Nach dem Aus des Luxuskaufhauses Jelmoli in Zürich steht die Frage im Raum, wie Warenhäuser überhaupt noch überleben können. Die Antworten finden sich in Madrid und in Bern.
Wer glaubt, in der spanischen Hauptstadt Madrid bereits alles gesehen zu haben, der irrt sich gewaltig.
Genau auf der Prachtstrasse Gran Via gibt es nämlich ein unscheinbares Gebäude, das es in sich hat. Wagen sich Besucher hinein, gelangen sie fast in ein Museum, wo sie aber alles kaufen können.
Gucci, Prada & Co.
Die Rede ist vom «WOW»-Concept-Store und «Wow» ist auch der richtige Ausdruck dafür.
Alles ist extravagant hergerichtet, man traut sich kaum etwas anzufassen, weil sich Besucher wie in einer Ausstellung fühlen.
Dabei gibt es von Kleidung der Luxusmarken Gucci, Prada & Co. einfach alles, was das Herz begehrt.
Extravaganz und Hypes
In der Sportabteilung, die wie eine Umkleidekabine eines Fitnessstudios hergerichtet ist, finden sich sogar Sondereditionen der Schweizer Schuhmarke «On Running».
Die Parfumerie setzt auf Kultmarken, wie die New Yorker Kosmetikbrand Marlin+Goetz, auf Korean Beauty Hypes MiiN oder etwa auf Zadig&Volaire.
Doch die Haushaltsabteilung zieht die Besucher vollkommen in ihren Bann.
Übergrosse Zitronenpressen der Marke Alessi, die von «Arbeitern»-Skulpturen aus Kunststoff umgegeben sind. Die Lichteffekte sowie Videoanimationen sind sensationell. In ein gestaltetes Wohnzimmer will man sofort einziehen.
Selbst eine Bar, wo sich die Kundschaft ihre eigenen Lampen designen kann, fehlt nicht. Im Penthouse gibt es sogar etwas zum Essen und zum Trinken.
Online und Stationär
Das alles sind phantastische Erlebnisse, die Spass machen. Die ganze «Tour» durch das «WOW»-Kaufhaus kann Stunden dauern, wenn Besucher noch hier und dort etwas aus- oder anprobieren.
Das besondere Warenhaus an der Magistrale Gran Via ist ein Renner, und es sieht im Gegensatz zum Zürcher Jelmoli gar nicht danach aus, als würde das Konzept nicht aufgehen. Klar gehen Online-Store und Warenhaus sofort Hand in Hand.
Wandel der Bedürfnisse
Und genau diese Innovationen sind es, die ein verstaubtes Konzept aus der Zeit um 1900 noch bis in die Neuzeit am Leben halten.
Damals waren «Galeries Lafayette» oder «Samaritaine» in Paris oder noch etwas früher das «Harrods» in London gegründet worden.
Die Innovation war, dass die Kundschaft nicht mehr vom Schneider, zum Töpfer, zum Schuster durch die ganze Stadt rennen musste, sondern alles «unter einem Dach» vorfand.
Erlebnis im Vordergrund
Heutzutage findet man alles unter einem Dach im Internet und Warenhäuser sind mit ihrer ursprünglichen Idee völlig obsolet geworden.
Daher kämpfen sie auch gegen den Zeitgeist und, wie man schön bei Jelmoli in Zürich sieht, gegen die modernen Kaufgewohnheiten.
Heutzutage wollen Kunden etwas erleben, was über den profanen Kaufvorgang hinausgeht. Nur Produkte von Roberto Cavalli & Co. auszustellen und zu hoffen, dass sie irgendjemand kauft, funktioniert eben nicht mehr.
Stabile Gewinnmargen
Genau dies hat das Berner Traditionskaufhaus Loeb erkannt und sich umgestellt.
«Einfach ‹nur› Produkte anzubieten, genügt natürlich nicht mehr», sagte Nicole Loeb dieser Tage auch der «Neuen Zürcher Zeitung» in einem Interview.
Sie muss es wissen, denn sie führt in der fünften Generation erfolgreich die drei Warenhäuser in Bern, Thun und Biel und konnte die Gewinnmargen zumindest halten.
Bei Loeb investierten die Verantwortlichen in die Aufenthaltsqualität für die Kundschaft, erklärte sie weiter. «So kann man etwa in der Herrenabteilung Sportübertragungen schauen, am Flipperkasten spielen oder an der Playstation gamen», hob sie zu den Erlebnissen hervor.
Anders als die Anderen
Regelmässige Events, wie Ladies-Night, Kochkurse oder Kinderveranstaltungen, und wahrscheinlich die beste Haushaltsabteilung der Schweiz, rundeten das Angebot ab, sagte sie.
«Bei uns können Sie Dutzende von Kaffeemaschinen anschauen und vergleichen», beschrieb sie die Verkaufsstrategie. Aber auch Dienstleistungen, wie Reparaturen und Einzelbeschaffungen, erledige das Traditionskaufhaus Loeb.
«Das kommt sehr gut an, weil das sonst fast niemand mehr macht.»
Spass haben
Und noch etwas hob Loeb hervor und das ist das Nähcafé.
In dem stünden der Kundschaft moderne Nähmaschinen und Nähkästchen mit den wichtigsten Utensilien kostenlos zur Verfügung. Gleich nebenan sind aber eine professionelle Schneiderei sowie ein Stoffladen eingemietet, was bei der Kundschaft, sogar bei Jugendlichen, gut ankomme.
Schliesslich macht es auch richtigen Spass, mal die zerfetzte Jeans an einer Nähmaschine wieder etwas zu stopfen oder die Hose gleich selbst kürzer zu machen.
Alles Erlebnisse pur, wie die Beispiele eindrücklich zeigen. Und zuhause will ja kaum noch jemand so eine monströse Nähmaschine mehr haben.
Sterbendes «El Corte Inglés»
Damit zeigt sich, dass das beste Angebot für die Kunden im Vordergrund steht und nicht, ob Shop-in-Shop oder Vermietungen dem Warenhaus mehr Geld einbringen.
«Es braucht ständig neue Ideen, und alle paar Jahre sind grössere Investitionen notwendig», hob Loeb ausserdem hervor.
Genau dieses Erfolgskonzept können Besucher auch in Madrid bestaunen.
Ein in die Jahre gekommenes Gebäude der Warenhauskette «El Corte Inglés» im Stadtviertel der Reichen und Schönen, Serrano, wird nämlich nun bald als zweite Dependance des «WOW»-Warenhauses eröffnet.
08.04.2023/kut., Madrid