Hintergründe zur Ausdehnung von Glutenunverträglichkeit

Gluten ist in vielen Backwaren
Resistentere Getreidearten führen zu Problemen mit Glutenintoleranz. (Symbolbild: wesual / unsplash)

Es scheint immer mehr Fälle von Glutenintoleranz zu geben. Was steckt hinter der Ausbreitung der Probleme bis hin zur neuen Volkskrankheit?

Glutenintoleranz hier, Glutenunverträglichkeit dort. Egal, wo man derzeit hinkommt:

Viele Menschen klagen über das Problem, dass sie dieses Klebeeiweiss, also ein Gemisch aus Proteinen, nicht oder nicht mehr vertragen.

Darmschleimhaut entzündet

Diese Mischung aus Proteinen kommt in Samen einiger Arten von Getreide vor und ergibt bei Hinzugabe von Wasser zu dem Mehl aus Getreide die bekannte gummiartige Masse. Das ist dann der Teig.

Doch die Aufnahme von Gluten führt bei immer mehr Menschen zu Gesundheitsproblemen, weil sich die Darmschleimhaut entzündet und dadurch bestimmte Stoffe durch den Körper nicht mehr aufgenommen werden können.

Boom an Unverträglichkeit

Weshalb hat es dieses Problem früher nicht oder nicht so häufig gegeben?

Darüber echauffiert sich derzeit das Internet und in vielen Sozialen Medien wird darüber diskutiert, was die Ursache für den «Boom» an Glutenunverträglichkeiten sei. Immerhin leidet bereits einer von 100 Personen an solchen Problemen. Vor ein paar Jahren war die Relation 1 zu Tausenden gewesen.

Es scheint fast zu einer Volkskrankheit zu werden.

Bloss Reizdarm?

Gewiss, man darf die Menschen nicht alle über einen Kamm scheren.

Aber viele Betroffene schildern, dass es sehr lange gedauert hat, bis die Schulmedizin überhaupt auf die Idee kam, dass bei ihnen eine sogenannte Zöliakie vorliegt.

Es gibt kaum klare Indikationen und Mediziner sprechen meist nur von Verdauungsproblemen oder bloss von einem Reizdarm. 

Selbst die medizinischen Tests auf Glutenintoleranz liefern oft ein negatives Ergebnis, obwohl sich Betroffene quasi in allen Symptomen der Zöliakie wiedererkennen.

Das liegt oftmals am sehr engen Spektrum des Tests.

Allergien ausschliessen

Sensitivität für Gluten haben aber viele Menschen und dies führt nicht nur zu Verdauungsproblemen, wie Blähungen, Verstopfungen sowie Durchfällen, sondern auch zu Migräne, Schlafstörungen und ständiger Müdigkeit.

Wissenschaftliche Studien belegen, wie Getreide mit hohem Glutengehalt, also etwa Dinkel und Weizen, die Probleme verstärken.

Allerdings ist dabei auch von Allergien zu unterscheiden, welche andere Bestandteile etwa im Weizen auslösen können.

Einkorn hilft

Doch die Wissenschaft hat noch andere Erkenntnisse gewonnen und diese spielen offenbar beim Hauptgrund der häufigeren Verbreitung von Glutenintoleranz eine entscheidende Rolle.

So fanden zum Beispiel einige Wissenschafter in Italien heraus, dass eine der ältesten Getreidearten der Welt, nämlich Einkorn, einen besser verdaulichen und weniger toxischen Glutenanteil als der heutzutage verbreitete Weichweizen aufweise.

Dies ist insofern interessant, als die Welt in den 1950er beziehungsweise 1960er Jahren mit zahlreichen Getreidearten experimentierte, um den Ertrag je Pflanze zu erhöhen und die Gewächse auch resistenter gegen Schädlingsbefall zu machen.

Die Züchtungen, oft als Hybridisierung bezeichnet, kombinierten Getreide etwa mit anderen Pflanzen, aber auch mit Chemikalien.

Grössere Komplexität

Genau dies führte wohl aber dazu, dass das Proteingemisch Gluten im Getreide viel härter wurde, eine viel höhere Komplexität aufweist und daher für viele Menschen nur mit Schwierigkeiten verdaut werden kann.

Die Züchtung neuer Getreideformen führt zu komplexeren Proteinen, an denen sich die Verdauung heutzutage quasi den Zahn ausbeisst und mit immer mehr Irritationen reagiert.

Dabei ist aber noch nicht einmal von Gentechnik die Rede.

Ertragssteigerungen als Problem

Die alten Getreidearten liefern nämlich weit geringere Erträge als die neueren Kulturformen, wie eine Grafik der Eidgenössische Forschungsanstalt für Pflanzenbau Changins eindrücklich zeigt.

Die beeindruckenden Erfolge in der Weizenproduktion seien zum Grossteil intensiven Züchtungsarbeiten zu verdanken, hiess es dort in den Forschungsarbeiten der Schweiz.

Insofern sind die Ursachen für die neuen Probleme der Menschheit mit der Ertragsoptimierung in der Landwirtschaft und Agrochemie zumindest nicht von der Hand zu weisen.

Darüber diskutiert eben das Internet und muula.ch wollte die unterschiedlichen Ansichten bekanntmachen sowie zumindest den Stand der Wissenschaft beisteuern.

Nicht zu spät reagieren

«Im Gegensatz zu den modernen Getreidearten werde die Glutenfraktion dank ihrer einfachen Struktur weitgehend im Darm abgebaut, wie gastrointestinale Labortests und immunbiologische Biopsien gezeigt hätten, hiess es von den Experten zu der italienischen Einkorn-Studie.

Geht man also auf die unverfälschten Urformen von Getreide, wie Einkorn, Emmer oder auch Kamut, zurück, zeigen sich viel weniger Probleme mit Glutenintoleranz, so der Tenor.

Allerdings helfe es nicht mehr, wenn Personen bereits unter einer Zöliakie leiden, weil dann die Auswirkungen an schädlicher Glutenmenge bereits zu gefestigt seien, hiess es weiter.

In Zürich und Schaffhausen

Wo finden Menschen die Getreidearten Einkorn, Emmer oder Kamut, die bereits seit 10.000 Jahren angebaut werden?

Nun, Einkorn wird nur noch auf wenigen Hektaren in Österreich, Deutschland, Italien, aber auch in der Schweiz (wieder) angebaut.

Der auch «Sommer-Dinkel» bezeichnete Emmer, bekannt für die zwei Körner pro Ährchen und für den Einsatz in der Bierherstellung, wird beispielsweise auch im Schaffhauser Klettgau oder im Zürcher Weinland erneut kultiviert.

Probieren geht über Studieren

IP-Suisse gibt sogar Merkblätter für den Anbau von Emmer und Einkorn heraus. Das Mehl davon ist dann in Reformhäusern oder Bioläden in der ganzen Schweiz erhältlich.

Betroffenen sei also geraten, selbst einmal auszuprobieren, ob die Urformen des Getreides ihre Probleme reduzieren beziehungsweise beseitigen, oder, ob als einzige Lösung bleibt, tatsächlich nur noch glutenfreie Produkte der Nahrungsmittelindustrie um Nestlé, Danone & Co. zu konsumieren.

15.07.2023/kut.

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