Der Mangel an Arbeitskräften macht sich vielerorts in der Schweiz bemerkbar. Nun klagt eine Branche über Personalknappheit, wo sie bisher kaum zum Vorschein kam. Die Gründe sind auch überraschend.
Firmen suchen händeringend nach Personal und nun reiht sich eine Branche in den Reigen ein, die bisher kaum Probleme mit Arbeitskräften hatte.
Die Rede ist von der Spitzengastronomie und dort schlägt das Problem gleich doppelt zu.
Passion als Wegbegleiter
Einerseits können die Gourmet-Restaurants kaum noch Personal finden. Er arbeite «sicher 80 Stunden die Woche, und das auf sechs, sieben Tage verteilt», sagte der Zürcher Spitzenkoch Tobias Funke gegenüber der «NZZ am Sonntag» zu den Gegebenheiten.
«Entscheidend ist, dass man gerne macht, was man tut. Das wird in unserer Gesellschaft unterschätzt», betonte er. «Wenn der Beruf, egal welcher, eine Passion für einen ist, das ist man richtig», sagte der bekannte Michelin-Star-Koch weiter.
Harte Bedingungen
Die Bezahlung sei vielerorts auch besser geworden. Und spannend sei die Tätigkeit allemal, wirbt der Chefkoch.
«Die Schweiz bietet eine unerhört vielfältige Gastrolandschaft, vom besten Spital über Heimküchen bis zur trendigen Vorstadtbeiz und den spannendsten Gourmetrestaurants der Welt», betonte Funke weiter.
Allerdings ist nicht alles Zuckerschlecken. «Wir arbeiten azyklisch, das hat mehr Vor- als Nachteile», beschrieb er das Problem. Auch würden zu viele Betriebe von Leuten geführt, die keine Ahnung hätten, mahnte der Starkoch.
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Und ist man auch schon bei der zweiten Hürde. «Wir haben in der Schweiz ein Riesenproblem mit dem Nachwuchs», sagte er. Vor zwölf Jahren hatte die Branche dreimal so viel Auszubildende als heute, klagte Funke.
«In einzelnen Kantonen soll diesen Sommer eine einzige Kochlehre begonnen worden sein, ich selbst habe nur eine einzige vergeben können und im Service gar keine», erklärte der Spitzenkoch weiter.
Doch die alten Zeiten, als er bei Chefkoch Horst Petermann regelrecht geschuftet hat, seien längst vorbei. «Wenn man nicht parierte, standen morgen drei neue Bewerber da. Ich habe früher 16, 18 Stunden im Tag zu einem Mindestlohn gearbeitet, man musste froh sein, einen Job zu erhalten».
Leistung trotzdem notwendig
Da habe die Branche aber dazugelernt. «Damals waren die Bedingungen nicht optimal», sagte er und wirbt für die Spitzengastronomie.
Allerdings werde heute bei Jugendlichen kaum noch vermittelt, dass man sich durchbeissen müsse. In der Spitzengastronomie könnten die Beschäftigten gut leben, in vernünftigem Mass. «Aber man muss etwas dafür tun», hob der Fine-Dining-Experte hervor.
Preise müssen weiter rauf
Doch die Gewinnmargen müssten wieder steigen. «Mit 1 bis 2 Prozent Gewinnmarge, was hierzulande üblich ist, kann man nicht wirtschaften», kritisierte er. Die Warenkosten betrügen 20 bis 40 Prozent und die Spitzengastronomie brauche auch bei einfachsten Zutaten immer Topqualität.
«Wir sind Perfektionisten und Produkte-Fetischisten, verlangen konstant höchste Qualität», hiess es. Funke erklärte als einzigen Ausweg, dass die Verkaufspreise bei den Luxusspeisen und Nobel-Tropfen weiter steigen müssten.
«Auswärtsessen sollte wieder etwas mehr zu Luxus werden, zumindest etwas Spezielles sein», machte er die Zukunftssituation klar. Wie viel sich die Preise pro Michelin-Star in der Schweiz unterscheiden, untersuchte unlängst muula.ch und machte fast konstante Preis-Differenzen aus.
Drei Arbeitsgebiete
Und noch von anderen Seiten wünschte er sich Änderungen, um attraktiver für Mitarbeitende zu werden und trotz Preiserhöhungen auch mehr Kunden anzulocken.
Erstens hätten Deutschland, Österreich und die Schweiz viel Stammpublikum in der Spitzengastronomie. International falle Funke aber auf, dass in Top-Lokalen in anderen Ländern man unter lauter Touristen esse. Da gelte es also, die Kundengruppe zu diversifizieren.
Personalentwicklung mit Sinn
Zweitens müssten neue Wege für die Weiterentwicklung des Personals ausgebaut werden. Funke bleibe dem Michelin-Star-Restaurant «Fernsicht» in Heiden AR treu, obwohl er mit Projekten ein reines Pasta-Lokal in Zug und ein weiteres Restaurant im Herbst in St. Gallen eröffne oder ein «Fondue-Chalet» veranstalte, wo am gleichen Tisch ein Büezer und ein Topmanager sitzen.
«Neue Projekte sind vor allem eine Bühne für Mitarbeiter, die aus dem Betrieb herauswachsen und eine Chance zur Weiterentwicklung in neuem Umfeld erhalten», erklärte er das Prinzip.
Nicht nur Schoggi
Und drittens sollte etwa in Analogie auf die nordischen Länder Europas auch für die Schweiz anders geworben werden. Die Schweiz habe schliesslich seit Jahren die höchste Dichte an Michelin-Sternen in der Welt.
«Aber Schweiz Tourismus wirbt lieber mit Bergen und Schoggi», kritisierte der Starkoch gegenüber der «NZZ am Sonntag».
15.01.2023/kut.