Die Schweiz führt viele Waren um Schoggi oder Luxusuhren aus. Doch Deutschland ist nun an einem anderen Schweizer Produkt interessiert.
Premiumschokolade von Lindt & Sprüngli, Luxusuhren von Patek Philippe oder Kaffeekapseln von Nespresso – die Liste der Güter, welche die Schweiz exportiert, ist lang. Der Heimmarkt ist ohnehin viel zu klein.
Die Schweiz ist für viele Exportschlager bekannt. Doch ein Schweizer Produkt findet nun ausgerechnet in Deutschland, das eigentlich selbst viele Waren und Dienstleistungen exportiert, grossen Anklang.
Ohne Automaten
Das ist aber noch nicht alles. Der Exportschlager, den der einstige Exportweltmeister übernimmt, kommt ausgerechnet bei der sonst so trägen Schweizerischen Bundesbahn SBB zum Einsatz.
Die Rede ist vom Ticket-System, das völlig ohne Automaten und Verkaufspersonal auskommt. Darüber berichtete das deutsche Wirtschaftsmagazin «Brand Eins» in seiner aktuellen Ausgabe.
Handy und Cloud
Anfang des Jahrtausends überlegten die SBB nämlich, wie sie mit speziellen RFID-Chips den ticketfreien Ein- und Ausstieg in ihren Zügen ermöglichen könnten.
Doch dafür hätten in der ganzen Schweiz an Bus, Bahn und Tram überall Sensoren anbringen müssen.
Dies hätte laut den Verantwortlichen rund 300 Millionen Franken gekostet. Und dann kam Gian-Mattia Schucan, ein promovierter Physiker, ins Spiel, der ein Ticketing-System allein über Smartphones und die Cloud ersann.
Check-in und Check-out
Mit seiner Firma Fairtiq installierten die SBB ein komplett neues Billett-System, deren Einführung nicht mehr als fünf Millionen Franken verschlang.
Die Eidgenossen kenne es – mit «EasyRide», kommen sie mit einem «Wisch» oder auf neudeutsch Swipe durch das ganze Land. Die Abrechnung erfolgt per E-Mail und ist Mehrwertsteuer-konform.
Das Problem ist doch nicht nur in der Schweiz, dass der ganze Tarif-Dschungel für die Fahrgäste viel zu kompliziert ist und die Kundschaft nicht selten ein falsches Billett in den Händen hält.
Problemloses Umsteigen
So machten sich die SBB und derzeit in einem Pilotprojekt in München, bei einem der grössten Verkehrsverbünde Deutschlands, mit 750 Millionen Fahrgästen pro Jahr, GPS-Signale zunutze und berechnen selbst den Fahrpreis für die Kunden.
«Die Software erkennt mit Hilfe der GPS-Signale, wenn man aussteigt und stoppt die Berechnung der Fahrt», erklärte der Wirtschaftsgeograf Christopher Herb, der Projektleiter beim Münchner Verkehrs- und Tarifverbund MVV, gegenüber dem Magazin. Selbst das Umsteigen mit Anschlussfahrten sei kein Problem, weil die Software dies erkenne.
Erkennen von Tageskarten
Genauso ist es bei der App von den SBB. Fahrgäste schieben dann einfach den Riegel auf ihrem Smartphone herüber, wenn sie eine Fahrt beginnen. Und ab dann beginnt der Fahrpreis.
Steigen sie aus, beenden sie einfach ihren Fahrtenschreiber. Die Software von Fairtiq & Co. berechnet den günstigsten Tarif. Der Computer kennt selbst Angebote mit Halbtax oder Höchstpreise, wie jenen einer Tages- oder Monatskarte beziehungsweise im «grossen Kanton im Norden» der Schweiz, das «Deutschland-Ticket» für maximal 49 Euro.
In der Schweiz bieten die SBB das EasyRide sogar mit Monatsrechnung an.
Break-even im kommenden Jahr
Bei der Berner Firma Fairtiq arbeiten mittlerweile schon 140 Personen und sie verkaufen 200 Millionen Tickets in ganz Europa pro Jahr.
Die Daten der Kundschaft blieben dabei in Europa, weil ihr Cloudrechner in Irland laufe. Zwar arbeite der Betrieb noch unprofitabel, da es hoher Anfangsinvestitionen bedarf.
Doch für 2024 werde bei Fairtiq der Break-even, also die Gewinnschwelle, erwartet.
Zufriedene Kundschaft
Rund 96 Prozent der 11.000 Teilnehmer am Pilotprojekt in München seien mit Swipe + Ride zufrieden. Rund 92 Prozent der Teilnehmer würden es weiterempfehlen.
Zirka 38 Prozent hätten aufgrund der Leichtigkeit mit den E-Tarifen sogar zusätzliche Fahrten unternommen, was den Anbietern der Transportdienstleistung sogar in die Hände spielt.
Im Jahr 2024 soll das System in den Regelbetrieb gehen und vor allem Gelegenheitsfahrer anlocken, die keine Lust hätten, sich mit den komplizierten Tarifsystemen von ÖV-Angeboten auseinanderzusetzen.
Harter Wettbewerb
Experten rechnen sogar damit, dass solche Preissysteme mit GPS-Trackern bald landesweit nicht nur in der Schweiz, sondern auch in Deutschland eingesetzt würden. Die Nutzung von Bus, Bahn, Tram, E-Trottinette, Roller, Taxi oder Carsharing-Angebote werde dadurch kinderleicht.
Die Deutsche Bahn DB, Siemens und noch andere Firmen machen dem neuen Schweizer Exportschlager aber schon Konkurrenz.
25.07.2023/kut.