Die «Neue Zürcher Zeitung» hat in der Wirtschaftspublizistik zugekauft. Das passt kaum zur Strategie des Medienhauses.
Die liebevoll als «Alte Tante» bezeichnete «Neue Zürcher Zeitung» baut im Bereich der Wirtschaftsberichterstattung aus. Die NZZ-Gruppe übernahm per 1. Dezember 2023 von den Gründern die verbleibenden 60 Prozent der Aktien an The Market, dem digitalen Finanzmagazin für Investoren themarket.ch, teilte das Zürcher Medienhaus am heutigen Montag überraschend mit.
Ein Produkt mehr
Alle Gründer blieben in ihren bisherigen Rollen tätig, um die Weiterentwicklung von The Market als eigenständiges Qualitätsmedium vorantreiben, hiess es weiter.
Eine vollständige Übernahme der Gründer-Anteile sei bereits 2019 beim Erwerb der Minderheitsbeteiligung an The Market geplant gewesen, führte die NZZ-Gruppe zudem aus.
Mit der Vollübernahme würde die Wirtschaftsberichterstattung der NZZ-Medien um ein Produkt erweitert.
Mini-Umsatz nach Jahren
Konzernchef der NZZ-Gruppe Felix Graf lobte sich quasi in dem Communiqué für den Entscheid selbst. Der ursprünglich aus der staatlichen Energiebranche stammende Manager zog auch umgehend als Verwaltungsratspräsident bei der Aktiengesellschaft The Market Media AG ein, wie aus dem Handelsregister hervorging.
Das Start-up peilt für 2023 einen Umsatz von rund 3 Millionen Franken an, hiess es weiter im Communiqué. Es sei 2019 mit mehreren Personen um Chefredaktor und Geschäftsführer Mark Dittli gegründet worden und habe 2021 die Gewinnschwelle erreicht.
Dittli ist in der Schweiz bekannt dafür, dass unter seiner Leitung die Auflage beim Wirtschaftsmedium «Finanz und Wirtschaft» rasant eingebrochen war.
Deutsche Sprache vernachlässigen
The Market beschäftigt derzeit zehn Personen. Dittli schied aus dem Verwaltungsrat aus. Das journalistische Konzept der Online-Plattform beruht auf ewig langen Artikeln mit vielen Anglizismen. Die Redakteure sind bisher aber kaum an Medienkonferenzen gesichtet worden.
Wie dieses Engagement zum Wirtschaftsteil der «Neuen Zürcher Zeitung» und zur Wirtschaftsredaktion der «NZZ am Sonntag» passt, ist derzeit zudem völlig unklar. Nur schon der englische Name will gar nicht zur «NZZ» passen, welche die deutsche Sprache stets hochhält.
Platz für muula.ch machen
Beim Stammblatt hatte «NZZ»-Super-Chefredaktor Eric Gujer das Wirtschaftsressort auch kontinuierlich diminuiert und die Kompetenzen zusammengestrichen.
Der ursprüngliche Chef der «NZZ»-Wirtschaftsredaktion Peter Fischer wurde abgesetzt und als schreibender Chefökonom installiert.
Die Wirtschaftspublizistik geht nach dem Wegfall des promovierten Volkswirts Fischer an der Spitze stark in die Breite und alles, was The Market macht, gab es praktisch auch schon vorher bei der Finanz- und Börsenredaktion.
Warum muss eine Firma auf der einen Seite das Angebot abbauen, wenn sie auf der anderen Seite das Gleiche wieder zukauft? All dies ist schon merkwürdig.
Die «NZZ»-Wirtschaftsberichterstattung mache Platz für neue Wirtschaftsmedien wie muula.ch, erklärte unlängst sogar ein Top-Kadermitarbeiter der «NZZ»-Redaktion zu den Entwicklungen.
Integration ins Stammhaus?
Die Übernahme könnte aber auch bedeuten, dass die NZZ-Gruppe sieht, dass es ohne tiefgehenden Wirtschaftsjournalismus eigentlich in der Schweiz nicht geht.
Da die Journalisten bei dem Start-up sicher nicht so üppige Gehälter, wie bei der ursprünglichen Wirtschaftsredaktion der «NZZ» oder bei «Finanz und Wirtschaft» erhalten werden, ist mit dem Zukauf quasi bloss eine Kosteneinsparung in der Redaktion verbunden.
Allerdings macht auch eine separate Aktiengesellschaft für die Mini-Geschäfte mit regelmässigen Reportings und Jahresabschlüssen kaum einen Sinn. Eigentlich würde dies die Integration in die ursprüngliche Wirtschaftsredaktion der «Alten Tante» an der Zürcher Falkenstrasse nahelegen.
11.12.2023/kut.