Der Chef der Schweizerischen Nationalbank Thomas Jordan spielt eine aktive Rolle bei der Bewältigung der Krise um die Credit Suisse. Alte Dokumente holen ihn nun aber ein.
Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern, hatte einst der deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer gesagt.
Und dies dürfte sich wahrscheinlich nun auch Thomas Jordan denken, der Präsident des Direktoriums der Schweizerischen Nationalbank SNB.
Bristante Dokumente
Umfangreiche Recherchen des Wirtschaftsnewsportals muula.ch haben nämlich die Rede von Jordan an der Medienkonferenz am 4. Oktober 2010 hervorgebracht, an der die Massnahmen der Expertenkommission zur Verhinderung einer weiteren Grossbankenkrise vorgestellt worden waren.
Die entsprechende Webseite des Staatssekretariats für Finanzfragen SIF, das damals den Schlussbericht vorgestellt hatte, ist zwar mittlerweile verschwunden.
Doch muula.ch konnte die Dokumente vollständig zurückgewinnen.
Doppel-Vize Jordan
Die Expertenkommission war vom Bundesrat im November 2009 mit dem Auftrag eingesetzt worden, volkswirtschaftliche Risiken durch Grossunternehmen zu prüfen und Lösungsansätze zur Eindämmung der «Too big to fail»-Problematik aufzuzeigen.
Der Kommission unter der Leitung von Peter Siegenthaler, dem ehemaligen Direktor der Eidgenössischen Finanzverwaltung, gehörten Vertreter von Behörden, Wissenschaft und der Privatindustrie an.
Vizepräsident genau dieser Expertenkommission war Jordan, der damals schon Vizepräsident des Direktoriums der SNB war.
Mittlerweile ist er zum Präsidenten der Schweizer Zentralbank aufgestiegen und spielte eine aktive Rolle bei der Bewältigung der Krisensituation um die Grossbank Credit Suisse (CS).
Wille der Behörden erfüllen
Jordan stellte an der Medienorientierung im Oktober 2010 die wichtigsten Aspekte der beiden Kernmassnahmen «Eigenmittel» und «Liquidität» aus dem Massnahmenpaket der Finanzexperten vor.
Seine Sprechnotizen liegen muula.ch vor.
Die Kernmassnahme «Liquidität» bestehe aus den neu entwickelten Liquiditätsanforderungen für die Grossbanken, die von der Finma und der SNB in enger Zusammenarbeit mit den betroffenen Banken entwickelt worden seien, so Jordan.
Die Anforderungen basierten auf dem Konzept, dass die Behörden ein allgemeines Stressszenario definierten und die Grossbanken die unter diesem Szenario zu erwartenden Zu- und Abflüsse von liquiden Mitteln bestimmten, erklärte der damalige SNB-Vize weiter.
Zeitgewinn von einem Monat
«Das Stressszenario unterstellt eine allgemeine Krise auf den Finanzmärkten bei einem gleichzeitigen Vertrauensverlust der Gläubiger gegenüber der jeweiligen Bank», sagte er wörtlich.
Die Banken müssten den Nachweis erbringen, dass sie über ausreichende Liquidität verfügen, um die für ein solches Szenario geschätzten Abflüsse während mindestens einem Monat decken zu können, hob der damalige SNB-Vize vollmundig hervor.
Dies gewähre den betroffenen Banken und den Behörden die minimal notwendige Zeit, um erforderliche Korrekturmassnahmen einzuleiten, hiess es von ihm.
Schon 2010 in Kraft getreten
Doch damit ist klar, dass die Grossbanken jeweils ausreichende Liquidität für eine Krise auf den Finanzmärkten bei gleichzeitigem Vertrauensverlust mindestens einen Monat lang hätten vorhalten müssen.
«Die Anforderungen traten für die Grossbanken bereits per 30. Juni 2010 in Form von brieflich festgehaltenen Grundsätzen in Kraft», sagte Jordan weiter.
«Dank strengeren Liquiditätsvorschriften kann die Bank auch in erheblichen Stresssituationen auf genügend liquide Mittel zurückgreifen», hatte selbst der Chef der Expertenkommission Siegenthaler an der Medienorientierung für die Grossbank der Zukunft bekräftigt.
Warum ist es dann schiefgegangen? Das bleibt ein Geheimnis.
Ulrich Körner mit im Spiel
Dass es bei der Krisenbank CS bei erheblichen Stresssituationen nicht geklappt hat, mag vielleicht auch daran liegen, dass es in der Expertenkommission noch ein weiteres, mittlerweile berühmtes Mitglied gab.
Neben Urs Rohner, der damals noch Vize-Verwaltungsratspräsident der Credit Suisse Group AG war, sass nämlich auch der damalige Group Chief Operating Officer und Mitglied der UBS-Konzernleitung Ulrich Körner in dem Expertengremium, wie die noch verfügbare Medienmitteilung des Bundes verrät.
Und Körner ist der CEO der nun verschwindenden Krisenbank CS. Er wird aber in die Konzernleitung der fusionierten Monsterbank UBS einziehen, wie auch muula.ch berichtete.
Man kennt sich und man vertraut sich offenbar.
Aus dem Fenster lehnen
Gewiss werden die ganzen Vize-Direktoren und Vize-Chefs sicher auch eines Tages mal Chef.
Der aktuelle Präsident des Direktoriums der Schweizer Notenbank Jordan wird sich aber vielleicht wünschen, sich mit seiner Rede als Vize zu den Liquiditätsanforderungen von Grossbanken, die eine Finanzkrise und einen gleichzeitigen Vertrauensverlust für mindestens einen Monat aushalten sollten, nicht so weit aus dem Fenster gelehnt zu haben.
Oder es ist einfach Geschwätz von gestern.
06.06.2023/kut.