Die Industriegruppe Von Roll gab überraschend die eigene Übernahme durch einen deutschen Konzern bekannt. Das Unterfangen der BMW-Erbin ist aber seit Längerem im Gange und das Von-Roll-Management profitiert.
Die Ankündigung am vergangenen Freitag kam überraschend, aber sie klang für einen der ältesten Industriekonzerne der Schweiz wie eine Erlösung.
Der auf Elektroisolationen und Verbundmaterialien ausgerichtete Von-Roll-Konzern soll an die deutsche Altana-Gruppe verkauft werden und damit an die BMW-Erbin Susanne Klatten gehen.
Von Gigolo erpresst
Die Ankeraktionäre um die Familie von Finck verkauften demnach alle ihre Titel an eine Tochtergesellschaft des Spezialchemiekonzerns Altana, welcher wiederum der SKion GmbH gehört, der Münchner Industriellenerbin Klatten.
Die Frau ist in der Schweiz bekannt, weil die reichste Deutsche von einem Schweizer Gigolo erpresst worden war.
Ihr Konzern machte nun Mitte August allen restlichen Aktionären beim Traditionskonzern Von Roll, der seit Jahren im Niedergang ist, ein Übernahmeangebot, da die von Fincks und das Topmanagement von Von Roll ihre Aktien bereits an Altana verkauft hatten.
Das Ziel ist die vollständige Einverleibung der Schweizer Industriegruppe und die Dekotierung von der Schweizer Börse SIX.
Schlacht im Verborgenen
Die Öffentlichkeit beachtete aber mehrere Meldungen der Schweizer Übernahmekommission zu dem Fall wenig. Diese schrieb nämlich, dass Altana bereits mit Eingabe vom 31. März 2023, also schon Monate vor Bekanntwerden des Deals, an die Übernahmekommission gelangte.
Wann die Gespräche zwischen den beiden Münchner Familienclans begannen, ist allerdings nicht bekannt.
Bei der Übernahmekommission wollten die Deutschen indes feststellen lassen, dass laut den Statuten der Von Roll Holding «die übernahmerechtlichen Mindestpreisregelungen nicht zur Anwendung kommen» sollten.
Verhandlungen in Kürze
Altana verhandle zurzeit mit der Gruppe von Finck über den Abschluss eines Aktienkaufvertrages zum Kauf der von der Gruppe von Finck gehaltenen Von Roll-Aktien, hiess es in einem Dokument weiter.
Gleichzeitig führe Altana laut den Angaben vom März bereits eine Due Diligence bei Von Roll durch und werde «in Kürze mit der Von Roll die Verhandlungen über eine (übliche) Transaktionsvereinbarung beginnen», wie die Übernahmekommission selbst das Schreiben der Altana zitiert.
Weil Altana beabsichtige, «Von Roll ganz zu übernehmen resp. über ein öffentliches Kaufangebot so viele zusätzliche Von Roll Aktien zu erwerben, dass ein Squeeze out möglich ist,» wolle Altana nicht im Aktienkaufvertrag mit der Gruppe von Finck einen höheren Kaufpreis je Von Roll-Aktie vereinbaren «als im öffentlichen Kaufangebot den Publikumsaktionären angeboten und bezahlt werden soll», hiess es weiter.
Unbekannte Regel
Hintergrund des Ganzen ist eine über zehn Jahre alte Satzungsänderung, wonach die Familie von Finck nicht jedes Mal ein öffentliches Kaufangebot machen wollte, wenn sie innerhalb der Familie die Von-Roll-Titel verschiebt.
Im Fax-Schreiben vom 5. April 2012 gelangte aber der damalige Präsident der Übernahmekommission an die Verantwortlichen bei Von Roll und schrieb bezüglich der Einladung zur Generalversammlung, an der die Satzungsänderung beschlossen werden sollte:
«Unerwähnt bleibt hingegen, dass diese Klausel der Aktionsgruppe von Finck auch erlaubt, eine Kontrollbeteiligung zu veräussern, ohne dass der Erwerber verpflichtet wäre, ein öffentliches Kaufangebot zu unterbreiten».
Sollte es zu einem späteren Zeitpunkt zu kontrollrelevanten Transaktionen kommen, die nicht unter die in der Einladung erwähnten, internen Umstrukturierungen innerhalb der Aktionärsgruppe von Finck fallen, sei daher nicht auszuschliessen, dass die Übernahmekommission die Gültigkeit des Opting out überprüft, hatte die Behörde das Von-Roll-Management gewarnt.
Und genau dieser Fall ist offenbar eingetreten.
Juristisches Tauziehen
Letztlich stellt die Übernahmekommission unter ihrer Präsidentin Mirjam Eggen nach langem juristischen Hin- und Her fest, dass die in den Statuten von Von Roll verankerte Opting out-Bestimmung im Falle eines öffentlichen Kaufangebots von Altana zum Erwerb aller sich im Publikum befindenden Aktien von Von Roll rechtswirksam sei und folglich die übernahmerechtlichen Mindestpreisregelungen auf ein solches öffentliches Kaufangebot von Altana nicht zur Anwendung kämen.
Die Schweizer Behörde drückte Altana für diese juristische Prüfung auch eine Gebühr von 40.000 Franken auf.
Die BMW-Erbin lässt sich durch die renommierten Anwälte von Bär & Karrer vertreten. Auf Von-Roll-Seite handelten die Advokaten der ebenfalls bekannten Kanzlei Kellerhals Carrard.
CEO und CFO besserstellen
Neben dieser Verfügung gibt es noch weitere Publikationen der Übernahmekommission, die sich etwa auf den Verkauf der Aktien durch das Management von Von Roll beziehen.
Darin geht es darum, ob Altana und Von Roll gemeinsam als Aktionärsgruppe handeln würden und dem Management günstigere Konditionen für den Abkauf einräumen könnten. CEO Christian Hennerkes sollte letztlich 2,5684 Franken je Von-Roll-Aktie und Finanzchef Artur Lust letztlich 2,1727 je Titel erhalten.
Die Übernahmekommission stellte aber fest, dass damit alle Beteiligte in gemeinsamer Absprache handeln würden und lehnte auch einen Eventualantrag zur Best-Preis-Regel ab, weil diese durch die andere Verteilung der Gelder an das Firmenmanagement verletzt würde.
Hennerkes sitzt beispielsweise in der Geschäftsleitung und im Verwaltungsrat. Die Übernahmekommission erhob für den weiteren schwierigen Fall eine Gebühr von 40.000 Franken, welche die von Fincks bezahlen müssen.
Bonus als Lösung
Der Angebotspreis, der nun Altana allen Von-Roll-Aktionären für die Nennwertaktien zu 10 Rappen anbietet, beträgt aber 86 Rappen, wie auch muula.ch zu dem Deal berichtete. Im März 2023, als offenbar schon die Übernahmeplanung voll im Gange war, lagen die Titel aber bei 90 Rappen und im Herbst 2022 sogar bei einem Franken je Aktie. Insofern hat sich das Zuwarten für Altana schon mal gelohnt.
Doch auch für das Von-Roll-Management fand die BMW-Erbin eine Lösung.
Denn CEO und CFO erhalten mit dem Segen der Übernahmekommission nunmehr vorab eine Gratifikation, nachdem die Schweizer Behörde den anderen Weg mit der Bevorteilung des Managements aus dem Verkaufserlös der Von-Roll-Aktien verwehrt hatte.
Für die Übernahmekommission regnete es mit diesem Entscheid nochmals 40.000 Franken.
Das Wirtschaftsnews-Portal muula.ch fragte bei der Übernahmekommission an, all die Vorgänge zu erläutern und Fragen zu beantworten. Der Rechtsdienst der Behörde teilte jedoch schroff mit, dass man zu laufenden Verfahren keine Medienanfragen beantworte und berief sich dabei auf das Amtsgeheimnis.
Vollständige Angaben kommen noch
Am vergangenen Freitag kaufte jedenfalls die beauftragte Bank, die Zürcher Kantonalbank ZKB, von Börseneröffnung bis Börsenschluss, teils hundertausende Von-Roll-Aktien zu Preisen von unter 86 Rappen, wie aus den Transaktionsmeldungen hervorgeht.
Die Deutschen um BMW-Erbin Klatten können es offenbar nach so langer Planung wohl kaum erwarten, den Schweizer Traditionskonzern nach 200 Jahren an Existenz unter ihre vollständige Kontrolle zu bringen.
Aktionäre könnten aber auch erst noch auf das vollständige Angebotsprospekt warten. Denn die genauen Konditionen und etwa die Unternehmensbewertung werden erst zu einem späteren Zeitpunkt offengelegt, wie es weiter in der Voranmeldung der Transaktion hiess.
16.08.2023/kut.