fatal die Annahmen sein können.
Bei Banken springt bei Schieflagen nicht selten der Staat sein, wie die Grossbanken UBS und Credit Suisse vormachen.
Bei Rückversicherern passiert das nicht, weil die Kunden oft Profis sind und auch nicht so viele Arbeitsplätze im Konkursfall wegfielen.
Swiss Re Limited limitiert
Swiss Re muss aber neben alldem eigentlich auf noch einen Faktor achten, der in der Gruppenbetrachtung des SST allenfalls am Rande zur Geltung kommt.
Die Rede ist von den Entwicklungen der dividendenausschüttenden Swiss Re AG, der Swiss Re Limited, nach Obligationenrecht OR. Bei der Gesellschaft ist das Eigenkapital aber tatsächlich nur um 2 Prozent auf rund 21 Milliarden Franken zurückgegangen.
Höhere Ausschüttung als Gewinn
Dies lag daran, dass die Gesamtausschüttung im Jahr 2022 bei 1,7 Milliarden Franken lag – es aber immerhin in der Swiss Re AG einen Gewinnsprung um 50 Prozent auf rund 1,3 Milliarden Franken gab.
Demnach hat der Rückversicherer also schon einmal mehr ausgeschüttet, als er tatsächlich in dem zugehörigen Geschäftsjahr verdient hat. Auf Dauer dürfte so etwas kaum möglich sein.
Fragwürdige Regulierung
Die Swiss-Re-Gruppe dürfte bald bloss noch rund 10 Milliarden Dollar an hartem Eigenkapital haben. Dieses steht derzeit auch für allfällige Problemsituationen bloss zur Verfügung.
Die Finma rechnet aber «ökonomisch» mit deutlich mehr an Kapital. Daher kann die Swiss Re auch so viel Geld als Dividenden ausschütten.
Falls etwas an den Modellen der Aufsichtsbehörde schiefgeht, gibt es aber vielerorts lange Gesichter. Dann könnte der Rückversicherer Swiss Re plötzlich neues Kapital gebrauchen.
Wiederholung der Geschichte?
Dies alles erinnert nämlich an die Jahre 2008 und 2009. Damals sprach das Swiss-Re-Management im Halbjahresbericht 2008 von einer «sehr guten Kapitalausstattung» und von «beachtlichem Überschusskapital».
Kurze Zeit später musste der Starinvestor Warren Buffett bei Swiss Re aber einen Kapitaleinschuss in Milliardenhöhe vornehmen, weil das Eigenkapital damals mit einem Mega-Verlust auf nur noch 19 bis 20 Milliarden Franken gerutscht war.
Das war allerdings wohlgemerkt noch rund doppelt so viel wie die Eigenmittel bei Swiss Re derzeit.
Und so etwas geht alles nur, weil die tatsächlichen Entwicklungen an den Finanzmärkten bei der Regulierung allenfalls marginal und stark zeitverzögert eine Rolle spielen.
18.03.2023/kut.