Am Markt für Luxusuhren scheint alles in Stein gemeisselt. Doch wie Topmanager der Luxusuhrenbranche bestätigen, gerät trotz der Konstanz derzeit Einiges aus den Fugen.
Die Schweizer Uhrenindustrie setzt eigentlich stark auf Stabilität und Konsistenz. Und doch gibt es derzeit tektonische Verschiebungen im Segment von Luxusuhren.
«Es gibt eine Art Aufwachen», sagte etwa François-Henry Bennahmias, langjähriger Chef der Luxusuhrenmanufaktur Audemars Piguet, in der Dezemberausgabe des Schweizer Wirtschaftsmagazins «Bilanz».
Bis vor wenigen Jahren sei immer nur über drei, vier Brands geredet worden, hiess es. Die grossen Marken liefen zwar nach wie vor sehr gut.
Entdecken der Kleinen
Doch es rückten immer mehr Marken ins Bewusstsein der Kundschaft, erklärte der Topmanager. Dies seien teils ganz kleine Hersteller, die extrem gut liefen, sagte Bennahmias.
Die Uhrenmanufaktur Audemars Piguet plant dieses Jahr, 50.000 Stück ihrer begehrten Nobeluhren herzustellen. Doch eine Strategie der Knappheit fährt die Traditionsfirma dennoch nicht.
Dies würde bedeuten, dass sie den Output absichtlich tief halte. «Das ist nicht der Fall», betonte der Franzose. Doch eine Massenproduktion war für die Manufaktur, die vor allem mit ihrer Collection Royal Oak bekannt wurde, nie eine Option.
Produktion konstant
Dieses Jahr sei die Kapazität auf die geringe Zahl von 50’000 Stück limitiert, und er sei sich dabei nicht mal sicher, ob seine Manufaktur dies schaffe.
Der Uhrenindustrie gehe es generell sehr gut, was dazu führe, dass Lieferanten von zahlreichen Marken mit Bestellungen überhäuft würden, und es zu Verzögerungen käme.
«Obschon wir derzeit grosse Beträge investieren, um unsere Produktionskapazitäten zu erhöhen, und laufend neue Uhrmacher ausbilden, wird sich an unserer Stückzahl in den nächsten Jahren nur wenig ändern», führte Bennahmias weiter aus, der Audemars Piguet vom Nischenplayer zu einer Topumsatzmarke unter den Schweizer Luxusuhren katapultierte.
China – ja und nein
Auch beim Absatz sieht die Strategie bei kleineren Manufakturen ganz anders aus, als etwa beim Luxuskonzern Richemont, der stark auf China setzt, wie auch muula.ch berichtete.
«Was denken Sie, wie viele von den 50’000 Uhren wir in China verkaufen?», fragte der Audemars-Piguet-Chef rhetorisch.
Meistens denken die Leute mindestens 10’000, was aber falsch sei. «Wir verkaufen nicht einmal in unserem grössten Markt, den USA, 10’000 Stück und in den nächstgrösseren Märkten wie Japan, Hongkong und der Schweiz nur je um die 4000 bis 5000», erklärte er weiter.
Kein Wachstum im Fokus
Der Präsident von Patek Philippe, Thierry Stern, erklärte unlängst in einem Interview in der «Neuen Zürcher Zeitung», dass seine Luxusuhrenfirma pro Jahr rund 68.000 Uhren produziere und kein Wachstum plane.
«Manche Leute sagen mir: Wenn du nicht wächst, stirbst du.» Aber dies glaube die Managerlegende nicht. «Ich kann auch gleich viele Uhren herstellen, aber kreativ sein und meine Kollektionen oft ändern und auch so erfolgreich sein», betonte Stern aber.
«Qualität und Quantität vertragen sich nicht so gut», hiess es weiter. Das sei auch der Grund, weshalb er beschloss, die Produktion seiner begehrtesten Uhr, der stählernen Nautilus 5711, einzustellen.
Palette ausweiten
«Patek ist viel mehr als Stahluhren». Die Luxusuhrenmanufaktur beschäftige in der Schweiz 2400 Mitarbeitende und die beherrschten die verschiedensten Materialien sowie Handwerkskünste. «Mit Stahluhren allein könnten wir niemals überleben, und wir wären auch nicht mehr Patek», hob er hervor.
Der Preis der neuen Nautilus aus Weissgold beträgt mit 59.000 Franken das Doppelte der Vorgängerversion aus Stahl.
Dies sei nicht nur wegen des Materialpreises so, sondern auch das Gehäuse sei anders aufgebaut, die Schliesse mit dem Sicherheitsverschluss sei neu und Details am Band seien geändert worden. «So gefragt wie die Nautilus ist, könnten wir diese Uhr auch für 150.000 Franken verkaufen, aber das ist nicht die Art von Patek», führte er im Interview weiter aus.
Glaubwürdigkeit zählt
Patek Philippe habe den Stahl nicht deshalb durch Gold ersetzt, weil der Luxusuhrenhersteller die Uhren teurer verkaufen wolle, sondern weil die Firma überzeugt sei, dass Patek Philippe nicht zu viele Stahluhren herstellen sollte.
Der Preis müsse einen Bezug zum Produkt haben, betonte Stern weiter. Für eine Drei-Zeiger-Uhr in Stahl könne die Firma keine exorbitanten Preise verlangen. «Ich wäre auch nicht mehr glaubwürdig, und Glaubwürdigkeit ist für mich der Schlüssel zum langfristigen Erfolg».
Allerdings will er die Distribution, wie etwa Audemars Piguet, nicht in die eigenen Hände nehmen. «Solange unsere Retailer gute Arbeit machen, habe ich das nicht vor, denn ich konzentriere mich lieber darauf, Uhren herzustellen», sagte der Topmanager von Patek Philippe.
Markenkern erhalten
Und noch ein Uhrenhersteller meldete sich dieser Tage in einem Interview zu Wort und schlägt genau in dieselbe Kerbe. Es ist Claudine Gertiser, Co-CEO von Oris, einer Marke in einem anderen Segment, die in Hölstein BL mechanische Uhren produziert.
«Seit 118 Jahren sind wir nun am gleichen Ort», sagte sie der neuesten Ausgabe der «Schweizerischen Gewerbezeitung». Im Kern habe sich die Marke nicht verändert. «Wir verfolgen immer noch die Vision der Gründer, hochwertige Uhren für jedermann und jedefrau herzustellen», erklärte Gertiser.
Das Umfeld habe sich allerdings sehr stark geändert. Als Marke und Firma sei man viel näher beim Konsumenten und viel mehr als bloss ein Uhrenhersteller.
Kunde mehr bieten
«Mit E-Shops und weltweit mehr als 25 eigenen Boutiquen wollen wir unseren Kunden physisch und digital ein besonderes Markenerlebnis bieten», sagte die Managerin, die auch seit 2005 im Verwaltungsrat der Uhrenmanufaktur in Privatbesitz agiert.
Ausserdem sei Innovation wichtig. So habe der kleine Anbieter Oris mitten in der Pandemie ein eigenes Automatikwerk lanciert, welches mit 5 Tagen Gangreserve, 10 Jahren Garantie und hohen antimagnetischen Eigenschaften aufwarte und in der Uhrenindustrie einen neuen Standard gesetzt habe.
Jüngere beissen an
Doch auch noch einen Trend macht sie aufmerksam. «Alle Kunden lieben das Besondere, das kein Update braucht, immer wieder repariert werden kann, in einer schnelllebigen Zeit Bestand hat und bei jedem Blick aufs Handgelenk Freude bereitet», erklärte sie.
Dabei könne sie beobachten, «dass dies auch immer noch, oder vielleicht sogar vermehrt, viele junge Leute erkennen und suchen», sagte sie.
Und genauso hiess es von Audemars Piguet. «Wir sehen ausserdem ein massiv grösseres Interesse der jungen Generation, verglichen mit vor fünf, zehn Jahren», sagte er diesbezüglich.
«Notabene von einer Generation, von der man sagte, wir könnten sie als Kunden vergessen, weil die überhaupt keine Uhren mehr wollten».
Unbedingt stolpern
«In Bezug auf die ganze Schweizer Uhrenindustrie ist mein Gefühl: Das Glas ist halbvoll. Man ist weit davon entfernt, obsolet zu werden», sagte Bennahmias.
Und noch etwas gab der als «Enfant terrible» der Luxusuhrenbranche bekannte Manager, der die Marke zu einer Bewertung von zwei Milliarden Franken gepusht hat, mit auf den Weg.
«Fehler machen, hadern, stolpern, gehört doch zum Erfolg dazu». Auch in der Luxusindustrie, die sich nach aussen sehr gerne so diskret, perfekt und nobel gebe, führte der 58-Jährige aus.
11/12.2022/kut.