Die Verwerfungen am Energiemarkt haben den Staatskonzern Axpo kalt erwischt. Die Katastrophe zeigt sich aber erst tief im Geschäftsbericht.
Die ganzen Sätze klingen so passiv – als ob der Energiekonzern Axpo kein aktiver Mitspieler im Markt sei. «Das abgelaufene Geschäftsjahr war durch beispiellose Verwerfungen an den Energiemärkten geprägt und die Marktpreisentwicklungen wirkten sich sehr unterschiedlich auf die Resultate, Bilanzpositionen und Cashflows im Geschäftsjahr 2021/22 aus.»
Mit diesen Worten kommentierte der bedeutendste Schweizer Energiekonzern am heutigen Donnerstag seine Ergebnisse zum per September abgelaufenen Geschäftsjahr.
Schock im Kleingedruckten
Doch was damit gemeint ist, zeigt sich nicht auf den ersten Blick. Der Gewinn und das Eigenkapital waren gegenüber dem vorangegangenen Geschäftsjahr mit 600 Millionen Franken und rund 7,4 Milliarden Franken praktisch konstant.
Aber bei tieferer Betrachtung von muula.ch im Axpo-Jahresabschluss erhöhte sich der Umsatz um über 70 Prozent auf 9,9 Milliarden Franken. Die Kosten für Energiebeschaffung und Netznutzungsaufwand stiegen dagegen um rund 160 Prozent auf 9,6 Milliarden Franken.
Im Haifischbecken
Es zeigt sich, dass die Märkte eben doch auch in die andere, nicht so vorteilhafte Richtung gehen können, und wenn Axpo dann mit den Haien schwimmen will, muss der Staatskonzern auch das richtige Rüstzeug dafür haben.
Schliesslich ist es zwar unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich, dass die Grosshandelspreise von Strom und Gas zeitweise zwanzigmal höher als im Durchschnitt der vergangenen Jahre sind.
Milliarden nach oben
Der Wert der langfristigen derivativen Finanzinstrumente auf der Aktivseite von Axpo erhöhte sich daraufhin um 10,5 Milliarden Franken beziehungsweise rund 160 Prozent auf 17 Milliarden Franken.
Kurzfristige Finanzinstrumente kamen bei den Aktiva zusätzlich auf 18 Milliarden Franken – ein Zuwachs um fast 100 Prozent beziehungsweise weiteren 10 Milliarden Franken.
Die Energiemärkte spielen verrückt und die Schweizer Axpo ist mittendrin. (Bild: PD)
Auf der Passivseite schnellten die kurzfristigen derivativen Finanzinstrumente dagegen um 220 Prozent beziehungsweise um 16,2 Milliarden Franken auf 23,5 Milliarden Franken in die Höhe.
Langfristig kommen bei den Passiva noch mal Finanzinstrumente von 24,8 Milliarden Franken hinzu – ein Zuwachs von rund 10 Milliarden Franken oder 70 Prozent.
Gigantische Nettoschulden
Die Bilanzsumme verlängerte sich mit alldem um rund 80 Prozent auf fast 80 Milliarden Franken. Dies entspricht ungefähr zehn Prozent des Bruttoinlandproduktes BIP der ganzen Schweiz. Das muss man sich bei einer einzigen Firma einmal vorstellen.
Die Eigenkapitalquote von Axpo schrumpelte mit der Bilanz-Aufblähung aber von 16,2 auf bloss noch 9,3 Prozent zusammen.
Die Bilanzverlängerung sei ein Resultat von rechnungslegungstechnischen Vorgaben, die den Verträgen für Energielieferungen und den entsprechenden Sicherungsgeschäften in der Zukunft einen vom Marktpreis abhängigen Wiederbeschaffungswert zuordnen, hiess es von Axpo nüchtern.
Die Nettoschulden erhöhten sich in diesem Zusammenhang aber von 223 Millionen Franken auf unglaubliche 3,6 Milliarden Franken.
Sondereffekte wirkten sich mit 1,4 Milliarden Franken auf das Betriebsergebnis aus, hiess es im neuen Geschäftsbericht lapidar. Im vorangegangenen Geschäftsjahr hatte Axpo bloss –127 Millionen Franken an dieser Stelle verzeichnet.
Wurst hängt in der Zukunft
Die Rendite des Stilllegungs- und Entsorgungsfonds betrug in 2021/22 nämlich –13,6 Prozent, statt wie Vorjahr +12,4 Prozent. Dies belastete das operative Ergebnis auf Stufe Ebit mit 327 Millionen Franken und das Finanzergebnis zusätzlich mit 410 Millionen Franken.
Die Absicherung der Schweizer Produktion erfolgt aufgrund der fehlenden Liquidität am Schweizer Markt zu einem Grossteil in Deutschland und Frankreich. Die Preisdifferenzen zwischen der Schweiz und Deutschland erhöhten sich im abgelaufenen Geschäftsjahr um ein Vielfaches.
Dies führte zu Ergebnisverschiebungen in die Folgejahre aufgrund der buchhalterischen Behandlung der für die Absicherung eingesetzten Finanzinstrumente in Höhe von allein 1,5 Milliarden Franken. All solche Risiken tragen die Eigentümer – also letztlich das Volk.
Axpo wertet Vermögen auf
Doch es ging nicht nur in die Negativ-Richtung für den Axpo-Konzern. Aufgrund der steigenden Strompreise «musste die Werthaltigkeit der eigenen Kraftwerke überprüft werden», hiess es trocken. Da sich die Strompreise nicht nur kurzfristig, sondern auch mittelfristig stark erhöhten, wurde im abgelaufenen Geschäftsjahr eine Wertaufholung von sage und schreibe 3.150.000.000 Franken verbucht.
Axpo generierte also auf eigene Vermögenswerte also einen Gewinn von fast 3,2 Milliarden Franken. Falls die Energiepreise wieder in die andere Richtung gehen, kann sich jeder ausrechnen, was in dieser Position droht.
Die Spekulationen der Firma in öffentlicher Hand gehen also munter weiter.
Währungsrisiken mit dabei
Der Strom, der vom Axpo-Konzern in seinem Schweizer Kraftwerkpark erzeugt wird, braucht unmittelbar einen Abnehmer. Der Handel sei deshalb untrennbar mit der Stromproduktion verbunden, erklärte der Energiekonzern am Donnerstag zum wiederholten Male.
Der in der Schweiz von Axpo produzierte Strom wird bei vorhandener Nachfrage in der Schweiz ausgeliefert, selbst wenn die Absicherung auf internationalen Märkten geschieht. Da zeigt sich, dass Axpo nicht nur Energie-Spekulationen vornimmt, sondern sogar über den Schweizerfranken hohe Währungsrisiken zum Ausland in Kauf nimmt.
Absicherung klingt niedlich, ist aber eben nicht risikolos.
Teure Erfahrungen
Der Geldfluss aus Geschäftstätigkeit reduzierte sich gegenüber Vorjahr von 888 Millionen Franken auf –3,1 Milliarden Franken im Wesentlichen aufgrund der Hinterlegung von zusätzlichen Sicherheiten genau für die Absicherungen der Schweizer Stromproduktion.
«Unser Unternehmen wird sich durch diese Erfahrungen weiterentwickeln und gestärkt aus der Krise hervorgehen», Axpo-Konzernchef Christoph Brand in einem Communiqué zum Jahresabschluss zitiert.
Bleibt also bloss noch zu hoffen, dass der Schock bei der Axpo tief genug sitzt und der Staatskonzern die richtigen Massnahmen zur Reduktion seiner Energie-Spekulationen trifft.
08.12.2022/kut.