Der Berg kratzt am Image Schweizer Ingenierurkunst

Airolo beim Gotthard-Tunnel
Der Berg wehrt sich gegen die vielen Röhren des Gotthard-Tunnels. (Bild: J.H. Choi / unsplash)

Der Gotthard-Strassentunnel wird am heutigen Freitagabend wiedereröffnet. Die Ursache für die Sperrung dürfte Falschplanung sein.

Der Gotthard-Tunnel ist eines der beeindruckendsten Ingenieurswerke der Schweiz und ein Symbol für Schweizerische Präzision sowie Innovationskraft.

Nach jahrzehntelangen Bauarbeiten ging unlängst der Traum von der Durchquerung der Alpen über einen Tunnel für Fahrzeuge und den Bahnverkehr in Erfüllung.

Tagelange Vollsperrung

Das stolze Symbol für Schweizer Ingenieurskunst und die Fähigkeit des Landes, grosse Herausforderungen zu bewältigen, hat aber Risse bekommen.

Nach einem Unfall im SBB-Bahnverkehr ist seit Sonntagnachmittag nämlich auch der Gotthard-Strassentunnel für den Verkehr gesperrt und soll erst am heutigen Freitagabend ab 20:00 Uhr wieder für Fahrzeuge freigegeben werden, wie das Bundesamt für Strassen Astra gleichentags mitteilte.

Tempo verlangsamen

Spannungsumlagerungen im Gebirge hätten zu einer Verschiebung beziehungsweise zu einem Riss in der Zwischendecke in der Nähe des Nordportals geführt, waren als Gründe für die Vollsperrung und die enormen Beeinträchtigungen an diesem kritischen Verkehrsknoten angegeben worden.

Nach den Reparaturarbeiten herrscht im Tunnel allerdings erst einmal Schneckentempo. Aus Sicherheitsgründen gelte im betroffenen Abschnitt zunächst Tempo 60, hiess es.

Normalerweise sind für Fahrzeuge 80 km/h erlaubt.

Zumutungen für den Berg

Das Problem mit dem Berg ist allerdings mit dem raschen Einbau einer Stahlkonstruktion, welche weiteres Herabfallen von Betonteilen auf die Fahrbahn verhindern solle, nicht behoben.

Wie das Astra bereits vor einigen Tagen mitgeteilt hatte, werde dem Berg mit all den baulichen Massnahmen einiges zugemutet.

So fänden für den Bau der zweiten Röhre umfangreiche Ausbruchsarbeiten statt. Zum einen baue das Astra Zugangsstollen, aber auch Kavernen für Baustelleninstallationen.

Beispielsweise werde aus Umweltschutzgründen praktisch die ganze Betonaufbereitung inklusive Recyclinganlage im Berg drinnen erfolgen.

Diese Ausbruchsarbeiten erfolgten teilweise konventionell, also ohne Tunnelbohrmaschinen. Doch aufgrund der Härte des Gesteins komme auch Sprengvortrieb zum Einsatz.

Déjà-vu der Ereignisse

Das Astra untersuche daher, ob zwischen all solchen Arbeiten und den vermuteten Spannungsumlagerungen direkte Zusammenhänge bestehen. Bis die Resultate bekannt sind, würden die Ausbruchsarbeiten eingestellt.

Spannungsumlagerungen im Gebirge können Bauwerke, wie Tunnel, stark belasten. Bereits 1985 kam es im Gotthard-Strassentunnel zu einem ähnlichen Schaden wie jener diese Woche an einer Zwischendeckenplatte.

Der Schaden war damals, fünf Jahre nach Eröffnung des Tunnels, ebenfalls auf Spannungsumlagerungen zurückzuführen.

Insofern hätten die neuen Beeinträchtigungen eventuell mit besseren Bauplanungen oder genaueren Einschätzungen zu den Gegebenheiten in den Alpen vermieden werden können.

Zeit stimmt nicht überein

Für Spannungsumlagerungen gibt es allerdings mehrere denkbare Möglichkeiten: Bewegungen und Bauarbeiten im Berg oder auch tektonische Einflüsse.

Der Schweizerische Erdbebendienst der ETH Zürich habe am Sonntagnachmittag um zirka 16:10 Uhr jedenfalls ein seismisches Signal aufgezeichnet. Ob dieses Signal im Zusammenhang mit der einstürzenden Zwischendecke im Tunnel steht, ist noch in Abklärung.

Die erste Medienmitteilung des Astra zu dem Ereignis sprach allerdings bereits von einer Tunnelsperrung ab 16:00 Uhr, wie auch muula.ch berichtete. Insofern dürften Falschplanungen bei den Arbeiten die Hauptursache für den Deckeneinsturz sein.

Natur wehrt sich

Die Vortriebsarbeiten im Berg in unmittelbarer Nähe zum Schadenereignis bleiben erst einmal eingestellt und dürften zu Bauverzögerungen führen.

Letztlich zeigt sich, dass der Gotthard-Tunnel zwar als stolzes Symbol für die Schweizer Ingenieurskunst und für Schweizerische Innovationen steht.

Die Natur lässt sich aber nicht alles von den Menschen gefallen, beziehungsweise die Fachleute können nicht alle Reaktionen des Berges auf die baulichen Veränderungen beherrschen.

15.09.2023/ena.

Der Berg kratzt am Image Schweizer Ingenierurkunst

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert