Schweizer Sonntag vor dem Ausverkauf

Die Schweizer müssen einen weitreichenden Entscheid treffen. Tradition versus Moderne sowie die Rolle des Staates stehen auf dem Plan. 

Der Sonntag gilt in der Schweiz als heilig.

Ein Tag für Ruhe, Familie, Wanderung – und vielleicht für einen Abstecher in die Beiz.

Am Bahnhof oder in Tourismuszone

Doch nun könnte dieser letzte geschützte Tag ins Visier der Einkaufswagen geraten.

Das Land startete eine Vernehmlassung, die mehr Sonntagsöffnungen ermöglichen soll. «Flexibilisierung der Ladenöffnungszeiten» lautet dabei das Stichwort.

Bisher war alles einfach: Wer am Sonntag einkaufen wollte, ging zum Tankstellen- oder Bahnhofsshop beziehungsweise in eine Fremdenverkehrszone.

Abschaffen mit Salamitaktik

Doch je mehr Ausnahmen erlaubt werden, desto mehr wird das Sonntagsverbot zur Fassade, wie der jüngste Streit des Detailhändlers Migros am Züricher Hauptbahnhof illustriert.

Die Kantone sollen nun aber mehr Spielraum erhalten – und dies könnte bedeuten: immer öfter offene Geschäfte, auch am heiligen Ruhetag.

Und je mehr das Land soetwas zulässt, desto mehr wird Sonntagsshopping auch zur Gewohnheit.

Lange Schlangen signalisieren Bedarf

Für die Wirtschaft ist die Sache klar: Der Sonntag ist ein verlorener Umsatztag, und Onlinehändler kennen sowieso keine Ruhepause.

Warum also nicht auch den stationären Detailhandel gleichziehen lassen und flexiblere Ladenöffnungszeiten zulassen?

Mehr Sonntagsöffnungen könnten Kunden in die Läden locken, statt sie am Laptop beim Online-Shopping zu verlieren.

Dass ein Bedarf für Sonntagseinkäufe besteht, weiss jeder, der sonntags an einem Schweizer Bahnhof bei Migros, Coop & Co. Ewigkeiten an der Kasse steht.

Die Frequenzen an Verkaufsstandorten, die aufgrund ihrer Lage an Verkehrsknotenpunkten wie Bahnhöfen und Flughäfen sonntags offen sind, bestätigten, dass Schweizer ihre Einkäufe flexibler handhaben wollen.

Belebung der Innenstädte

Zudem soll die Schweiz mit Nachbarländern mithalten können, wo sonntägliche Shoppingtouren längst zum Freizeitprogramm gehören.

Shopping sei doch ohnehin längst zur Freizeitbeschäftigung geworden, hiess es auch im erläuternden Bericht.

Das Einkaufs- und Beratungserlebnis rücke in den Vordergrund, oft in Kombination mit gastronomischen und kulturellen Angeboten.

All dies führe zu einer Belebung der Innenstädte, die an Sonntagen von Basel, Bern, Luzern, Zürich, Lausanne bis Genf mit geschlossenen Warenhäusern um Globus, Manor & Co. meist ziemlich trist aussehen.

Mehrumsatz oder nur Verteilung?

Gewerkschaften und Linke warnen hingegen. Wird der Sonntag zum Einkaufstag, verlieren nicht nur Verkäuferinnen und Verkäufer ihren freien Tag, sondern die Gesellschaft einen Teil ihrer Kultur.

Der Sonntag solle auch weiterhin so weit wie möglich der Erholung und der Pflege der Familien dienen.

Ein freier Sonntag solle den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken und nicht dem Zweck der Konsumsteigerung dienen.

Mehr für Arbeitnehmer herausholen

Die geplante Neuregelung, zwölf statt nur vier verkaufsoffene Sonntage zu haben, könnte dazu führen, dass Arbeitnehmer wegen der vermehrten Sonntagsarbeit unter Druck kämen.

Doch das Personal des Detailhandels hat dann an einem anderen Wochentag als dem Sonntag frei.

Gewerkschaften wollen den Änderungen ohnehin nur zustimmen, falls ein allgemeinverbindlich erklärter Gesamtarbeitsvertrag auf nationaler oder kantonaler Ebene bestünde, um für die Belegschaften noch mehr herauszuholen.

Die Gesetzesänderung könnte den Konsum auch gar nicht steigern, hiess es von den Gegnern.

Teile der Bevölkerung hätten zudem gar keine Mittel, um Shopping als Freizeitaktivität zu betreiben, lautete auch die Gegenargumentation.

Staat limitiert Handlungsspielraum

Die Frage, die es in der Vernehmlassung aber zu beantworten gilt, ist daher grösser als das einfache Thema Ladenöffnungszeiten.

Geht es um ein bisschen Konsumflexibilität oder um die schleichende Abschaffung des letzten gemeinsamen Ruhetags in den Familien des Landes?

Hinzu kommt das Problem, ob der Staat vorschreiben soll, wann Unternehmen ihre Geschäfte öffnen dürfen, um Waren zu verkaufen.

Wer denkt, am Sonntag gut Staubsauger verkaufen zu können, wird im 21. Jahrhundert vom Schweizer Staat klar daran gehindert.

Kirchen- oder Kassengeläut

Die Schweizer müssen daher nun entscheiden, ob der Sonntag künftig mehr nach Kassenklingeln klingt als nach Kirchengeläut. Die Teilreform des Arbeitsgesetzes unterliegt dem fakultativen Referendum. Es gibt also neben der Vernehmlassung noch eine Abstimmungsmöglichkeit.

Die Kantone könnten aber selbst bei Annahme des Vorhabens alles beim Alten belassen.

Dann bliebe in der Schweiz vielerorts der Sonntag heilig und würde nicht quasi zum Ausverkauf selbst ins Schaufenster gelegt. 

16.08.2025/kut.

Schweizer Sonntag vor dem Ausverkauf

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