Schweizer Behörden sollen unabhängig sein. Doch Banken tragen die Defizite der Übernahmekommission, wie Recherchen von muula.ch ergaben.
Der Schweizer Finanzmarkt hat schon so seine Eigenheiten.
Die Verbandelungen des Personals sind solche Besonderheiten, sodass etwa die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht Finma beim Behördendirektor auf einen Deutschen zurückgreifen muss.
Staat aus der Pflicht
Doch während man die Connections unter den Menschen in der kleinräumigen Schweiz noch verstehen könnte, sind die Verstrickungen auf institutioneller Ebene am Schweizer Finanzplatz teils schon merkwürdig.
So ergaben Recherchen von muula.ch, dass die Schweizer Börse SIX die Defizite der Übernahmekommission trägt.
Das ist komisch, weil eine Behörde unabhängig sein soll und ihre Kosten entweder direkt durch den Staat oder über Gebühren verursachungsgerecht von den «Beaufsichtigten» decken soll.
Defizitgarantie der SIX
Schaut man jedoch in die Tätigkeitsberichte der Übernahmekommission, so werden die Defizite regelmässig von der SIX übernommen.
Für das Jahr 2023 weist die Behörde auf Seite 9 einen Verlust von fast 600.000 Franken auf, der von einer «Defizitgarantie SIX Swiss Exchange AG» gedeckt wird.
Daher fragte muula.ch bei der Schweizer Börse SIX nach, warum sie offenbar so spendabel ist.
Übertrag von Vorschuss
In Art. 126 des FinfraG sei festgehalten, dass die Börsen die Kosten der Übernahmekommission tragen, soweit diese nicht durch ihre Gebühren gedeckt seien, teilte ein Mediensprecher der SIX auf die Anfrage von muula.ch mit.
Ein solcher Fall könne eintreten, «wenn es wenige Übernahmen und damit wenige Gebühreneinnahmen gegeben hat», hiess es weiter.
Gibt es in einem Jahr mehr Übernahmen und mehr Gebühren, übertrage die Behörde den Vorschuss auf das nächste Jahr, so die Systematik.
Mit unabhängigen Prüfungen von Fusionen, Kapitalherabsetzungen oder Unternehmenskäufen beziehungsweise Firmenverkäufen kann die Behörde dennoch ins Minus rutschen – je nach dem Aufwand.
Wertberichtigung von Millionen
Die Übernahmekommission sei dabei aber eine unabhängige Behörde, und alle ihre Aufgaben sowie auch ihre Kostentragung seien gesetzlich geregelt, betonte der SIX-Mediensprecher.
Konkret habe die grösste Schweizer Börse seit 2012 rund 3,5 Millionen Franken an die Behörde überwiesen und das Geld bei sich in den Büchern im vollen Umfang wertberichtigt, erklärte der Börsenbetreiber.
Knappe Antwort der Berner
Doch warum trägt nur die SIX und nicht auch die Berner Börse BX Swiss einen Teil der Verluste, wenn doch im Gesetz von «Börsen» die Rede ist?
Es habe im vergangenen Jahr keine öffentlichen Kaufangebote betreffend an der BX Swiss kotierten Gesellschaften gegeben und vor diesem Hintergrund habe sich die Frage einer Beteiligung am Defizit der Übernahmekommission für die BX Swiss nicht gestellt, teilte der zur Börse Stuttgart gehörende Berner Börsenbetreiber nur auf ein Jahr bezogen mit.
UBS kontrolliert rund 35 Prozent
Somit ist klar, dass die Übernahmen in der Schweiz quasi von den Schweizer Banken gesponsert werden, denn die Schweizer Börse SIX gehört rund 120 Finanzinstituten.
Mit der Notfusion der Credit Suisse (CS) und der Grossbank UBS hat die fusionierte Bank einen Anteil von fast 35 Prozent an der SIX.
Damit trägt die Monsterbank UBS also quasi indirekt über ein Drittel der Verluste der Übernahmekommission.
Unabhängigkeit gefährdet?
Wenn also nun mal Rechtsanwälte für die UBS und mal für die Übernahmekommission tätig sind, darf man durchaus die Frage nach der Unabhängigkeit stellen.
Interessenkonflikte kann da wohl niemand zu 100 Prozent ausschliessen. Wie sich die Übernahmekommission sogar neutral zum UBS-CS-Merger äussern kann, ist so manchem Marktbeobachter schleierhaft.
Mit dem Segen der Behörde konnte die Grossbank UBS ihr Aktienrückkaufprogramm nachträglich anpassen.
Doch der Finanzplatz Schweiz hat eben so seine Besonderheiten und dass die Schweizer Börse SIX die Millionendefizite einer Behörde deckt, ist sicher so eine Merkwürdigkeit.
24.05.2024/kut.