Peter Sloterdijk spricht über Automatisierungen mittels KI, über die Drogen der Weltwirtschaft und über die bedeutendste Frage vom WEF, die in Davos aber nie gestellt werde.
Einer der bedeutendsten Philosophen und Autoren der Welt, Peter Sloterdijk, hat sich zu den wichtigsten Problemen der Neuzeit, wie der Künstlichen Intelligenz KI, geäussert.
«Kein Mensch wird gerne durch eine Maschine ersetzt, es sei denn, ein Bagger macht schwere Schaufelarbeit überflüssig», sagte der Gelehrte in einem Interview mit dem deutschen «Handelsblatt».
Repetitives auf Sklaven verlagern
Im Allgemeinen kränke es aber, sich überflüssig zu fühlen, betonte er.
«Die Menschen haben schon vor Jahrtausenden das Unangenehme, das Anstrengende, Repetitive auf Sklaven verlagert, später auf Maschinen, die wie Sklaven einzusetzen waren, nur ohne die Ermüdbarkeit, die zur menschlichen Natur gehört», erklärte der Starphilosoph weiter.
«KI ersetzt nun tendenziell nicht nur den Arbeits- und Haushaltssklaven, sondern auch den Soldaten», sagte er zudem.
Dies sei eine der Lektionen aus dem Ukrainekrieg, wo Drohnen die Piloten einsparten und mit den fliegenden Sklaven die Feldherren zu Hause bleiben könnten.
Begriff Arbeit verändert sich
Angst bräuchten die Menschen aber keine vor der neuen Technik zu haben.
«Sämtliche technische Revolutionen haben die Arbeit insgesamt nicht verringert», betonte Sloterdijk, auch wenn es zwar einen riesigen Strukturwandel der Arbeit gab und gibt, führte der Intellektuelle weiter aus.
Der Begriff Arbeit habe sich dabei allerdings selbst bewegt:
«Neben dem Herstellen, Kommunizieren, Verwalten, Aufräumen, Reinigen ist ein enormes Feld verbrauchender Handlungen auf die Arbeitsseite übergegangen, sagte er etwa mit Blick auf Lieferdienste.
«Das Einkaufen wurde als Arbeit förmlich anerkannt, indem sie durch einen anderen Dienst substituiert wird», erklärte der im deutschen Karlsruhe geborene Experte.
130 Stunden an Freizeit
«Der Traum von Entlastung und Freizeit ist zu einem guten Teil verwirklicht», sagte er weiter.
Von den 168 Stunden einer Woche arbeite der Deutsche etwa 38,5 Stunden und sei daher mit der Verlegenheit konfrontiert, aus rund 130 freien Stunden etwas zu machen.
So tobten sich die Menschen eben mittlerweile bei Social Media um Facebook, Twitter & Co. aus, weil es gar nicht so viele Fischer brauche, welche die Weltmeere leerfischten.
Besser als Computer sein wollen
Doch dabei falle die Menschheit in ein altes Handlungsmuster zurück: Muss man über den Tod von Autoren traurig sein, den der Chatbot bewirke, weil er einen Gutteil der mechanischen Formulierungsarbeit übernimmt, fragte der Philosoph rhetorisch.
«Ich meine nicht», erklärte der Philosoph. Die Menschheit lasse sich aber nicht dadurch retten, dass wir beteuern, irgendetwas besser als ein Computer zu können.
Er selbst sei in gewisser Weise ja auch bloss ein Chatbot, sagte er etwas humorvoll und selbstkritisch – er habe schliesslich viele Bücher studiert, bis er die fachlichen Diskurse automatisch abspulen konnte.
Viele Horrorgeschichten
Was mechanisch ablaufe, auch auf Nervensystemen, werde früher oder später als mechanisch erkannt und könne dann nachgebaut werden.
«Natürlich gruselt das den Menschen, doch es gruselt ihn gern.»
Man könnte meinen, die gute alte Einrichtung der Geisterbahn sei von den Kirmessen in die Redaktionen der Feuilletons verlegt worden, erklärte er.
«Jeder Kulturredakteur, der auf sich hält, eröffnet seinen eigenen Geister- und Monsterbahnbetrieb», sagte er über die vielen Horrorbeiträge zu den Auswirkungen von KI.
Problem mit der Wahrheit lösen
Die Sphäre des Mechanischen dehne sich einfach immer weiter zulasten des Seelischen aus und diese Nachäffung des scheinbar einzigartigen Humanen durch den Apparat könne man durchaus als unheimlich empfinden, sagte er ganz staatsmännisch.
Dabei entsteht jedoch ein enormes Wahrheitsproblem, wenn die Beweiskraft von Lichtbildern in Bezug auf das Reale nicht mehr gegeben sei. Dann lebe man in einer künstlichen Realität. «Aber was früher eine Krankheit war, wird heute eine Kunstform: das pathologische Lügen», so der Experte.
Mit dem Appell an die gute alte Ehrlichkeit werde man nicht mehr weit kommen, sagte er.
«Technische Kontrollmechanismen werden wichtig. Sie müssen der Fälschung mit ihren eigenen Mitteln entgegentreten», hiess es weiter.
«Zu jedem Foto wird man ein Entstehungsprotokoll fordern, fälschungssicher angelegt», erklärte er die Zukunft von KI.
Imperiale Selbstüberschätzung
Als Seitenhieb gegen die USA, Russland und China sagte Sloterdijk in diesem Zusammenhang, dass es nicht nur künstliche Intelligenz, sondern auch künstliche Dummheit gebe.
Diese Länder hätten nämlich noch nicht begriffen, dass Gross-sein-Wollen langfristig ein suizidales Programm ergebe.
In Europa weiss man dies seit 1945 ziemlich präzise und auf dem Höhepunkt der natürlichen Dummheit wollten selbst Kleinstaaten, wie Portugal, Belgien, Holland oder Dänemark, Weltmächte sein und wurden es auch.
«Nach den entsprechenden kriegerischen Katastrophen blieb davon kaum etwas übrig», erklärte er das älteste Schema imperialer Selbstüberschätzung.
Künstliche Intelligenz diene dabei auf höchster Ebene aber keinen intelligenten Zielsetzungen, sondern die irrationalen Machtzentralen instrumentalisierten sie für Ausdehnungskämpfe im Bann ihrer selbstüberschätzenden Höchstdummheit, so die einfache Erklärung.
Wohltäter seiner Kundschaft
Doch auch am Weltwirtschaftsforum WEF in Davos und am sich Einschränken aufgrund der übermässigen Nutzung der natürlichen Ressourcen lässt der Philosoph kaum ein gutes Haar.
«Die Manager und Politiker dort sind wie Goldfische, die sich gegenseitig versichern, dass sie noch im selben Goldfischglas schwimmen». Und die Betreiber von Kohlekraftwerken würden sich beim Klimawandel nicht als Brandstifter bezeichnen, sondern sie möchten, wie übrigens jeder Drogendealer, als Wohltäter seiner Klienten gelten, erklärte er.
Doch bis vor Kurzem habe man das Verzichten oder das Sich-Mässigen im unteren Teil der Ethik angesiedelt. «Der Massenkultur ist mit Verzichtsparolen nicht beizukommen», sagte Wissenschafter mit Jahrgang 1947.
Eindruck von Stabilität erwecken
Das moderne Wirtschaftssystem beruhe nun mal auf dem Zyklus von Überproduktion, Überkonsum und Überfinanzierung, sprich extremer Verschuldung.
«Wenn sich der Überkonsument auf einmal zu einem bescheidenheitsgelenkten Normalkonsumenten entwickeln wollte, was macht dann der Überproduzent?».
Man müsste als Alternative wissen, wie man ein Kartenhaus mit seinen ganzen Labilitäten so konstruiere, dass das Ganze den Eindruck von Stabilität hervorrufe.
iPhone als Superdroge
«So gut wie alles, was wir heute konsumieren, hat längst auch einen opioiden Faktor», mahnte er.
Produkte, mit denen ich eine Klientel süchtig mache, bildeten die Schlüsselgeschäfte sagte der Philosoph weiter, wobei die Ware Energie als führende Mobilisierungsdroge weit vorne an erster Stelle stehe.
Selbst das iPhone sei eine Superdroge, erklärte er.
Lösung in Davos gefunden
«Die unendlichen Geschäfte des Tourismus, der Kosmetik, der Mode weisen Sucht-Charaktere auf», sagte Sloterdijk diesbezüglich.
«Wie stelle ich dem irrationalen Begehren der anderen die passende Falle», sei die Leitfrage der Weltwirtschaft, die aber «unter den Dealern in Davos nicht diskutiert» werde, so die Kritik.
Man brauche am WEF auch keine Diskussion darüber, denn man habe sich schon auf die Lösung geeinigt. «Es geht darum, alternative Drogen aufzubieten – Methadon für alle», hiess es gesellschaftskritisch weiter.
Finger in Wunde legen
Und auch die Klimaaktivisten, die sich derzeit vielerorts auf die Strassen klebten, kritisierte Starphilosoph Sloterdijk.
Diese seien im Zeitalter von Fossildrogen aufgewachsen und glaubten nunmehr fest daran, dass es Sonne und Wind für sie richten würden.
Die Droge Sonne sei dabei bloss als globales Methadon verfügbar, und sie solle einfach schneller liefern als bisher vorgesehen, so die Ausführungen zur aktuellen Klimadiskussion.
Doch diese Klimakleber flögen dann für drei Wochen nach Mallorca, legte Philosoph Sloterdijk gegenüber dem «Handelsblatt» gleich noch einen Finger in eine aktuelle Wunde der Gesellschaft.
18.07.2023/kut.