Das Bundesamt für Gesundheit BAG hat neue Empfehlungen an die Krankenkassen geschickt. Beobachter reiben sich die Augen, was da steht.
Das Bundesamt für Gesundheit BAG äussert sich von Zeit zu Zeit über Rundschreiben an alle Krankenkassen und gibt Empfehlungen ab, die manchmal regelrecht die Sprache verschlagen.
Am heutigen Donnerstag verschickte das BAG wieder solche «Befehle» an Helsana, Swica, Sanitas, Groupe Mutuel, Visana, Concordia, Assura & Co., und es geht diesmal laut Recherchen von muula.ch um Versicherte, die keinen Krankenversicherer haben, obwohl das in der Grundversicherung eigentlich gar nicht geht.
Regionale Abgrenzungen
Das Thema kommt nun über 25 Jahre nach der Lancierung des KVG im Jahr 1996 zum Vorschein. Es geht dabei allerdings nicht, wie man zunächst meinen könnte, um Zuzügler, die sich nach dem Umzug in die Schweiz einfach keine Grundversicherung suchen.
Nein, vielmehr spricht das BAG die Fälle an, dass Versicherte einfach nicht mehr im Tätigkeitsbereich eines zugelassenen Krankenversicherers wohnen.
Dies kann vorkommen, weil das BAG den Versicherern ihre Prämien nur für einen Tätigkeitsbereich bewilligt. Zahlreiche Schweizer Krankenkassen agieren manchmal bloss in einer Region der Schweiz, aber eben nicht landesweit.
Umzug als Problem
Zieht also ein Versicherter oder eine Versicherte ans andere Ende der Schweiz und seine bestehende Krankenkasse ist dort nicht aktiv, muss er sich einen neuen Krankenversicherer suchen.
Nach KVG enden die Versicherungsverhältnisse der betroffenen Versicherten durch den Umzug aber, und sie müssen den Versicherer verlassen.
Wenn dem Versicherer der Umzug gemeldet wird oder er ihn selbst feststellt, informiert er normalerweise die versicherte Person, dass sie einen am neuen Wohnort tätigen Versicherer wählen muss.
Passive Kundschaft
Eine ähnliche Situation kann allerdings auch passieren, wenn eine Krankenkasse sich aus einem regionalen Markt zurückzieht. Nach KVG enden auch dann die Versicherungsverhältnisse.
In beiden Fällen stelle sich die Frage, so das BAG, wie die Versicherer und die Kantone mit jenen Personen umgehen sollen, die sich einfach keine neue Krankenkasse suchen, die für ihren Wohnort eine Bewilligung hat und die damit ihrer Versicherungspflicht nicht nachkommen.
Behörde will «Knüppel»
Ein lückenloser Versicherungsschutz ist laut dem BAG ein zentraler Grundsatz der obligatorischen Grundversicherung. Die Behörde ist deshalb der Ansicht, dass bei Versicherten, die trotz Aufforderung bis nach Ablauf einer festgesetzten Frist keinen neuen Versicherer gewählt haben, das Instrument der Zwangszuweisung durch die Kantone angewendet werden solle.
Diese Einwohner fallen komplett in eine Regelungslücke, weil es sich bei einem Umzug im Landesinnern nicht um eine neue Wohnsitznahme in der Schweiz handelt, für die das Gesetz eine klare Pflicht zur Anmeldung innerhalb von drei Monaten und Strafzuschläge bei Unterlassung vorsieht.
Eigentlich sieht es so aus, als könnten die Behörden in den beschriebenen Problemfällen gar nichts machen. Das Gesetz sieht in den zwei Situationen weder eine Anmeldepflicht, noch Strafen für eine fehlende Handlung der Bürger vor.
Anschwärzen bei Kantonen
Das BAG beabsichtigt daher, eine Gesetzesrevision in die Wege zu leiten und damit für die «nicht restlos geklärten Fragen klare gesetzliche Grundlagen» vorzuschlagen.
Weil eine Gesetzesrevision aber mehrere Jahre beansprucht, spricht das BAG für die Zwischenzeit einige Empfehlungen, also «Befehle», aus.
Die Krankenkassen sollen in beiden Fällen – also Wohnungswechsel in ein Gebiet, wo die Krankenkasse keine Bewilligung hat, oder der Rückzug aus einem Marktgebiet, wo Versicherte ohne Grundversicherung zurückgelassen werden – erst selbst an die Betroffenen herantreten.
Sollten sie der Versicherungspflicht nicht nachkommen, sollen die Krankenkassen die Personen umgehend an die Kantone melden, die dann eine Zuweisung vornehmen sollen.
Blinde Flecken
Warum das Thema gerade jetzt hochkommt, ist nicht klar. Schliesslich besteht dieses Problem eigentlich schon seit Anbeginn des KVG. Eventuell ist es wegen der geringen Mobilität der Bevölkerung bisher nie aufgefallen.
Möglich wäre auch, dass diese Situation durch die aktuelle Flüchtlingsproblematik und dem bunten Umherschieben von Schutzsuchenden in der ganzen Schweiz aufgetreten ist. Die Ausländer wissen vielleicht gar nichts über die Anmeldung bei einem neuen Krankenversicherer.
Schuld der Krankenkassen
Es könnte natürlich aber auch sein, dass es derzeit vermehrt Krankenkassen gibt, die sich aus gewissen Regionen zurückziehen und sich die Versicherten dann einfach nicht bei einem neuen Grundversicherer melden.
Derzeit fusionieren zahlreiche Krankenkassen, wie muula.ch etwa über die angeschlagene Luzerner Krankenkassengruppe CSS berichtete, und da könnte das vom BAG beschriebene Problem häufiger auftreten.
Hat die fusionierte Krankenkasse keine Bewilligung in einer Prämienregion, wo ein Fusionspartner vorher aktiv war, stehen die Versicherten plötzlich ohne angestammten Krankenversicherungsschutz da. Die Grundversicherten trifft dabei nicht mal eine Schuld.
Gesetzesbruch empfohlen
Das BAG schreibt, dass mit den «Empfehlungen» einerseits Versicherungslücken vermieden werden könnten. Und andererseits gebe es keine langen Versicherungszeiten bei Versicherern, obwohl sie für die betreffende Region oder den betreffenden Kanton keine Bewilligung und keine genehmigten Prämien mehr hätten.
Letzteres klingt aber besonders unheimlich, weil mit dem Segen der Aufsichtsbehörde offenbar Krankenkassen noch Versicherungsgeschäfte betreiben dürfen, obwohl sie gar dafür keine Bewilligung mehr haben und das KVG dies gemäss dem eigenen BAG-Rundschreiben auch explizit verbietet.
Die Behörde empfiehlt, bei allem Verständnis für die aufgetretene Problematik, quasi einen Gesetzesbruch.
15.12.2022/kut.