Bisher sind Schweizer nicht selten zum Einkaufen nach Deutschland und Frankreich gefahren. Nun passiert aber das bisher Undenkbare.
«Die kaufen mir die ganzen Regale leer», empört sich die Leiterin eines Discounters am vergangenen Samstag in Basel.
Bereits eine Woche zuvor hatte es eine ähnliche Aussage in einem anderen Supermarkt der Stadt am Rheinknie gegeben.
Rückerstattung von Steuern
Wie weitere Recherchen von muula.ch in zahlreichen Geschäften der Nordwestschweiz ergaben, hat sich der Einkaufstourismus offenbar völlig gedreht.
Während früher Schweizerinnen und Schweizer jenseits der Landesgrenzen ihre Einkäufe erledigten und somit Unterschiede in den Preisen, die Stärke des Schweizerfrankens sowie die Rückerstattung von Mehrwertsteuer ausnutzten, kommen nunmehr die Deutschen sowie Franzosen in die Schweiz und kaufen hierzulande kräftig ein.
Gurken und Brokkoli
Die Gemüseregale können wir gar nicht so schnell auffüllen, wie die Deutschen sie leerkaufen, hiess es von der Leiterin des Basler Discounters weiter.
Eine Salatgurke würde in Deutschland mittlerweile 2,50 Euro kosten, während solche Produkte in der Schweiz regelmässig für unter einem Franken zu bekommen seien.
Auch bei Brokkoli, der im «Grossen Kanton im Norden» mittlerweile bei 4,50 Euro das Stück liege, schlügen die Deutschen zu.
In der Schweiz liegt der Stückpreis von Brokkoli nämlich oft nur um die 1,50 Franken.
Inflation im Euro-Raum
Das Phänomen ist aber nicht nur bei Obst und Gemüse zu beobachten.
In einer Denner-Filiale hiess es, auch Käse, Milch-Produkte und Süsswaren seien von den neuen Einkaufstouristen gefragt.
Fast alles sei nämlich in der Schweiz mittlerweile günstiger als etwa in Deutschland.
Die Inflation in der Eurozone, die teils um die zehn Prozent lag, aber Nahrungsmittel deutlich stärker trifft, habe zu dieser quasi verkehrten Welt geführt.
Günstige Elektrowaren
Bisher waren in der Schweiz zum Beispiel bloss Verbraucherpreise von Champagner, Tabak- oder Elektrowaren tiefer als in Deutschland.
So war es auch trotz der Frankenstärke eben selten günstiger, neue Apple-Produkte, wie iPhones, iPads oder eine Apple-Watch, jenseits der Landesgrenzen zu kaufen.
Für Asiaten sind Handtaschen von Louis Vuitton, Chanel oder Hermes an der Zürcher Bahnhofstrasse stets genauso wie für Golfaraber die Schweizer Luxusuhren um Patek Philippe oder Audemars Piguet günstiger als in ihren Heimatländern.
Whisky oder Rum
Mittlerweile ist hierzulande aber sogar fast alles, bis auf Kosmetik, Deodorants und etwa Haushaltsreiniger, deutlich billiger als in Lörrach, Weil am Rhein oder Konstanz, hiess es weiter.
Ein Einkauf von Schweizern im Ausland lohnt sich aufgrund der ganzen Transaktionskosten mit Fahrt- und Zeitaufwand allenfalls noch bei Fleisch, wie Rinderfilet, und bei Spirituosen um japanischen Whisky Hibiki oder Rum Zacapa.
Sonderaktionen gefragt
Zu den günstigen Einkaufspreisen in der Schweiz, die sich aufgrund der hohen Inflation für Konsumenten in Deutschland und Frankreich mittlerweile ergeben, kommt allerdings noch ein Effekt hinzu.
Laut Aussagen von mehreren Grenzgängern, die es tagtäglich am eigenen Leib erfahren und somit wissen müssen, sind Aktionen in der Schweiz besonders attraktiv.
In Deutschland gebe es bei Sonderangeboten kaum Preisnachlässe von 25 Prozent oder sogar 50 Prozent, die in der Schweiz aber quasi regelmässig auf der Tagesordnung stünden.
Franzosen in Schlangen
Und selbst bei Lebensmitteln würden daher nun nicht nur Flüchtlinge aus der Ukraine oder Studierende, die besonders auf das Geld achten müssen, in der Schlange derjenigen stehen, die warten, bis es 50 Prozent Rabatt auf Obst, Gemüse oder leicht verderbliche Waren gibt, die am nächsten Tag nicht mehr verkauft werden können.
Es reihen sich da offenbar auch immer mehr Deutsche und Franzosen in die Wartenden ein.
Selbst bei Markenprodukten stehen aber auch Franzosen gerne in Schweizer Schlangen, wie muula.ch unlängst berichtete.
Unmut in der Schweiz
Schweizer Verbraucher dürften allerdings jetzt nicht nur die leeren Regale missfallen.
Die steigende Nachfrage in der Schweiz wird nämlich auch dazu führen, dass die Detailhändler ihre Preise anheben.
Genau dies hatte bisher aber immer im grenznahen Raum zu Unmut geführt, weil die Schweizer dort die Waren förmlich leergekauft hatten und dies aufgrund der gestiegenen Nachfrage zu besonders zahlreichen Preiserhöhungen geführt hatte.
Nun passiert es eben umgekehrt, bis die Preisrelationen wieder kippen.
15.05.2023/kut.