Der Rückversicherer Swiss Re hat 2022 gut die Hälfte seines Eigenkapitals verloren. Der Konzern nutzt das neue Aktienrecht, um für den Fall der Fälle gewappnet zu sein.
Auf Generalversammlungen GV werden die Tagesordnungspunkte meist umso spannender, je näher es zum Ende der Veranstaltung kommt.
So war dies auch beim zweitgrössten Rückversicherer der Welt, der Swiss Re, der am heutigen Mittwoch seine GV im Zürcher Hallenstadion durchgeführt hat.
Nutzen neuer Möglichkeit
Unter dem fast letzten Punkt 7.1 der Agenda stimmten die Aktionäre nämlich über etwas ganz Entscheidendes ab und das waren interessante Kapitalbestimmungen. Swiss Re hat mit einem sogenannten Kapitalband etwas völlig Neues eingeführt.
Unter dem revidierten Schweizer Aktienrecht, welches am 1. Januar 2023 in Kraft getreten ist, wurde nämlich die Möglichkeit abgeschafft, den Verwaltungsrat zu ermächtigen, das Aktienkapital zu erhöhen.
Auch Herabsetzung möglich
Unter dem revidierten Recht können Schweizer Gesellschaften solche Erhöhungen aber im Rahmen eines sogenannten Kapitalbands vorsehen, unter welchem der Verwaltungsrat zu den in den Statuten vorgesehenen Bedingungen innerhalb von bis zu fünf Jahren ermächtigt werden kann, das Aktienkapital zu erhöhen.
Als neues Element sieht das revidierte Aktienrecht sogar vor, das Aktienkapital im Rahmen des Kapitalbands zu senken.
Immer weniger Eigenkapital
Da der Rückversicherer im abgelaufenen Geschäftsjahr rund 50 Prozent seines Eigenkapitals aufgrund von Kapitalmarktbewegungen eingebüsst hat, wie muula.ch berichtete, ist nicht auszuschliessen, dass das Management überraschend eine Kapitalerhöhung brauchen könnte.
Dies muss im Zusammenhang damit gesehen werden, als der Jahresgewinn kleiner ist als die Dividendenausschüttung von 1,9 Milliarden Dollar und Swiss Re somit neben dem «normalen» Einbruch des Eigenkapitals zusätzlich die Eigenmittel schwächt.
Swiss Re kommt dramatisch in den Bereich eines Konzerneigenkapitals im einstelligen Milliardenbereich – eigentlich ein Unding für einen grossen Rückversicherer.
Erlaubnis läuft bald aus
Die bestehende Ermächtigung des Verwaltungsrates, das Aktienkapital unter dem gegenwärtigen genehmigten Kapital zu erhöhen, endet allerdings am 16. April 2023.
Deshalb beantragte Verwaltungsrat unter besagtem Agendapunkt, das genehmigte Kapital durch ein Kapitalband zu ersetzen und die entsprechenden Bestimmungen zu ändern.
Das vorgeschlagene Kapitalband gilt auf zwei Jahre, was der Dauer des bestehenden genehmigten Kapitals entspricht. Der Betrag, um welchen die Gesellschaft das Aktienkapital unter dem Kapitalband erhöhen kann, entspricht dem Umfang des bestehenden genehmigten Kapitals.
Nordkoreanische Abstimmung
Der Verwaltungsrat wird im Rahmen des Kapitalbands neu sogar ermächtigt, das Aktienkapital herabzusetzen, wobei die Ermächtigung zur Herabsetzung des Aktienkapitals auf 10 Prozent der Aktien begrenzt ist.
Verwaltungsratspräsident (VRP) Sergio Ermotti trug dies an der GV fein säuberlich den Aktionären vor.
Diese bedankten sich mit einer Zustimmung, die an nordkoreanische Abstimmergebnisse erinnert, und stimmten laut dem Abstimmungsprotokoll mit 96,5 Prozent für die Einführung eines solchen Kapitalbandes.
Flexibles Instrument
Die Massnahmen gibt dem Management extreme Freiheiten:
Bei einer Kapitalerhöhung innerhalb des Kapitalbands legt der Verwaltungsrat nun nämlich den Ausgabepreis, die Art der Einlage (inkl. Bareinlagen, Sacheinlagen, Verrechnung und Umwandlung von Reserven oder des Gewinnvortrags in Aktienkapital), den Zeitpunkt der Ausgabe, die Bedingungen der Bezugsrechtsausübung und den Beginn der Dividendenberechtigung fest.
Selbst Erhöhungen durch Festübernahmen sind zulässig.
Fusionen und Übernahmen finanzieren
Der Verwaltungsrat kann obendrein nicht ordnungsgemäss ausgeübte Bezugsrechte verfallen lassen, oder kann solche Rechte oder Aktien zu Marktkonditionen platzieren oder anderweitig im Interesse der Gesellschaft verwenden.
Die Bezugsrechte bestehender Aktionäre sind ausgeschlossen.
Rechte bestehender Aktionäre können durch Beschluss des Verwaltungsrates beschränkt oder ausgeschlossen werden, etwa zur Emission aktiengebundener Finanzierungsinstrumente oder im Wege privater Platzierungen in Zusammenhang mit Fusionen, Akquisitionen von Unternehmen, Unternehmensteilen, Beteiligungen oder neuen Investitionsvorhaben der Gesellschaft und/oder von Konzerngesellschaften.
Nach Gutdünken anwenden
Dies gelte auch für die Verbesserung der aufsichtsrechtlichen und/oder der ratingbezogenen Kapitalausstattung der Gesellschaft oder Konzerngesellschaften, wenn der Verwaltungsrat dieses Vorgehen als angebracht oder als umsichtig erachtet.
Sowohl Verwaltungsratspräsident Ermotti, den die Aktionäre zwar wieder wählten, aber der bekanntermassen aufgrund seines CEO-Postens bei der Grossbank UBS bald zurücktreten wird, als auch Swiss-Re-CEO Christian Mumenthaler zeigten sich in ihren Ansprachen auf der GV nicht mit den Ergebnissen des Rückversicherers im abgelaufenen Geschäftsjahr zufrieden.
Mit dem neuen Kapitalband dürfte das Swiss-Re-Management aber sehr zufrieden sein, weil es dem Konzern maximale Flexibilität bei Kapitalmassnahmen und einen enormen Freibrief ermöglicht.
12.04.2023/kut.