Die Notfusion der Credit Suisse mit der UBS lässt viele Firmen zittern, die von den Grossbanken abhängig sind. Doch es geht auch anders.
Die Gesellschaft bezweckt die Entwicklung und den Betrieb von Plattformen und Programmen im Rechtsbereich in der Schweiz und im Ausland, die Vermittlung von Rechtsdienstleistungen an natürliche und/oder juristische Personen sowie alle damit zusammenhängenden Dienstleistungen und Beratungen.
So beschrieben die Gründer von LegalPass im Juli 2022 den Geschäftszweck ihrer Firma im Handelsregister.
Vier Verantwortliche
Was die vier Verantwortlichen der neuen Aktiengesellschaft damals noch nicht ahnen konnten, ist, dass sie schon recht bald den wahrscheinlich besten Coup ihres Lebens landen werden.
In der Gesellschaft sind Philippe Grivat als Präsident und Cédric Ballenegger, Stéphane Grivat sowie Alexandre Osti als Mitglieder des Verwaltungsrates registriert.
Recht für alle
LegalPass ist ein Start-up aus Lausanne, das erst vor wenigen Monaten von den beiden Anwälten Philippe Grivat und Alexandre Ost gegründet wurde.
Es hat sich zur heroischen Aufgabe gemacht, das Recht für alle Menschen zugänglich zu machen. LegalPass befasst sich aber in der Regel mit den Rechtsbereichen, welche die breite Bevölkerung betreffen, geben die Gründer an.
Derzeit setze sich das Unternehmen vor allem mit Schuldbetreibungsrecht oder Strassenverkehrsrecht auseinander, möchte aber in Zukunft alle gängigen Bereiche abdecken, hiess es weiter.
Es ist eine Art Robin Hood für den Rechtsbereich.
Änderung der Ausgangslage
Doch dann passierte im März 2023 die Notfusion der Credit Suisse (CS) mit der Grossbank UBS und da können die Verantwortlichen des Start-ups nicht mehr anders.
«Obwohl sich LegalPass normalerweise auf alltäglichere Bereiche des Rechts konzentriere, könnte die Firma angesichts dieser neuartigen und ungerechten Situation nicht untätig bleiben», erklärten die Verantwortlichen aus dem Kanton Waadt bezüglich des CS-Untergangs.
Mit der Aktion «Credit US» machten sie das Recht für alle zugänglich, indem die Firma tausenden von Kleinaktionären der CS ermöglicht, ihre Stimme zu einem erschwinglichen Preis zu erheben.
Und rund ein Jahr nach der Gründung lancierte LegalPass die erste Sammelklage zugunsten von Credit-Suisse-Aktionären. Dies dürfte den Namen der Mini-Firma weltweit bekanntgemacht haben.
Sammelklage organisieren
Das Fusionsgesetz sieht nämlich eine Klage zur «Prüfung des Umtauschverhältnisses» vor, damit die Aktionäre eine «angemessene Ausgleichszahlung» für ihre Aktien verlangen können.
Dank der Besonderheiten des Verfahrens im vorliegenden Fall kann LegalPass eine Art «Sammelklage» organisieren, um die Ansprüche der CS-Aktionäre zu bündeln, die alle einen identischen Schaden erlitten haben.
Schnell und erfindungsreich
Diese Klage steht über der Plattform allen Aktionären offen. Für die Teilnahme sind nur wenige Rappen pro Aktie zu bezahlen, bei steigendem Volumen verringert sich dieser Anteil sogar. Der Mindestbeitrag liegt bei 120 Franken.
Als einfache technische Lösung fungiert ein Warenkorb, bei dem man einfach die Anzahl der Aktien eingibt, die man besitzt, und damit dann an die «Kasse» geht. Not macht offenbar erfinderisch.
Das Start-up beweist rasches Handeln und Flexibilität. Andere Anbieter hätten dies ja ebenfalls machen können.
Wertverlust in wenigen Stunden
Ziel des Ganzen ist es, den Aktionären eine Ausgleichszahlung in bar zu erstreiten, die einem Wert zwischen dem vom Fusionsvertrag festgesetzten und dem vom Gericht bestimmten Aktienkurs entspricht.
Am 19. März 2023 hatte die UBS die Übernahme der CS zum Schnäppchenpreis von 3 Milliarden Franken bekanntgegeben. Die CS befand sich zwar in Schwierigkeiten, doch sie war bei Börsenschluss 48 Stunden zuvor noch rund 7 Milliarden Franken wert gewesen.
Die Grossbank wurde also unter dem Marktwert verscherbelt und die Aktionäre durften sich dazu nicht äussern.
Bei dem Fall geht es also nicht um die Abschreibung von AT-1-Bonds durch die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht Finma, die ebenfalls viel Porzellan am Kapitalmarkt zerstört hat und über die muula.ch bereits mehrfach berichtete.
Einer für alle
Das Verfahren von LegalPass um die Fusion wird von erfahrenen Anwälten begleitet, darunter auch von Rechtsanwalt Andreas Hauenstein von der Zürcher Kanzlei Baumgartner Mächler, der für die Vorbereitung und das Einreichen der Klage bei einem zuständigen Gericht in Zürich verantwortlich sei.
Seine im Jahr 1993 gegründete Kanzlei verfüge über umfassende Erfahrung und praktische Kenntnisse im Bereich Gesellschaftsrecht, hiess es. Und so einen Anwalt, der gegen eine Grossbank unbefangen prozessieren kann, muss man in der Schweiz erst einmal finden.
Baumgartner Mächler bereitet im Namen eines einzigen Aktionärs („Lead-Aktionär“) eine Klage vor und reicht diese bei einem zuständigen Gericht in Zürich ein.
Denn das Gesetz sieht vor, dass das Urteil für alle Aktionäre wirksam erde, wodurch die Klage zentralisiert, und die Anwaltskosten gesenkt werden könnten, erklärte das Start-up die Vorgehensweise.
Höchsthonorar ausgehandelt
Für Teilnehmende gibt es ausser der Mitgliedsgebühr auch keine weiteren Kosten.
«Nein, Sie haben keine weiteren finanziellen Verpflichtungen», teilte LegalPass mit.
Mit dem Anwalt, der die «Credit US»-Klage vertrete, sei ein Höchsthonorar ausgehandelt worden. Damit müssten keine zusätzlichen Zahlungen geleistet werden.
Allenfalls könnte es passieren, dass Zusatzdokumente zur Verfügung gestellt werden müssten, führte LegalPass weiter aus.
Die Kosten des Gerichtsverfahrens und eines allfälligen Gutachtens werden gemäss Fusionsgesetz ohnehin von der UBS getragen. Von den Teilnehmern der Aktion «Credit US» könnten obendrein keine Kosten verlangt werden, da sie vor Gericht nicht formell als Partei auftreten, erklärte LegalPass weiter.
Weitere interessante Idee
Als Notausgang behielten sich die Gründer aber vor, das ganze CS-Thema auch wieder abzublasen.
«Falls die erforderlichen Mittel nicht innerhalb der vorgegebenen Frist beschafft werden, verzichtet LegalPass darauf, die Klage weiterzuverfolgen und erstattet den Teilnehmenden das Geld zurück, nach Abzug von maximal 8 Prozent des investierten Betrags für externe Kosten, die für das Verfahren angefallen sind», hiess es noch zur Limitierung ihres eigenen Start-up-Risikos.
Doch es kam ohnehin ganz anders.
Mehr Geld als Puffer
Die Resonanz auf LegalPass war überwältigend. Umgehend bestätigten laut einem Communiqué schon 350 Aktionäre, an der Massnahme gegen den Zusammenschluss teilzunehmen.
Am 6. Juli 2023 kam bereits genügend Geld zusammen, um die Klage gegen die Fusion der CS mit der UBS einzureichen. Später wird sogar die Frist, sich zu melden, verlängert.
Zwar war bereits genug Geld zusammengekommen – doch nun ging es um ein finanzielles Sicherheitspolster für das Gerichtsverfahren, da dieses langwierig sein und zusätzliche Ressourcen erfordern könnte, wie Mitbegründer Osti erklärte.
«Damit verbessern wir die Erfolgschancen für das Aktionariat der Credit Suisse», hiess es weiter.
Es geht nur um Geld
Doch im Erfolgsfall wird die Fusion damit nicht verhindert. Im Falle eines erfolgreichen Zusammenschlusses erhalten die Aktionäre eine Barabfindung, welche der Wertdifferenz zwischen dem im Fusionsvertrag festgelegten Kurs und dem vom Gericht festgelegten Kurs entspricht.
Die Abfindung wird in bar und nicht in Aktien ausgezahlt.
Im Falle eines Erfolgs scheint es a priori wahrscheinlich, dass das Gericht einen Preis festlegt, der dem Börsenschlusskurs am Freitag, 17. März 2023, entspricht, also 1.86 Franken pro Aktie.
Dies entspreche immerhin einem fast 2,5-mal höheren als der Preis, der für die Fusion angenommen wurde. Der Gewinn für die Aktionäre würde unter dieser Annahme also 1.08 Franken pro Aktie betragen.
Damit zeigt sich, dass sich eine Teilnahme ungefähr ab 111 CS-Aktien lohnt.
Ethos-Stiftung springt auf
Bereits über 1000 CS-Altaktionäre bestätigten bis Mitte Juli ihre Teilnahme und sicherten damit die Finanzierung der Sammelklage.
Selbst die berühmte Ethos-Stiftung zur Wahrung von Aktionärsrechten beschloss, das Start-up aus Lausanne bei seiner Klage gegen das im Rahmen der Übernahme von CS durch die UBS festgelegte Umtauschverhältnis zu unterstützen.
Die Ethos-Stiftung beteiligt sich an der Finanzierung der Aktion, erhält aber keine Entschädigung von LegalPass, hiess es.
Kein Mitspracherecht
Letztlich bringt ein Satz den enormen Erfolg des Start-ups innerhalb kürzester Zeit auf den Punkt:
«Es ist jedoch absolut unerhört und stossend, dass ein Unternehmen zu einem Kurs verkauft wird, der unter dem letzten bekannten Börsenkurs liegt, und dass die Aktionäre kein Mitspracherecht haben», so die Kampfansage aus Lausanne.
Der Untergang der CS ist zwar beschlossene Sache. Doch zumindest ein Start-up gilt dabei schon mal völlig ungeplant als Profiteur.
24.07.2023/kut.