Vom Gourmetrestaurant in die Spitalküche

Einstiger Spitzenkoch Hendrik Otto aus dem Hotel Adlon
Der einstige Spitzengastronom Hendrik Otto aus dem Hotel Adlon (Bild: Facebook/PD)

Spitäler wollen nicht nur an vorderster Front in der Medizin mitspielen. Auch bei der Patientenversorgung sollen es Spitzenpositionen sein. Geht das?

Europas grösster Spitalbetreiber hat vor rund 18 Monaten ein Experiment gestartet, das nun erste Früchte trägt.

Die Helios-Kliniken schufen eine neue Position für gesundes sowie nachhaltiges Spitalessen und besetzten diese mit Hendrik Otto, dem langjährigen Zwei-Michelin-Sterne-Star aus dem Restaurant «Lorenz Adlon Esszimmer» im legendären Luxushotel Adlon in Berlin.

Keinen teuren Käse

Statt sich fortan mit Gourmetessen um Austern, Wagyu-Beef oder Luxuskaviar und Auszeichnungen vom Guide Michelin, Gault & Millau, vom «Feinschmecker» oder um Anerkennung zum «Best Chef Germany» zu beschäftigen, stellte er die Speisekarte von Millionen der Patienten um.

«Ich bin nicht zu Helios gekommen, um Sterneküche zu machen. Sondern um etwas anzustossen», erklärte Spitzenkoch Otto im Interview mit dem Magazin «Der Spiegel» zu seinem Engagement. Gutes Essen bedeute eben nicht, den teuersten Käse der Welt einzukaufen, hiess es weiter.

Kichererbsen und Falafel

Sichtlich stolz präsentierte er die neueste Speisekarte der Helios-Kliniken. Von 21 Gerichten seien bloss noch fünf mit Fleisch und nur drei mit Fisch, lobte er seinen Beitrag zur rascheren Genesung von Kranken und zählte Kichererbsencurry mit Reis, Falafel-Bällchen und eine Bratwurst auf, die zu 75 Prozent aus pflanzlichen Proteinen sowie zu 25 Prozent aus Bio-Schweinefleisch besteht.

«Während auf der Welt Menschen verhungern, füttern wir Rinder mit hochwertigen Nahrungsmitteln, um tierisches Protein essen zu können. Das sollte man sich bewusst machen», mahnte der Sternekoch, ohne sein altes Betätigungsfeld verurteilen zu wollen.

Fisch aus dem Nachbarteich

Sein Anspruch sei es weiterhin, mit den besten Produkten zu arbeiten. Es käme aber nicht darauf an, das fünfte Schäumchen obendrauf zusetzen. «Luxus, das kann eine Kirsche sein, eine Erdbeere, die Sie in ihrem Garten pflücken. Oder die Liebe, mit der Sie etwas zubereiten», betonte Otto weiter.

Es gehe obendrein bei seinem neuen Job um essenzielle Fragen, ob die Kliniken etwa weiterhin Fisch verarbeiten sollten und, ob es dann Hochseefisch oder vielleicht ein Tier aus dem Teich in der Region sein solle.

Kaum noch Nährstoffe

Von pampigem Krankenhausessen will er zudem kaum etwas wissen. «Wenn die Leute sehen, dass nicht vor Ort gekocht wird, denken sie automatisch: Das kann nicht gut sein», sagte er.

Otto arbeite allerdings mit mehreren Caterern zusammen, welche die Speisen in den Spitälern mittlerweile regenerierten, nachdem das Essen gleich nach dem Kochen tiefgefroren worden sei.

Früher sei es teilweise so gewesen, dass die Suppe um sechs Uhr am Morgen zubereitet worden sei und als sie am Mittag bei den Patienten ankam, wären ohnehin keine Nährstoffe mehr drin gewesen, erklärte der Spitzenkoch über die einstige Vorgehensweise.

Modell für die Schweiz?

«Natürlich würden wir am liebsten im Nachbardorf beim Bauern unseres Vertrauens einkaufen, wo die Rübe eben noch in der Erde gesteckt hat. Aber wir müssen doch sehen, wo die Krankenhauswelt herkommt», mahnte er mehr Realität bei dieser Frage an.

Sein neues Engagement ist auch nicht bloss auf Patienten mit Zusatzversicherungen ausgerichtet, sondern er habe zunächst die Speisekarte bei Millionen von Grundversicherten angepasst. In den deutschen Helios-Kliniken können Patienten ohnehin 12 Essen von 6 Spitzenköchen wählen, wobei diese Gesundheitseinrichtungen eben nicht nur auf Spitzenmedizin setzen.

All dies wäre vielleicht auch ein Modell für die Schweiz. Spitzenrestaurants, wie das «Pavillon» vom Luxushotel Baur au Lac mit zwei Michelin-Sternen und 18 Punkten im GaultMillau, arbeitet ja schon mit der Vorzeigeairline Swiss beim Essen für die Premiumgäste zusammen, wie muula.ch unlängst über die Firmenstrategien quasi auf dem höchsten Niveau berichtete.

Wehmut im Leben

Seinen Weggang vom Gourmetrestaurant im Adlon bereut der Spitzenkoch nicht, doch die Erklärungen gehen unter die Haut. «Ich bin stolz darauf, dass ich nicht ein Luxushotel gegen das andere ausgetauscht habe», sagte der Gourmet-Experte, der nicht irgendwelchen Luxussachen nachheulen wolle.

Zwar sei die Aufmerksamkeit, wenn er nunmehr in ein Hotel einchecke, nicht mehr so gross und die Gäste hiessen auch nicht mehr Barack Obama oder Elizabeth II., doch damit könne er gut leben.

Spitzenkoch Hendrik Otto
Spitzenkoch Hendrik Otto arbeitet jetzt für die Helios-Kliniken. (Bild: PD)

«Ich bin so froh, dass ich nicht mehr diesem Druck ausgesetzt bin, mich von fremden Leuten bewerten zu lassen», sagte er zudem.

Wehmütig sei Otto in seinem Leben dagegen, dass er 16 oder 18 Stunden am Tag im Gourmettempel gearbeitet und kaum einen Anteil an der Erziehung der mittlerweile 21-jährigen Tochter gehabt habe, die von seiner Frau grossgezogen worden sei.

Anklang bei Belegschaft

Er habe durch den Wechsel zu dem Krankenhauskonzern zudem gelernt, dass es auch ohne den gnadenlosen Perfektionismus gehe, den er beim Dreisternekoch Harald Wohlfahrt eingetrichtert bekommen habe.

«Heute laufe ich bereits los, wenn ich nur 80 Prozent zusammenhabe», sagte der Chefkoch.

«Ich habe auch erfahren, wie schön es ist, Menschen in einem Unternehmen mit Selbstbestimmtheit auszustatten», erklärte er zu seiner neuen Tätigkeit, weil ein Konzern anders funktioniere als ein Team von zehn Leuten, wo der Chef überwiegend allein entscheiden müsse.

Letztlich scheint er durch seine neue Aufgabe nicht nur Millionen Patienten mit besserem Essen zu helfen, sondern auch bei den Mitarbeitern grossen Anklang zu finden. Sie wählten ohnehin schon viel mehr aus den veganen Speisen als die Patienten, wo es knapp sechs Prozent seien.

Perversität liegt anders

Letztlich hat er sich aber mit der Sternegastronomie in einer Bubble befunden. «Ich habe mich immer nur mit dem Maximum beschäftigt, mit der Frage: Wie kann ich es noch besser machen», gestand Otto selbstkritisch ein. Nun sei er im Reinen mit sich – aber es sei eine harte Landung gewesen. 

Die Sterneküche sei aber nicht pervers. «Pervers ist es, wenn Sie Tiere essen, die vom Aussterben bedroht sind oder weissen Kaviar vom Albino-Stör, das Kilo für 30.000 Euro», mahnte er. Für ihn sei ein Abend im Sternerestaurant wie ein Besuch im Theater, wo die Gäste etwas geboten bekämen, staunten, rausgingen und sagten, dass es cool gewesen sei. 

Pervers sei für ihn auch Billigessen, was eigentlich gar nichts mit Spitälern zu tun habe, sondern generell für das Leben gelte.

20.08.2023/kut.

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