Die Schweiz möchte Fehlerkulturen in Hochsicherheits-Bereichen etablieren, um aus Missgeschicken zu lernen. Die Voraussetzungen dafür schaffen aber gleich neue Probleme.
«Wer war das?», lautet häufig die falsche Frage, wenn in einer Firma oder einer Behörde ein Fehler passiert. Dann zeigt sich nämlich, dass es an diesen Orten ein falsches Verständnis im Umgang mit Missgeschicken gibt.
Vielmehr müsste die Frage lauten «Warum ist uns das passiert?».
Schuldfrage zweitrangig
Dann nämlich ist der Umgang mit Fehlern nicht mehr auf die eine Person gerichtet, die vor Scham im Boden versinkt, und das nächste Mal jeden Fehler versucht, unter den Teppich zu kehren.
Auch für Teams wirkt es elektrisierend, wenn mit Fehlern sachgerecht umgegangen, aber nicht mit dem Finger auf den Übeltäter oder die Übeltäterin gezeigt wird.
Schwierige Rechtsfragen
Nun will die offizielle Schweiz eine Fehlerkultur auch in sensiblen Bereichen, wie der Aviatik, im Gesundheitswesen, in Kernkraftwerken oder anderen hochsicherheitsrelevanten Orten, etablieren, wie das Bundesamt für Justiz am heutigen Freitag mitteilte.
Das Problem ist jeweils, dass Fehler in diesem Bereich schnell Leben kosten oder Katastrophen auslösen können. Doch genau darum geht es, langfristig Menschenleben zu retten.
Kernkraftwerke, Spitäler oder Flugzeuge würden nämlich sicherer, wenn die Betreiber aus Fehlern lernten, hiess es weiter.
Mitarbeitende sollten daher Fehler melden können, ohne zwangsläufig negative Konsequenzen wie Strafverfolgung, Verlust der Berufszulassung oder der Arbeitsstelle befürchten zu müssen.
Wille ist vorhanden
Gemäss dem Bericht des Bundesrats gibt es heute hauptsächlich in der Zivilluftfahrt Bestimmungen, die eine Fehlerkultur gesetzlich verankern. In anderen Bereichen finden sich nur vereinzelt (öffentlicher Verkehr, Kernenergie) oder gar keine Regelung (militärische Luftfahrt).
Eine Befragung der betroffenen Kreise habe aber ergeben, dass im Grundsatz das Bedürfnis bestehe, eine gelebte Fehlerkultur zu fördern.
Die Idee der Fehlerkultur zielt jedoch nicht darauf ab, Anreize für fahrlässiges Verhalten zu setzen: Wer seine Sorgfaltspflicht vorsätzlich oder in schwerwiegender Weise verletzt, kann und soll weiterhin juristisch zur Verantwortung gezogen werden.
Beim Fokus auf die Frage nach dem warum macht deutlich, wo die Schwachstellen liegen, also ob Schulungen des Personals notwendig sind oder etwa Systeme versagt haben.
Schutz wichtig
Die Umsetzung der Fehlerkultur setzt aber voraus, dass sicherheitsrelevante Ereignisse an eine bestimmte Stelle gemeldet und von dieser ausgewertet werden, um so die Grundvoraussetzungen zu schaffen, aus vergangenen Fehlern die richtigen Lehren zu ziehen.
Der Gesetzgeber kann einen Beitrag zur Verwirklichung der Fehlerkultur leisten, indem er ein Meldesystem vorsieht und ausgewogene Schutzmechanismen schafft für Personen, die ihre Fehler melden oder die von einer Meldung betroffen sind.
Strafverfolgung garantieren
Doch dabei gibt es gleich neue Probleme, wie der vollständige Bericht des Bundesrates zeigt. Bei der Vorgehensweise ist insbesondere zu berücksichtigen, dass ein solcher Schutzmechanismus genau im Spannungsfeld zum staatlichen Strafverfolgungsanspruch und zu Opferinteressen steht.
Die grundlegenden Prinzipien des Rechtssystems müssten nämlich respektiert werden, hiess es. Dazu gehöre, die Interessen der Opfer zu wahren und die Gleichbehandlung von beschuldigten Personen in der Strafverfolgung sicherzustellen.
Teil eines Gesamtkonzeptes
Doch das ist nicht die einzige Hürde. Aufgrund der unterschiedlichen geregelten Meldesysteme und Bedürfnisse kommt der Bundesrat nämlich zum Schluss, dass eine Fehlerkultur nicht als allgemeiner und übergreifender Grundsatz im Schweizer Rechtssystem verankert, sondern als branchenspezifische Regelung umgesetzt werden müsste.
Die Fehlerkultur müsse aber dabei Teil eines Gesamtkonzepts zur Sicherheitskultur werden, hiess es mahnend. Es ist also alles nicht so simple.
Und wenn beim nächsten Mal in einem Amt oder in einer Firma etwas schiefgeht und dann die Frage kommt «Wer war das?», dann haben all die Massnahmen (noch) nichts genützt.
09.12.2022/kut.