Die Versicherungsbranche ist normalerweise etwas langweilig. Nun scheint sie in Bewegung zu geraten und die Tektonik verschiebt sich.
Die eigentlich langweilige Versicherungsbranche scheint aus den Fugen zu geraten.
Wie zahlreiche Medien diese Woche meldeten, sollen die Versicherungsgruppe Helvetia und die Basler Baloise-Gruppe heimlich Fusionspläne schmieden.
Personen stehen im Weg
Die Gerüchte tauchen zwar von Zeit zu Zeit immer wieder mal im Markt auf, weil ein solcher Zusammenschluss vom Geschäft her eigentlich Sinn machen würde.
Doch bisher sind diese Akquisitionspläne immer an den beteiligten Personen gescheitert, weil keiner vom Management auf einen Topposten im fusionierten Konzern verzichten wollte.
Die Situation dürfte sich insofern geändert haben, weil es derzeit, was die Personalien angeht, einige namhafte Vakanzen gibt. Das Zeitfenster für eine Fusion könnte also günstig sein.
Rücktritt in St.Gallen
In Basel wird Gert de Winter seinen CEO-Posten räumen und erst in einigen Monaten an Michael Müller übergeben, wie muula.ch berichtete.
Dies ist der langjährige Chef der Schweizer Einheit der Baloise.
Bei Helvetia in St.Gallen ist der Posten des Gruppen-CEO offen, weil sich Philipp Gmür entschlossen hat oder für ihn beschlossen wurde, zurückzutreten, wie muula.ch ebenfalls berichtete.
Ermottis Posten verfügbar
Auf CEO-Ebene könnte eine fusionierte Baloise-Helvetia-Gruppe also problemlos auf Müller setzen.
Der Verwaltungsratspräsident (VRP) könnte dann vom Helvetia-Konzern stammen. Wie man nämlich am Markt hört, wäre der Baloise-VRP Thomas von Planta nicht abgeneigt, auf den vakanten VRP-Posten beim Rückversicherer Swiss Re zu wechseln.
Dort ist Versicherungsexpertise ohnehin gefragt, weil der scheidende VRP, der Starbanker Serio Ermotti, der zur UBS als CEO zurückging, über kein Versicherungs-, geschweige denn Rückversicherungswissen verfügte, wie muula.ch immer wieder über die peinlichen Momente berichtete.
Loacker reaktivieren
Allerdings wären auch andere Versicherungsmanager geeignet, bei dem strauchelnden Rückversicherer einzuspringen.
Zur Verfügung stünden wahrscheinlich auch der ehemalige CEO der Helvetia-Gruppe, der Österreicher Stefan Loacker, der in bei dem Versicherungskonzern nach vielen Jahren an der Spitze überraschend ausgeschieden war und nun etwas abseits von der Versicherungsbranche beim Bankhaus Vontobel im Verwaltungsrat sitzt.
Gute Frau zur Auswahl
Zu denken sei aber auch an eine Frau, wie die Schweizerin Claudia Dill, die bei der Baloise im Aufsichtsgremium sitz und lange Zeit in der Konzernleitung der Zurich-Insurance-Gruppe für Lateinamerika zuständig und dann dort in Ungnade gefallen war.
Aus dem Verwaltungsrat bei der Baloise hört man, dass Dill dort stets einen gut vorbereiteten Eindruck macht – und auch mit ihrer operativen Erfahrung immer die richtigen Fragen stellen würde.
Die kleingewachsene Frau hat auch schon so manchen Südamerikaner ihre Durchsetzungskraft gezeigt.
Strobel von Partners Group
Beim Versicherungsriesen Zurich Insurance ist zwar Michael M. Liès gerade erst als VRP nochmal bestätigt worden.
Ewig wird der 69-Jährige das Amt aber nicht ausüben können. Ob der amtierende Zurich-CEO Mario Greco, der Mitte Juni 64 Jahre alt wird, auf seinen Posten aufrücken wird, ist noch nicht klar.
Gut geeignet wäre aber auch der einstige CEO der Baloise-Gruppe Martin Strobel, der über viel Erfahrung verfügt. Der 57-Jährige ist allerdings der zweite starke Mann im Verwaltungsrat beim Private-Equity-Haus Partners Group und will eventuell gar nicht zurück ins Versicherungsbusiness.
Banker zu Swiss Life
Beim Lebensversicherer Swiss Life ist Rolf Dörig, der langjährige VRP, im kommenden Mai auch schon 66 Jahre alt. Zwar will er dieses Amt noch länger ausüben, wie der Topmanager gegenüber muula.ch erklärte.
Beim Schweizerischen Versicherungsverband SVV hat er sich aber bereits vom Präsidentenamt zurückgezogen; über kurz oder lang wird sich auch bei Swiss Life die Nachfolgefrage stellen.
Interessant ist hierbei, dass ein Banker gut als Nachfolger von Dörig passen würde, weil Swiss Life eine Strategie eingeschlagen hat, die in Richtung Asset Management mit angeschlossenem Lebensversicherer geht.
Dabei käme sogar wieder von Planta ins Spiel, weil er eine Banker-Vergangenheit bei Goldman Sachs und Vontobel hat.
Katastrophe bei Allianz Suisse
Und noch ein CEO-Posten dürfte bald frei werden, wie man im Markt hört. Das ist jener von Ruedi Kubat bei der Allianz Suisse.
Der seit Januar 2022 amtierende Nachfolger vom beliebten CEO Severin Moser überzeugt intern nämlich bisher kaum und fällt auch extern nur negativ auf. So wurden binnen kürzester Zeit zahlreiche Skandale beim Schweizer Ableger des deutschen Versicherungskonzerns publik.
Vermittler schummelten offenbar bei rund 1000 Policen, wie das Portal «Inside Paradeplatz» unlängst berichtete.
Da stimmen offenbar Allianz-Suisse-Kontrollprozesse gar nicht. Die Affäre ist auch noch nicht ausgestanden, weil unklar ist, wer von dem Betrug alles wusste und wie die Aufsichtsbehörde Finma auf die Missstände reagieren wird.
Allianz hundertfach vor Gericht
Der McKinsey-Mann Kubat scheut offenbar auch nicht davor zurück, jahrzehntealte Unfallrenten einfach streichen zu lassen, wie «infosperber.ch» soeben publik machte. Hunderte Fälle würden derzeit vor Schweizer Gerichten landen, hiess es.
Ein solch unsägliches Verhalten eines Versicherers sei in der Schweiz schon einmalig, bestätigte sogar einer der involvierten Richter. Die Konsequenzen für das Neugeschäft der Allianz dürften fatal in der Schweiz sein.
All diese Unzulänglichkeiten sollen auch der Allianz-Zentrale in München nicht verborgen geblieben sein, wie Recherchen von muula.ch ergaben.
Allianz-Konzernchef Oliver Bäte, der Kubat höchstpersönlich auf diesen Posten in der Schweiz gehievt hat, merkt wohl selbst, dass Kubat eine Fehlbesetzung ist.
Viele Wechsel vorprogrammiert
Und last, but not least dürfte bei dem genossenschaftlich orientierten Versicherer Mobiliar bald kaum mehr ein Stein auf dem anderen bleiben. Hier braucht es eine knallharte Umstrukturierung, wie muula.ch feststellte.
Es bleibt also spannend, was in nächster Zeit in der Schweizer Assekuranz so alles passieren wird.
Die Baloise-Gruppe braucht einen neuen CEO für die Schweizer Einheit, die Helvetia-Gruppe einen Konzernchef, der Rückversicherer Swiss Re, die Zurich Insurance Group und der Lebensversicherer Swiss Life brauchen jeweils VRPs und die Allianz Suisse wird wohl auch eine neue Konzernspitze holen.
So viele Personalwechsel gab es wirklich selten zur gleichen Zeit.
Aktienkurs steigt bei Helvetia
Bei solch einer geballten Ladung an Topkadern, die nötig sind, kommt ein Zusammenschluss in der Schweizer Versicherungsbranche vielleicht gar nicht so unrecht.
Auffällig bei den Fusionsphantasien zwischen Baloise und Helvetia ist jedenfalls, dass der Aktienkurs der Helvetia in den vergangenen sechs Monaten fast um 50 Prozent zugelegt hat, während es bei den Baslern nur um rund 15 Prozent nach oben ging.
Die Musik spielt also wahrscheinlich der Helvetia-Gruppe in die Hände.
Eventuell hat da aber noch der grösste Rückversicherer der Welt, die Munich Re, ein Wörtchen mitzureden.
Wie ihr Konzernchef Joachim Wenning zum Anlegermagazin «Euro am Sonntag» sagte, will der Konzern in der Erstversicherung zukaufen und Bestände zusammenlegen, um Skaleneffekte zu nutzen.
14.04.2023/kut.