Die Ökonomie des Abnehmens

Neue Medikamente zum Verlust von Körpergewicht beflügeln Firmen. Doch wie bei der Entdeckung des Penicillins wird sich die ganze Welt ändern.

Abnehmspritzen um Wegovy, Ozempic, Saxenda & Co. helfen nicht nur, individuelle Gesundheitsprobleme einzelnen Menschen in den Griff zu bekommen.

Die ganze Menschheit steht wie bei der Entdeckung des Penicillins vor einem Wandel.

Volkskrankheiten verschwinden

Dies sind Resultate von zahlreichen Analysen zu den Appetitzüglern, die derzeit weltweit die Runde machen.

Fettleibigkeit ist vielerorts ein Problem – doch mit den wöchentlichen Injektionen purzeln die Kilos einfach nur so und lassen Herz- und Kreislaufprobleme, Knochenbelastungen oder Diabetes binnen kürzester Zeit einfach verschwinden.

Neue Möglichkeit

Bisher gab es nur die Wahl, gesunde Ernährung und Bewegung oder das Messer. Dazwischen schiebt sich nun die Lösung mit Medikamenten. Eine Änderung des Lebenswandels hilft zwar, noch schneller abzunehmen.

Doch die Injektion von Liraglutid und Semaglutid, die ein körpereigenes Hormon nachahmen und den Blutzuckerspiegel regulieren, brauchen dies eigentlich nicht wirklich.

Börsenwert übertrifft BIP

Daran verdienen die Pharmafirmen zunächst sehr viel.

Der dänische Hersteller der Markennamen Wegovy und Ozempic, Novo Nordisk, kommt mit der Produktion nicht hinterher und der Umsatz überstieg vergangenes Jahr die 30 Milliarden Franken.

Der Börsenwert der Firma ist mit rund 400 Milliarden Franken sogar grösser als das Bruttoinlandprodukt BIP von ganz Dänemark.

Wer will sich da noch um die Entwicklung neuer Antibiotika kümmern, wenn im Erfolgsfall droht, dass Regierungen die Medikamente einfach wegschliessen oder nur für das Militär einsetzen dürfen? Wohl niemand.

Bessere Alternativen

Die Konkurrenz schläft angesichts des Erfolges nicht.

Die Abnehmspritze des US-Konzerns Eli Lilly mit dem Wirkstoff Tirzepatid wirkt sogar noch besser. Der Schweizer Pharmariese Roche stieg erst aus dem Markt aus und dann Ende 2023 wieder ein, wie auch muula.ch berichtete.

Die Basler kauften den Konzern Carmot Therapeutics für 2,7 Milliarden Dollar ein, um Wirkstoffe zur Behandlung von Fettleibigkeit und Diabetes im Produktportfolio zu haben.

Immerhin sind rund 1,3 Milliarden Menschen übergewichtig.

Kardashian und Musk ziehen

Die Gesundheitssysteme stritten zunächst, ob sie die Behandlungskosten übernehmen.

Nach langem Hin und Her gaben die meisten Länder nach, denn die Kosteneinsparungen dürften langfristig für das Gesundheitswesen gigantisch sein.

Es ist also nicht bloss ein Hype um Kim Kardashian oder Tesla-Star Elon Musk.

Positive und negative Effekte

Ein Blick über den Tellerrand der Gesundheitsbranche verrät, dass die Auswirkungen weit über die Arztpraxen, Pharmakonzerne und Krankenkassen hinausgehen dürften.

Von Lebensmittelherstellern bis hin zur Luftfahrt- und Bekleidungsbranche könnten zahlreiche Sektoren von einer leichteren Bevölkerung profitieren – oder auch vor neue Herausforderungen gestellt werden.

Snacks verschwinden aus Regalen

Da wäre zunächst die Nahrungs- und Genussmittelindustrie. Eine Verringerung des durchschnittlichen Körpergewichts der Bevölkerung könnte auch die Nachfrage nach bestimmten Lebensmitteln beeinflussen.

Produkte, die als ungesund gelten, wie zuckerhaltige Snacks und stark verarbeitete Lebensmittel, könnten einen Rückgang der Nachfrage verzeichnen, während die Nachfrage nach gesünderen Lebensmitteln wie Obst, Gemüse und fettarmen Produkten steigen könnte.

Beim Schweizer Nahrungsmittelriesen Nestlé sollen solche positiven wie negativen Effekte bereits spürbar sein.

Sozialsysteme atmen auf

Die Appetitzügler um Wegovy, Ozempic & Co. sollen sogar die Geburtenraten beeinflussen, weil es zahlreiche ungewollte Schwangerschaften gibt. Stimmt dies, dann ist bald nicht mehr nur von einem Pillenknick in der Geburtenstatistik die Rede.

Das hat dann alles Auswirkungen auf die Versicherungsbranche und Sozialsysteme.

Weniger Fettleibigkeit führt aber ohnehin zu längeren Lebenserwartungen – und das kostet die Gemeinschaft richtig Geld.

Schliesslich gehören derzeit Herz- und Kreislauferkrankungen zu den häufigsten Todesursachen.

Übergrössen verschwinden

Falls korpulente Menschen nicht mehr so träge am Arbeitsplatz agieren, könnte sogar die Produktivität innerhalb der Firmen und Behörden steigen. Gar nicht auszudenken, wenn die Menschen eines ganzen Landes plötzlich körperlich fitter sind und weniger Fehlzeiten aufweisen.

Die ökonomischen Überlegungen gehen aber noch viel weiter. Eine Veränderung des durchschnittlichen Körpergewichts könnte auch die Bekleidungsindustrie beeinflussen, denn wenn Menschen im Durchschnitt leichter sind, könnten sich die Grössen und Passformen von Kleidungsstücken ändern.

Dies könnte zu einer Anpassung in der Bekleidungsherstellung führen, mit einer möglichen Verschiebung in der Nachfrage nach bestimmten Kleidungsstilen und -grössen.

Vielleicht brauchen die Kleidungsproduzenten viel weniger Stoff und Geschäfte für Molly, Pummel & Dickbäuche verschwinden wohl auch.

Weniger Kerosinverbrauch

Eine Reduzierung des durchschnittlichen Körpergewichts der Bevölkerung könnte sich auch auf die Luftfahrtindustrie auswirken. Leichtere Passagiere bedeuten für Fluggesellschaften weniger Treibstoffverbrauch pro Flug, was zu Kosteneinsparungen führen könnte.

Darüber hinaus könnten Flugzeuge bei gleicher Belastung mehr Passagiere aufnehmen, was zu einer effizienteren Nutzung von Ressourcen und potenziell zu höheren Gewinnen pro Flug führen könnte.

Lufthansa-Gruppe noch zurückhaltend

Von solchen Zukunftstönen wollte die Schweizer Premiumfluggesellschaft Swiss allerdings noch nichts hören.

Als muula.ch unlängst an der Medienkonferenz danach fragte, ob an solchen Überlegungen etwas dran ist, erklärte der amtierende Finanzchef Markus Binkert, dass er dies noch nie für die Airline-Branche gehört habe.

Ob mit der Gewichtsersparnis bei Passagieren auf das Jahr wirklich Kerosin innerhalb der Lufthansa-Gruppe gespart und generell sogar schmalere Sitze konzipiert werden könnten, sei aber eine interessante Fragestellung, hiess es weiter.

Chancen strategisch nutzen

Wenn die ganze Menschheit beachtliche zehn bis 15 Prozent ihres Körperumfangs reduziert, dürften die ökonomischen Auswirkungen also vielerorts spürbar sein.

Der wirtschaftliche Einfluss neuer Abnehmmedikamente könnte tiefgreifende Veränderungen in vielen Industrien bewirken, von der Lebensmittel- und Getränkeproduktion über den Gesundheitssektor bis hin zu Luftfahrt und Bekleidungsherstellung.

Diese Entwicklungen bieten sowohl Herausforderungen als auch Chancen, die es strategisch zu nutzen gilt.

18.05.2024/kut.

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