Die Vereinten Nationen zeichnen zum zweiten Mal einige Dörfer weltweit sowie in der Schweiz aus. Eine nähere Betrachtung zeigt, wie unaufrichtig die ganze Sache ist.
«Andermatt und Murten als ‚Beste Tourismusdörfer‘ ausgezeichnet», frohlockte das Staatssekretariat für Wirtschaft Seco am Dienstag in einer Medienmitteilung.
Die Welttourismusorganisation UNWTO habe im Rahmen ihrer ‚Best Tourism Village‘-Initiative zum zweiten Mal die besten Tourismusdörfer der Welt gesucht und Andermatt sowie Murten ausgezeichnet, hiess es weiter.
Fokus auf Entwicklungsländer
Doch was ist das für ein Preis? Die Weltorganisation für Tourismus mit Sitz in der spanischen Hauptstadt Madrid entstand 1925 aus einem internationalen Kongress und war ursprünglich in Den Haag sowie in Genf ansässig.
Als eine der kleinsten Uno-Sonderorganisationen fungiert die Einrichtung mit einem Budget von rund 23 Millionen Dollar.
Laut Wikipedia ist der Schwerpunkt der Uno-Organisation der Tourismus in Entwicklungsländern, unter Berücksichtigung der Millenniums-Entwicklungs-Ziele und nachhaltiger Entwicklungskonzepte.
Langeweile bei Corona
Bekannteste Veröffentlichungen sind die jährlichen Tourismusstatistiken, die aber ohnehin auf Daten der OECD und der EU beruhen.
Die Uno-Beamten haben sich dann wohl während der Coronavirus-Pandemie gedacht, als der Tourismus vollständig am Boden lag, dass sie ihr Budget für etwas ausgeben müssen und eine Preisverleihung für irgendwas wohl für Aufmerksamkeit sorgen dürfte.
Baskenland sticht hervor
Ein paar schwammige Kriterien und eine Jury aus vielen Staatsdienern waren dann rasch gefunden.
Es konnte also mit der Beurteilung losgehen und die UNWTO konnte Angaben auswerten, wie die Vermarktung von kulturellen Ressourcen, die ökonomische, ökologische und soziale Nachhaltigkeit, die Priorisierung des Tourismus sowie die Integration des Tourismus in die Wertschöpfungsketten jeweils aussehen.
Auf die Kulinarik im spanischen Baskenland scheint dabei ein besonderer Fokus der Uno-Organisation zu liegen, denn für die zwei Jahre kommen gleich zwei der insgesamt 20 Jurymitglieder aus dem Basque Culinary Center, einer Vermarktungsorganisation der baskischen Küche.
Ungeklärter Zielkonflikt
«Andermatt und Murten überzeugten mit ihrer starken Ausrichtung auf die nachhaltige Entwicklung, ihrer Nähe zu landwirtschaftlichen Tätigkeiten und der lokalen Wertschöpfung, die der Tourismus in den jeweiligen Regionen generiert», schrieb das Seco zur Auswahl der beiden Ortschaften im Communiqué.
Die UNWTO setzt sich ohnehin für die Einhaltung des Globalen Kodex für Ethik im Tourismus ein, der zum Ziel hat, die positiven sozioökonomischen Auswirkungen des Tourismus zu maximieren und gleichzeitig mögliche negative Auswirkungen auf ein Minimum zu reduzieren.
Von diesem Zielkonflikt und deren Lösungen fehlen aber praktisch jegliche Erklärungen.
Digitale Innovationen?
Ein Kriterium war beispielsweise die Anzahl der Stellen im Dorf, an denen elektronisch bezahlt werden kann.
Wie umweltfreundlich und innovativ ist all dies, dürfen kritische Betrachter durchaus hinterfragen. Nach der Coronavirus-Pandemie ist das Bezahlen mit Bankkarten zumindest in Westeuropa ohnehin flächendeckend zu Standard geworden.
Und der Staat sollte sich bei solchen Sachen der Detailhändler um Migros und Coop beziehungsweise von Restaurants, Seilbahnen & Co. ohnehin heraushalten.
Selbstbeschäftigung von Beamten
Nun, was heisst Auswahl? Im Rahmen einer schweizweiten Ausschreibung wurden im Sommer 2022 die drei Dörfer Ernen, Andermatt und Murten von einer Jury, bestehend aus Vertretern des Staatssekretariats für Wirtschaft SECO, dem Schweizer Tourismus-Verband STV und Schweiz Tourismus, ausgewählt und bei der UNWTO eingereicht.
Nüchtern betrachtet, reichten staatliche Stellen der Dörfer sich selbst bei staatlichen Stellen der Schweiz ein. Die Schweizer Beamten wählten dann nach ihrem Geschmack aus und meldeten die drei Auserwählten bei den staatlichen Stellen der Uno zur Beurteilung der nachhaltigen Entwicklungen an.
Die Hälfte gewinnt
«Aus den über 130 eingegangenen Bewerbungen wurden 32 mit dem Label ‚Best Tourism Village‘ ausgezeichnet», hiess es vom Seco zur Uno-Preisauswahl in diesem Jahr weiter. Den Titel bekamen rund 25 Prozent aller 136 Teilnehmer.
20 weitere Gemeinden wurden zusätzlich zu den Gewinnern in ein Upgrade-Programm aufgenommen, um die Entwicklungen noch zu forcieren. Schlussendlich gewannen zirka 40 Prozent der Teilnehmer etwas, was eigentlich schon gar nichts Besonders mehr darstellt.
Falsche Zahl
Im Vorjahr, also dem Corona-Pandemie-Jahr 2021, machten noch 174 Dörfer bei der Einreichung mit und 44 Ortschaften erhielten den Titel ‚Weltbestes Dorf‘. 20 weitere Teilnehmer wurden schon damals neben den «Gewinnern» in das Entwicklungsprogramm aufgenommen.
Macht zusammen wieder fast 40 Prozent an Auszeichnungen, wobei die Uno-Organisation die Summe der in beiden Jahren auserwählten Ortschaften mit 115 angibt, obwohl 64 plus 52 nach mathematischen Grundsätzen 116 wäre.
Aber selbst das Seco verhaut sich ja ab und an mal, wie auch muula.ch schon berichtete.
Blabla über die Medien
Eines der auserkorenen Dörfer ist in diesem Jahr Dazhai in China. Will sich jemand über die Ortschaft informieren, merkt er schnell, dass es gleich mehr als ein Dutzend Dörfer mit demselben Namen gibt.
Erst die Medieninformation der staatlichen chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua zu der Titelverleihung macht klar, dass es sich um China’s Südprovinz Guangxi Zhuang handelt.
Warum gerade diese Gemeinde aus dem grossen Reich der Mitte etwa im Vergleich mit den umweltverschmutzenden Metropolen Chinas besonders nachhaltig für Touristen sein soll und dazu noch Entwicklung braucht, bleibt allerdings ein Staatsgeheimnis.
Merkwürdige Parallele
Zusammen mit den im vergangenen Jahr ausgezeichneten Orten Gruyères, Saas-Fee und Val Poschiavo verfüge die Schweiz nun über fünf ‚Best Tourism Villages‘, freute sich das Seco weiter.
Nur ein anderes Land weltweit, nämlich Spanien, verfüge ebenfalls über so viele ‚Best Tourism Villages‘, hiess es. Ach so, wo waren nochmal der aktuelle und vormalige Sitz dieser Uno-Organisation?
Letztlich zeigt sich, dass es gar keine Entwicklungsländer sind, die bei der Auszeichnung die Top-Plätze abräumen.
Umwelt verschmutzende Reisen
Anhand der ganzen Medienmitteilungen zu Veranstaltungen dieser Uno-Sonderorganisation können sich Betrachter ausserdem ausmalen, wie umweltfreundlich die Uno-Tourismus-Beamten ständig durch die Gegend jetten.
Ein Schweizer Gewinnerdorf 2021, nämlich Gruyères, wurde sogar von einer Delegation der Uno-Organisation mit dem georgischen Generalsekretär Zurab Pololikashvili besucht, wie es in einem Communiqué hiess.
Gegenseitige Gratullation
Das Seco gibt zur Sinnhaftigkeit des Preises an, dass neben dem Zeichen der Anerkennung die Gewinnerdörfer von weltweiten Medienkampagnen durch die UNWTO profitierten. Die Auszeichnung verleihe den Dörfern zusätzliche Visibilität und erlaube ihnen, sich entsprechend zu positionieren.
Die offizielle Preisverleihung erfolgt nun Ende Februar 2023, wo sich staatliche Stellen nochmals gegenseitig gratulieren.
Dann startet wahrscheinlich schon die nächste Auszeichnungs-Runde und westliche Dörfer, wie Zell am See in Österreich und Guadalupe in Spanien, die dieses Jahr auch gewonnen haben, können sich in Stellung bringen.
Massen rennen in Dörfer
Wirklich nachhaltig wäre es aber wahrscheinlich, wenn die Schweiz bei dem ganzen Staatszirkus nicht mehr mitmachen würde. Andermatt & Co. sollten von sich aus Besucher erfolgreich anlocken sowie mit ihren nachhaltigen Konzepten überzeugen.
Und entlegenste Dörfer in Entwicklungsländern sollten mit weltweitem Massentourismus schon gar nichts am Hut haben.
21.12.2022/kut.