Skurrile Situation bei Schweizer Fluggastrechten

Eine Anzeigetafel in einem Flughafen mit Passagieren davor
Der Brexit sorgt für eine komplexe Situation bei Fluggastrechten. (Bild: S. Schweihofer / pixabay)

Bei Unregelmässigkeiten von Flügen müssen Passagiere ihre Rechte gut kennen. Seit dem Brexit gibt es dazu viel Verwirrung in der Schweiz.

Hans-Peter Müller und seine britische Frau können ein Lied davon singen. Sie pendeln seit Jahren zwischen der Schweiz und Grossbritannien und auf Reisen kann man bekanntermassen so einiges erleben.

Änderungen im Hintergrund

Die zwei Personen fliegen nämlich oft zwischen Zürich beziehungsweise Basel und London hin und her. Falls es aber zu Unregelmässigkeiten, wie Verspätungen, Flugstreichungen oder auch nur zu einem Wechsel des Flugzeuges kommt, haben sie den Salat.

Hans-Peter Müller, der eigentlich nicht so heisst, aber dessen richtiger Name der Redaktion muula.ch bekannt ist, ist wütend. Seit dem Brexit hat sich nämlich nicht nur vieles für Grossbritannien geändert, sondern auch für Schweizer Flugreisende.

Dies ist in der breiten Öffentlichkeit wenig bekannt und dies, so schimpft Müller, würden die Fluggesellschaften schamlos ausnutzen.

Ähnlich, aber nicht gleich

Hintergrund ist, dass seit dem Austreten von Grossbritannien aus der Europäischen Union (EU) für Schweizer nicht nur ein Reisepass für Trips auf die britische Insel nötig ist, sondern auch völlig andere Fluggastrechte gelten.

Nach dem Ausscheiden von UK aus der EU gilt nämlich die Europäische Fluggastrechteverordnung in Grossbritannien nicht mehr, sondern es gelten die Regeln von UK.

Diese sind zwar ähnlich, aber die Situation ist dennoch anders, wie Recherchen von muula.ch ergaben.

BAZL neu zuständig

Für Flüge ab der Schweiz nach UK gilt die Europäische Fluggastrechteverordnung noch, weil diese in der Schweiz gültig ist.

Flüge von UK in die Schweiz unterliegen der EU-Fluggastrechteverordnung aber nur, wenn sie von einer europäischen oder Schweizerischen Fluggesellschaft durchgeführt werden und auch nur, falls Passagiere nicht bereits Hilfeleistungen in UK erhalten haben.

Für die Beurteilung von Vorfällen solcher Flüge der ersten Kategorie ist seit dem Brexit zudem das Schweizer Bundesamt für Zivilluftfahrt BAZL als Durchsetzungsbehörde zuständig.

Bei Easyjet besonders komplex

Fluggesellschaften aus Drittstaaten, also seit dem Brexit somit auch die UK-Fluggesellschaften, welche von UK in die Schweiz fliegen, unterliegen für diese Flüge aber nicht mehr den Bestimmungen der Europäischen Fluggastrechteverordnung. Es kommen die entsprechenden britischen Bestimmungen zur Anwendung.

In diesem Zusammenhang kann es also relevant sein, ob ein Flug etwa von EasyJet UK oder EasyJet Switzerland durchgeführt wird.

Dies bestätigte das BAZL auf eine Anfrage von muula.ch.

Viele Wenn und Aber

Da das UK-Recht und die Europäische Fluggastrechteverordnung sich inhaltlich entsprächen, habe ein Passagier praktisch identische Rechte, einfach gestützt auf andere Rechtsgrundlagen, führte ein Mediensprecher der Behörde aber weiter aus.

Insofern würden Reisende nicht wirklich schlechter gestellt, hiess es. Dies, obwohl sich Änderungen betreffend Rechte von Personen mit Behinderungen oder mit eingeschränkter Mobilität für Flüge ergeben, die ab einem britischen Flughafen starten oder an einem solchen Flughafen landen.

Das BAZL publizierte zu dieser komplizierten Thematik eigens Hinweise auf der Webseite, wobei dort der Passus fehlt, dass Flüge von der Schweiz nach UK unter Umständen gleichzeitig auch den UK-Fluggastrechten unterliegen, falls dies im britischen Recht so geregelt ist.

Verwirrung vor Abflug

Bei British Airways, Swiss, Ryanair & Co. müssen Passagiere im Falle von Flugstreichungen oder Unregelmässigkeiten also immer erst schauen, in welche Flugrichtung der entsprechende Flug gegangen ist, um das anwendbare Recht zu finden.

Dann spielt es aber auch noch eine Rolle, wo der Carrier registriert ist. British Airways gilt da zum Beispiel als eine Fluggesellschaft aus einem Drittstaat. Bei Easyjet kommt es sogar darauf an, ob das Flugzeug von Easyjet Switzerland oder etwa von Easyjet Luton stammt.

Es können aber auch noch ganz andere Fluggesellschaften auf den Strecken zum Einsatz kommen, wie muula.ch unlängst berichtete. Dies verkompliziert die Situation nochmals.

Bei Easyjet bekommen Passagiere kurz vor Abflug manchmal zahlreiche Mitteilungen, dass sich der ausführende Carrier ändert und somit ändern sich indirekt möglicherweise auch die Fluggastrechte.

Ausnutzen der Komplexität?

Das BAZL teilte zudem mit, dass all dies praktisch nicht zu Beschwerden von Bürgern führe. Neben den zahlreichen Fällen von Müller und seiner Frau liegen muula.ch aber noch weitere, teils drastische Fälle von Verantwortungslosigkeit von Fluggesellschaften, vor. Die Müllers sind also kein Einzelfall.

Es scheint, als liessen Airlines manchmal Schweizer Passagiere quasi regelrecht im Regen stehen, wenn sie einen Flug streichen oder es stundenlang Verspätung gibt.

Wahrscheinlich, so eine Vermutung, nutzen die Airlines die komplizierte Situation mit Grossbritannien wohl auch ein Stück weit aus.

Schweizer Gerichte am Zug

Richtig komplex wird es für Schweizer Flugpassagiere nämlich immer dann, wenn bei Verspätungen die Ausgleichszahlungen lediglich auf der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes EuGH beruhen, weil der eigentliche Gesetzestext keine Angaben dazu macht.

Der EuGH hat jedoch einen Anspruch analog zu annullierten Flügen bejaht, wenn die Ankunftsverspätung mehr als drei Stunden beträgt. Es geht dabei immerhin um Erstattungen von 250 Euro, 400 Euro oder sogar 600 Euro pro Flug und Passagier, was ein hoher Kostenfaktor für Fluggesellschaften darstellen dürfte.

Die Urteile des EuGH sind für Schweizer Zivilgerichte allerdings nicht bindend. Disher hat sich wohl auch noch kein höherinstanzliches Gericht in der Schweiz zu dieser Frage geäussert.

BAZL fehlt Rechtsgrundlage

Und ist die Verspätung auf einen aussergewöhnlichen Umstand zurückzuführen, besteht sowieso kein Anspruch auf Ausgleichszahlung.

Manche Airlines sagen daher wohl auch nicht selten den Betroffenen von Flugunregelmässigkeiten, dass genau solche «aussergewöhnlichen Umstände» vorlägen.

Prüfen können dies die Fluggäste wohl ohnehin nur schwer. Wegen der fehlenden Gesetzesgrundlage kann das BAZL die Airline bei der Nichtbezahlung einer Ausgleichsleistung im Falle von Verspätung aber auch nicht einmal büssen.

Dies Verspätungsregel gilt ganz generell – insofern sind die Schweizer Fluggastrechte, neben dem Brexit-Problem, tatsächlich völlig skurril.

Bürger zur Wehr setzen

Für Müller und seine Frau sorgen all diese Änderungen seit dem Brexit für viel Ärger. Sie reichen ihre Problemfälle daher einfach immer beiden Aufsichtsbehörden ein, um mögliche Hilfe zu bekommen.

Dies ist aber eigentlich doppelte Arbeit für die Länder. Doch wenn die Regeln so kompliziert sind, müssen sich die Bürger wohl auf solche Weise wehren.

Müller und seine Frau haben mittlerweile allerdings noch eine ganz andere Lösung für ihre Fluggastrechte-Probleme gefunden. Die Frau zieht in die Schweiz und die Pendelei ist – genau wie der ganze Ärger mit den Airlines – erst einmal vorbei.

Die Fluggesellschaften haben damit aber auch gute Kundschaft verloren.

29.12.2023/kut.

Skurrile Situation bei Schweizer Fluggastrechten

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