Die versicherten Schäden gehen 2023 laut dem Rückversicherer Swiss Re stark zurück. Hat die Assekuranz einfach nur ein gutes Händchen?
Wenn Versicherer eine Medienmitteilung herausgeben, muss man analog zu Versicherungsverträgen auch immer das Kleingedruckte genau lesen.
So gab der Rückversicherer Swiss Re am Donnerstag die jährliche Statistik der weltweiten Sachversicherungsschäden bekannt, wo das Kleingedruckte eine Rolle spielt.
Dramatische Worte
«Aussergewöhnlich viele Ereignisse im unteren einstelligen Dollar-Milliardenbereich führen dazu, dass die Versicherungsschäden das vierte Jahr in Folge die Schwelle von 100 Milliarden Dollar übersteigen», hiess es gleich in der Überschrift ganz dramatisch.
«In den USA gab es in diesem Jahr bisher 18 Ereignisse mit versicherten Schäden in Höhe von mindestens einer Milliarde Dollar pro Ereignis», illustrierte der zweitgrösste Rückversicherer der Welt, wie schwierig die Situation offenbar ist.
Doch ohne eine Vergleichszahl, sagt dies praktisch nicht viel aus.
Rückgang um zehn Prozent
Auch in Europa hätten die versicherten Schäden durch schwere Gewitter zugenommen, so Swiss Re weiter. Im Jahr 2023 war Italien am stärksten betroffen und es entstanden Schäden von mehr als 3,3 Milliarden Dollar.
Noch nie hätten Naturkatastrophen in Italien derart hohe Versicherungsschäden verursacht, erklärte Swiss Re dramatisch.
Doch schaut man dann in die Tabelle zu Gesamtschäden und versicherten Schäden, so sieht es im Kleingedruckten eigentlich ganz anders aus.
Die Zerstörungen sanken 2023 insgesamt um fast zehn Prozent auf 269 Milliarden Dollar und näherten sich dem 10-Jahres-Durchschnitt von 235 Milliarden Dollar weiter an.
Deutliche Rückgänge
Und die versicherten Schäden brachen förmlich ein. Sie gingen um 23 Prozent auf 108 Milliarden Dollar zurück und lagen fast auf ihrem 10-Jahres-Durchschnitt von 99 Milliarden Dollar.
Durch Naturkatastrophen verursachten Schäden, welche die Assekuranz gedeckt hat, sanken sogar um 25 Prozent auf 100 Milliarden Dollar. Der 10-Jahres-Durchschnitt beträgt dabei 89 Milliarden Dollar.
Lediglich die durch Menschen verursachten Versicherungsschäden legten um 9 Prozent auf 8 Milliarden Dollar zu, wobei der langjährige Durchschnitt mit 10 Milliarden Dollar aber noch viel höher liegt.
Geringe Versicherungsdichte
Was hat das jetzt zu bedeuten? Einerseits kann es sein, dass die Schäden just an Stellen und Bereichen auftraten, welche im Jahr 2023 nicht versichert waren.
Das Erdbeben in der Türkei und in Syrien ist mit versicherten Schäden in Höhe von sechs Milliarden Dollar die teuerste Naturkatastrophe des Jahres 2023, hob Swiss Re im Communiqué hervor.
Doch dieses Desaster trat eigentlich in einem Gebiet auf, was keinen hohen Versicherungsschutz hat. Hätte sich ein Erdbeben in Istanbul, Tokio oder in Los Angeles ereignet, sähen die versicherten Schäden viel schlimmer aus.
Hurrikan im Vorjahr
Im Jahr 2022 hatte Swiss Re in der damaligen Medienmitteilung zu den jährlichen Zerstörungen den Hurrikan Ian mit geschätzten Versicherungsschäden von 50 bis 65 Milliarden Dollar als grössten Schaden angegeben.
Insofern ist das Erdbeben in der Türkei und Syrien, trotz des ganzen menschlichen Leids, als grösster Jahresschaden eigentlich nicht besonders nennenswert.
Vorsichtigere Auswahl
Der andere Fall, weshalb die versicherten Schäden so stark zurückgehen, könnte sein, dass die Assekuranz hinzulernt und viele Risiken in gefährdeten Gebieten einfach nicht mehr deckt.
Diese zwei Effekte führen normalerweise zum Rückgang der versicherten Schäden, also das Auftreten von Schadenereignissen an Stellen, wo die Versicherungsdichte gering ist, und die behutsamere Zeichnung von Risiken in Gefahrengebieten.
Nach zwei kommt vier
Doch es kommt noch dicker: Schaut man in die Dramatik der Versicherungsbranche, so schrieb Swiss Re, dass 2022 das zweite Jahr in Folge mit geschätzten Versicherungsschäden von mehr als 100 Milliarden Dollar gewesen sei.
2023 war dann – wenn man an den Anfang des Artikels zum Zitat der Swiss Re geht – aber plötzlich das vierte Jahr in Folge.
Dabei würde zwischen 2022 und 2023 aber ein Jahr fehlen. Irgendetwas stimmt dabei also nicht und eine Erklärung wäre von Swiss Re angebracht gewesen.
Schäden sind wie Marketing
Und die Dramatik der Schäden relativiert sich auch noch weiter, wenn man ins Kleingedruckte schaut. Trotz des schlimmen Hurrikans waren die wirtschaftlichen Zerstörungen schon damals um 12 Prozent gegenüber 2021 gesunken und die versicherten Schäden des Jahres 2022 waren um 7 Prozent gegenüber dem Vorjahr zurückgegangen.
Die Dramatik, alles wird schlimmer, stimmt offenbar nicht und wirkt eher wie Marketing für Versicherungsprodukte, wobei in einzelnen Regionen sehr wohl historisch hohe Schäden auftreten können.
In der Assekuranz muss man eben nicht nur bei Versicherungsverträgen immer ganz genau ins Kleingedruckte schauen.
07.12.2023/kut.