SVV-Direktor Arbter: «Die logische Konsequenz ist ein Ja»

Urs Arbter, Direktor des Schweizerischen Versicherungsverbandes
Urs Arbter, Direktor des Schweizerischen Versicherungsverbandes SVV (Bild: PD)

muula.ch sprach mit Urs Arbter, dem Direktor des Schweizerischen Versicherungsverbandes SVV, über Pro und Kontra bei der BVG-Reform.

Herr Arbter, das Stimmvolk scheint bei der BVG-Abstimmung gespalten. Warum sollten die Schweizerinnen und Schweizer aber für die BVG-Reform stimmen?

Urs Arbter: Die Vorlage ist ein ausgewogenes Paket, das seit langer Zeit gesellschaftliche Veränderungen aufnimmt. Wir werden älter und unsere berufliche Situation hat sich oftmals geändert.

Die BVG-Reform nimmt genau dies auf und adressiert dies adäquat.

Was sind die grössten Bauchschmerzen bei der Reform, denn die Umfragen zeigen ja, dass das Reformpaket nicht alle Bürger so sehen, wie Sie es beschrieben haben?

Die Vorlagen in der 2. Säule sind immer anspruchsvoll. Zum Verstehen muss man sich damit tiefer auseinandersetzen.

Als einfacher Nenner gilt, dass Frauen von der BVG-Reform profitieren, und allgemein Leute, die in Teilzeit arbeiten, sowie Personen, die tiefe Löhne beziehen. Das ist ein klarer Nutzen des Reformpakets.

Was noch?

Es gibt beispielsweise noch die flachere Staffelung der Altersgutschriften, die dazu führt, dass sich die Arbeitsmarktchancen für ältere Arbeitnehmende verbessern.

Zudem gibt es die notwendige Senkung des Umwandlungssatzes, die aber für eine Übergangsgeneration kompensiert wird.

Wenn sich Bürger damit auseinandersetzen, kommen sie zu einem «Ja» bei der Abstimmung. Davon bin ich überzeugt.

Gibt es noch etwas, was Sie hervorheben möchten?

Ja, schauen Sie sich die Verbesserungen bei älteren Arbeitnehmern genauer an. Mit der flacheren Altersstaffelung bei den Beiträgen sinken die Arbeitskosten für Ältere.

Sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber zahlen also weniger Beiträge. Das erhöht die Arbeitsmarktfähigkeit älterer Arbeitnehmender und senkt ihr Risiko, arbeitslos zu werden. Dies würde beispielsweise auch die Zuwanderung reduzieren.

«Primär ist es ein politischer und gesellschaftlicher Entscheid»

Sie vertreten die Privatversicherer, die zurückhaltend in der Kommunikation zur BVG-Reform sind. Macht das die Menschen nicht misstrauisch?

Das 3-Säulen-System ist ein sehr ausgewogenes Vorsorgesystem, das ein Resultat des politischen Prozesses ist.

Das Nachführen dieses Systems und Anpassen an gesellschaftliche Entwicklungen ist somit auch eine politische Aufgabe. Die Privatassekuranz als einer der «Durchführer» steht somit nicht im Vordergrund.

Wir stehen der Politik zwar klar mit fachlichem Knowhow zur Seite und sagen auch, was wir von der Reform halten. Aber primär bleibt es ein politischer und gesellschaftlicher Entscheid.

Wo würden denn Privatversicherer am meisten bei der Reform profitieren?

Im Vordergrund der BVG-Reform steht das Ausrichten der 2. Säule an die tatsächlichen Gegebenheiten. Dies ist heute nicht mehr gegeben.

Mit dem Paket wird langfristig eine stabile Basis geschaffen. Davon sind wir überzeugt, und wir haben logischerweise ein Interesse an einer langfristig stabilen Basis der betrieblichen Altersvorsorge.

Die Ausweitung der Versichertenbasis würde aber schon zu Mehreinnahmen bei den Pensionskassen führen, oder?

In erster Linie geht es bei der Reform darum, dass Einkommen von Teilzeitkräften und Empfängern von Tieflöhnen überhaupt erst einmal zu einem Vorsorgesparen gelangen.

Dass die Anbieter mit den Änderungen beim Personenkreis und der Systematik beim Koordinationsabzug etwas mehr Kapital zum Anlegen erhalten, ist lediglich ein Nebeneffekt.

«Im Schnitt werden wir fünf Jahre älter»

Sie hatten die längere Lebenserwartung angesprochen. In den USA geht der Trend bereits zurück. Wird die Dramatik für den Reformbedarf nicht überzeichnet?

Wir erwarten in der Schweiz nicht, dass die Lebenserwartung in nächster Zeit sinkt. Man kann es zwar nicht genau prognostizieren. Aber die Trends zeigen nach wie vor eine leicht steigende Lebenserwartung.

Entscheidend ist jedoch, dass die starke Erhöhung der Lebenserwartung, die wir seit der Einführung des BVG gehabt haben, berücksichtigt wird. Wir werden im Schnitt fünf Jahre älter als damals, und dies muss das System korrekt berücksichtigen.

Es ist kaum möglich, mit einem Reformpaket alle Bürger zufriedenzustellen. Warum gelingt es diesmal nicht, eine klare Mehrheit von der BVG-Reform zu überzeugen?

Da möchte ich zwei Ebenen ansprechen.

Das eine ist der Fakt, dass das Land bei Altersvorsorgethemen grundsätzlich verschiedene Lager hat. Manche wollen lieber die erste Säule, also die AHV, stärken, andere eher die zweite Säule.

Die zweite Ebene ist die Komplexität. Wer sich nicht mit der komplexen Materie auseinandersetzen will, lehnt solche Vorlagen eher ab.

Gewerkschaften und andere linke Kreise behaupten aber sogar, die Zahlen im Abstimmbüchlein seien geschönt. Was sagen Sie dazu?

Da darf man sich nicht ablenken lassen. Gewerkschaften und Linke favorisieren grundsätzlich ein Umlagesystem. Sie äussern stets Zurückhaltung bei einem Sparsystem.

Grundsätzlich ist aber die Einzelsituation von der Gesamtsituation im BVG-Bereich zu unterscheiden. Dies müssen die Menschen, wie es SP-Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider gesagt hat, jeweils mit ihrer Pensionskasse individuell ansehen.

«Die Schweiz ist nicht reformunfähig geworden.»

Gewerkschaften picken Einzelfälle heraus, bei denen trotz höherer Einzahlungen am Ende tiefere Pensionen herauskämen. Warum hat man solche Fälle nicht auch noch verhindert?

Die Landschaft der Pensionskassen ist sehr unterschiedlich, und es ergeben sich dabei verschiedenste Konstellationen.

Hätte man alle Ziele vollumfänglich erreichen wollen, wäre die Vorlage noch teurer geworden. Aber es war ein parlamentarischer Entscheid, die Reform nicht noch komplizierter zu gestalten.

Ist die Schweiz reformunfähig geworden?

Nein, das glaube ich nicht. Wir haben ja einerseits wichtige Veränderungen, wie das Frauenrentenalter in der AHV von 64 auf 65 zu setzen, geschafft.

Andererseits hat es aber durchaus Kräfte im Land, welche Reformen erschweren.

Was passiert, wenn die Reform scheitert?

Dann wäre das primär extrem schade. Wir würden die Chance verpassen, gesellschaftliche Änderungen in der zweiten Säule nachzuführen. 

Zudem haben wir im Land viele Teilzeitarbeitskräfte sowie Tieflohnempfänger, welche die Leidtragenden wären. Diese Menschen hätten weiterhin keine verbesserte Vorsorgesituation und verlören weiterhin Arbeitgeberbeiträge beim Ansparen in der 2. Säule. 

Aber es wird neue Chancen geben: Es stehen noch die Anpassungen der ersten Säule an die geänderte Gesellschaftssituation sowie die Reform AHV 2026 an.

Erwarten Sie, dass einzelne Pensionskassen bei einem Scheitern der BVG-Reform in Schwierigkeiten geraten?

Die Situation würde gleich wie bisher bleiben.

Das heisst, bei BVG-minimalen und BVG-nahen Pensionskassen müssen weiterhin überhöhte BVG-Altersrenten zulasten der aktiven Versicherten querfinanziert werden.

«Für Pensionierte bleiben die BVG-Renten gleich»

Was stimmt Sie zuversichtlich, dass es am Ende bei der Abstimmung doch noch ein «Ja» an der Urne geben könnte?

Ich habe das Vertrauen in die Schweizer Bürgerinnen und Bürger, dass sie sich gut überlegen, wie sie abstimmen. Die rationalen Argumente sprechen jedenfalls für die BVG-Reform.

Und für ältere Personen, die schon pensioniert sind, ändert sich ohnehin nichts an ihren BVG-Renten – sie bekommen sogar obendrein noch eine 13. AHV-Rente. Die Pensionäre haben da allerdings schon auch Verantwortung für die jüngere Generation, die Altersvorsorge auf die richtige Basis zu stellen.

Daher erhoffe ich mir, dass gerade viele Pensionierte zu einem «Ja» für die BVG-Reform gelangen.

Interview: Rico Kutscher, 13.09.2024

SVV-Direktor Arbter: «Die logische Konsequenz ist ein Ja»

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