Restaurantkritiker schwärmt von Schweizer Star-Koch

Nach einem kulinarischem Erweckungserlebnis kommen viele auf den Geschmack. (Bild. M. Hamilton / unsplash)

Der Restaurantkritiker Jürgen Dollase verrät, wie Geschmacks-Kunstwerke entstehen. Dabei lobt er einen Starkoch aus der Zentralschweiz.

«Wir haben so wenig Erfahrung mit Gemüse», sagte der Star-Restaurantkritiker Deutschlands, Jürgen Dollase, gegenüber dem Magazin «Spiegel».

«Über Jahrhunderte gab es zwei Standardzubereitungen. Püriert, im Ganzen – und immer als Sättigungsbeilage», führte der 74-Jährige weiter aus.

Perspektiven bei Gemüse

Dabei könnten Köche etwa bei der Roten Bete ein Kunstwert von Mehrfachgeschmack zaubern, «wenn Sie sie garen und mit Balsamico glasieren, wie das Alain Passard in Paris schon vor Jahren gemacht hat, im Kern aber roh lassen mit diesem wunderbar erdigen, leicht stumpfen Geschmack», erklärte der Restaurantkritiker.

Die Perspektiven bei Gemüse seien riesig, hiess es weiter vom Gourmet-Experten. «Man sollte minutiöser damit arbeiten und ähnlich wie beim Fleisch auf die beste Kerntemperatur achten», erklärte Dollase.

Sprung zum Gourmet

Experimentierfreudige Köche seien wichtig, die moderne Techniken mit Schärfe, Säure und Süsse suchten. Ohnehin sollte nicht jedes Element eines Gerichts mit Salz und Pfeffer gewürzt werden, weil sich dies zu einem überwürzten Geschmacksbild hochschaukeln könnte.

Generell sei aber eine interessante Küche denkbar, die allerdings nicht lecker sei, sagte der Restaurantkritiker weiter.

«Das wäre der Sprung zum Gourmet der Zukunft», betonte er und verwies auf das Kalbsfilet des Schweizer Starkochs Stefan Wiesner, der das Fleisch in Gaze wickelt und in heisses natürliches Bitumen, also im Naturasphalt, gart.

Teer zum Kochen

Es schmecke total nach Bitumen und rieche auch so. Wiesner sei sich sicher, dass die Leute früher Teer benutzt hätten, um ihr Fleisch zu garen.

Doch nicht nur im Schweizer Ein-Sterne-Restaurant Gasthof Rössli in Escholzmatt-Marbach gibt es Essbares auf Naturasphalt zubereitet, auch in den ehemaligen Asphaltminen von La Presta, dem einstigen Prunkstück der Neuenburger Industrie auf der Nordseite des Talhangs im Val de Travers, begegnen Besucher diesem beeindruckenden Phänomen.

Im «Café des Mines» wird nämlich noch Schinken serviert, der im Asphalt gekocht wird, wie es ihn einst am Tag der Bergleute als Festmahl gegeben hatte.

Spektrum des Essbaren

Starkoch Wiesner habe aber auch andere Rezepte, etwa mit einem kompletten Walnussbaum, von der Wurzel, über die Nuss bis zum Blatt, und da sage man nicht sofort, dies sei aber lecker.

«Es geht dafür um Schmecken als eigene Tätigkeit, um einen Geschmack, der nicht direkt darauf drängt, eingeordnet zu werden», erklärte Dollase die Situation.

All dies ist laut dem Kritiker eine experimentelle Vorstufe zu einem Zustand, in dem das Spektrum des Essbaren radikal vergössert wurde.

Im Moment gebe es aber auch eine gemässigtere Bewegung in der Kulinarik, die das Unbekannte mit dem Wohlschmeckenden verbinden wolle. «Ich wusste zum Beispiel nicht, dass die Blütenböden von Sonnenblumen ganz exzellent schmecken, wie Artischocken», sagte er.

Sparen für Sterne-Restaurants

Ekel brauche dabei niemand zu empfinden. «Wenn Leute pauschal behaupten, dass Sie den Geschmack von Ziegenkäse nicht mögen – dann haben sie sich schlicht noch nicht damit der Bandbreite auseinandergesetzt, die Ziegenkäse besitzt», erklärte er diesbezüglich. 

Nachdem Dollase sein kulinarisches Erweckungserlebnis gehabt habe, hätten er und seine Frau extra gespart, um Sternerestaurants besuchen zu können.

Preisunterschiede markant

«Wenn ich gar nicht weiss, was schmeckt, weil ich immer um fast alles einen Bogen gemacht habe, muss ich erst mal davon ausgehen, dass gut schmeckt, was in den besten Restaurants serviert wird», macht er Lust auf die Gourmet-Tempel.

Wie gross die Preisunterschiede in Schweizer Michelin-Star-Restaurants sind, hat unlängst muula.ch untersucht und interessante Entdeckungen gemacht.

Gutes Essen ist bräunlich

Doch der bekannte Restaurantkritiker, der auch für die «Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung» schreibt, findet noch für zwei Dinge harte Worte. Einerseits sei das Aussehen von Essen heutzutage oftmals wichtiger als der Geschmack.

So habe das Kochen in heimischen Küchen meist mehr etwas mit der Ausstellung eines Lebensstils als mit Kochen zu tun. Hinter dem Teilen wohlkomponierter Essensbilder auf Instagram mit einem Gericht, bei dem alles mögliche Zeug rumliegt, stecke zudem selten ein gutes Rezept.

Auch in vielen Fällen greife bei optisch scheinbar perfekten Gerichten bloss der alte Mechanismus der eitlen Feinschmecker, die letztlich nur um käufliche Qualitäten diskutierten.

Gute Küche sehe nämlich oft nicht besonders gut aus. «Gute Küche ist von der Farbe her oft einfach nur bräunlich», sagte der erfahrene Restaurantkritiker gegenüber dem «Spiegel».

Einfach Gutes suchen

Und andererseits klagte Dollase, dass Restaurants fehlten, die radikal preisgünstig seien, weil sie mit simpelsten Produkten arbeiteten. Dafür brauche es aber auch eine Kundschaft, die eine bestimmte Kartoffel mit einer bestimmten Butter als Gang akzeptierten.

Alles, was derzeit als regionale, lokale Küche zum Simplen existiert, sei allerdings oft für die Galerie. «Manche Sachen da sind leider nur einfach und gar nicht gut», kritisierte der Star-Restaurantkritiker den aktuellen, auf die jeweilige Region ausgerichteten Küchentrend.

25.12.2022/kut.

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