Schweizer Richter sollen unabhängig werden

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Die Schweiz sollte ihre Richterwahlen komplett ändern. (Bild: S. Cho / pixabay)

Die Richter in der Schweiz zahlen ihren politischen Parteien jedes Jahr eine Menge Geld, um wiedergewählt zu werden. Das soll sich ändern, um Parteilosen und der Unabhängigkeit mehr Chancen zu verleihen.

«Es dürften 140.000 Franken sein.» Diese Summe habe Martin Burger, ehemaliger Obergerichtspräsident im Kanton Zürich und einst höchster Richter im Kanton Zürich, im Laufe seines Lebens an die SVP-Kasse gezahlt.

«Das ist im Vergleich zu anderen Parteien moderat», führte das einstige SVP-Mitglied im Interview mit dem «Tages-Anzeiger» vom heutigen Montag weiter aus.

Tausende an die Parteien

Ein Bezirksrichter im Kanton Zürich zahle der SVP 3 Prozent seines Nettoeinkommens oder pauschal je nach Funktion zwischen 4200 Franken und 5100 Franken, hiess es.

Bei der SP seien es gut 5200 Franken, aber es gebe eine progressive Skala. Bei der GLP seien es die ersten Jahre 8 Prozent des Nettoeinkommens, später 5 Prozent.

«Ein Oberrichter der SP zahlt etwa 20.000 Franken in die Parteikasse», gab Burger die Tarife öffentlich durch.

Bedürfnisse der Parteien zählen

Er bejahte auch die Feststellung, dass im Kanton Zürich nicht die besten Richterinnen und Richter arbeiteten, sondern jene, die bereit seien, in eine Partei einzutreten und dieser Partei jährlich Tausende Franken zu bezahlen.

«Bei der Auswahl ihrer Kandidaten orientieren sich die Parteien nicht in erster Linie an der fachlichen und persönlichen Qualifikation, sondern an ihren parteipolitischen Bedürfnissen», führte der 65-Jährige zur Situation zudem aus.

Optimieren der Einnahmen

Er hält das Problem nicht nur auf Kantonsebene, sondern auch auf Bundesebene für sehr ernst und sprach von rechtsstaatlich sowie demokratiepolitisch bedenklichen Machenschaften der Parteien.

«Die Parteien streben danach, ihre Leute in die Richterämter zu bringen, um dann von ihnen die Partei- oder Mandatssteuer zu kassieren», sagte der Frühpensionär.

Volk nicht repräsentiert

«Unser Richterwahlsystem ist problematisch», betonter er obendrein.

Heutzutage seien nur etwa 7 Prozent der Wahlberechtigten parteipolitisch engagiert und wenn dann nur parteigebundene Richterinnen sowie Richter gewählt werden könnten, seien über 90 Prozent der Bevölkerung an den Schweizer Gerichten gar nicht repräsentiert.

Hinzu käme, dass der Proporz die richterliche Unabhängigkeit gefährde, kritisierte Burger weiter.

Gefahr sinkender Unabhängigkeit

Der Parteiproporz sei einfach eine Abmachung zwischen den Parteien, die sich damit die Richterstellen im Verhältnis ihrer Wählerstärke zuhielten.

Damit bestünde aber die Gefahr, dass die Richter ihre parteipolitischen Pflichten erfüllen müssten und nicht mehr unabhängig sowie nur dem Recht verpflichtet seien.

«Die Parteien haben sich den Kuchen in Form von Richterstellen angeeignet und verkaufen die einzelnen Stücke gegen Geld», formulierte er das Problem pointierter.

Einzelne machtlos

Als Ausweg aus den Missständen sieht er Protest von Richtervereinigungen, wie es sie beispielsweise in der Westschweiz gibt.

Einzelne Personen könnten an dem System nämlich kaum etwas ändern, weil sie gravierende persönliche Nachteile befürchten müssten.

Die Qualität der Richterinnen und Richter sei zwar im Allgemeinen sehr gut. Allerdings sei es immer ein Kampf, die Unabhängigkeit gegen gewisse parteipolitische Widerstände zu wahren, hob der einstige höchste Zürcher Richter in dem Interview hervor.

Weg mit Parteisteuern

«Gegen die Zumutungen aus der Politik brauchen wir deshalb rechtliche Sicherungen, die diese Unabhängigkeit gewährleisten: keine periodische Wiederwahl, keine Parteisteuer, Durchbrechen des Parteienproporzes», beschrieb er die notwendigen Änderungen für mehr Glaubwürdigkeit der Schweizer Justiz.

Zuerst solle aber die Parteisteuer fallen, dann würde auch das Interesse der Parteien geringer und man könnte den Parteienproporz aufweichen. Damit könnten vermehrt unparteiische Juristen zur Wahl vorgeschlagen werden, hiess es zur Vorgehensweise.

System wie Andorra

Bei der Abschaffung der Wiederwahl von Richtern mache er sich aber keine Illusionen. Dies dürfte mit Blick auf die Bedeutung der Wahlen schwierig werden.

Doch eine Wiederwahl von Richtern würden neben der Schweiz nur noch Liechtenstein und Andorra kennen. 

Und den Richterinnen und Richtern gibt er noch mit auf den Weg, dass auch ein ziviler Ungehorsam für Veränderungen möglich wäre.

Viele wüssten nämlich gar nicht, dass zum Beispiel diese Steuer an die Parteien rechtlich gar nicht durchgesetzt werden könne.

20.03.2023/kut.

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