Die Schweizer Bauern wollen immer eine Sonderrolle spielen. Doch der Sonderstatus wird zum Bumerang für die Landwirte.
Keine Pflicht zur Beruflichen Vorsorge. Keine obligatorische Arbeitslosenversicherung. Und auch keine Unterstellung bei der Pflicht zur Unfallversicherung.
Mittellose Ehepartner
Mit all diesen Sonderwürsten, bei denen weder obligatorische Versicherungsbeiträge noch Zahlungen an Familienausgleichskassen entrichtet werden, können sich Schweizer Bauern zwar eine Menge an Geld sparen.
Doch etwa im Falle einer Scheidung stehen die Ehepartner nicht selten vor dem Nichts.
Eine politische Motion wird nunmehr damit begründet, dass viele Ehegatten oder eingetragene Partner auf dem Landwirtschaftsbetrieb zwar mitarbeiteten.
Eine Mitbeteiligung am Hof aber aufgrund des bäuerlichen Bodenrechts in der Schweiz fast unmöglich sei und viele Personen bei einer Scheidung nur schon deshalb oft vor dem finanziellen Nichts stünden.
Bundesrat stellt sich quer
Die Motion schlägt laut dem Vernehmlassungsverfahren, das am gestrigen Dienstag gestartet wurde, dafür zwei Lösungsansätze vor: Die erste Lösung besteht in der Gewährleistung eines regelmässigen Erwerbseinkommens während der Ehe.
Und der zweite Lösungsansatz besteht in der Pflicht zur Auszahlung einer angemessenen Entschädigung bei der Scheidung.
In seiner Stellungnahme zur Motion legte der Bundesrat allerdings dar, dass er sich bewusst ist, dass ein Scheidungsfall in der Landwirtschaft zu finanziellen Härtefällen führen könne.
National- und Ständerat handeln
Die konkreten Vorschläge erachtete er hingegen als zu wenig praxistauglich und kaum kontrollierbar.
So könnte die effektive Auszahlung eines Barlohns im Nachhinein kaum überprüft werden, und die Bemessung des Anspruchs auf eine angemessene Entschädigung liegt im Ermessen des jeweiligen Richters.
Entgegen der Empfehlung des Bundesrates, die Motion abzulehnen, wurde sie am 1. Juni 2021 aber vom Nationalrat und am 30. September 2021 vom Ständerat angenommen.
Untersuchung belegt Problem
Eine Studie brachte die Sonderrolle der Landwirtschaft nochmals – wissenschaftlich belegt – zum Vorschein. Die durchschnittliche Ehedauer in der Landwirtschaft lag demnach mit 21 Jahren vergleichsweise hoch gegenüber 15 Jahren in der gesamten Bevölkerung.
Bei Eheschliessung waren sich zwar in 65 Prozent der Fälle ein oder beide Ehegatten über die rechtlichen Konsequenzen des Güterstandes bewusst. Bei 35 Prozent der Befragten war dies aber nicht der Fall.
Weiter stellte die Analyse heraus, dass es in der Landwirtschaft mit 18 Prozent beinahe doppelt so häufig zu einem strittigen Scheidungsverfahren, also zu «Kampfscheidungen», komme als bei der übrigen Bevölkerung mit rund 10 Prozent.
Kinder als Hinderungsgrund
Von den Personen, welche ohne strittiges Verfahren zu einer Einigung kamen, haben 72 Prozent bewusst auf eigene Ansprüche verzichtet, wobei die Frauen 3,3-mal häufiger darauf verzichteten als Männer.
Der häufigste Grund für den Verzicht war, dass die Betroffenen das Weiterbestehen des Landwirtschaftsbetriebes nicht gefährden wollten.
Als negativer Aspekt der Scheidung wurde unabhängig vom Geschlecht mit 43 Prozent am häufigsten der Verlust des Familienalltags genannt, gefolgt von der negativen Auswirkung auf die Kinder mit 40 Prozent.
Bauer sucht Frau?
Weder das Landwirtschaftsgesetz noch weitere Gesetze enthalten konkrete Normen, welche sich mit der angemessenen Entschädigung von Ehegatten und eingetragenen Partnern von Landwirten im Scheidungsfall befassen.
Die Gesetze enthalten auch keine Delegationsbestimmung, welche es dem Bundesrat ermöglicht, Regelungen zur Vermeidung von nachteiligen Folgen einer Scheidung zu erlassen oder darauf einzuwirken.
Die geltenden Bestimmungen im Landwirtschaftsrecht decken die Anliegen der Motion somit nicht ab.
Sturm der Entrüstung
Doch die Schweiz wäre nicht die Schweiz, wenn die Landwirte etwas hergeben müssten. Die Bauern selbst lehnten nämlich alle vorgeschlagenen Änderungen ab und setzen eher auf Präventivmassnahmen.
Die Bauernverbände hielten fest, dass sie eine Änderung auf gesetzlicher Ebene sowie etwa eine Verbindung mit den Direktzahlungen an die Landwirtschaft strikt ablehnten, so die Angaben im Vernehmlassungsbericht.
Allenfalls könnte man sich über Starthilfen für den Neuanfang des geschiedenen Ehepartners oder eine verpflichtende Beratung über das Güterrecht im Scheidungsfalle unterhalten, hiess es weiter.
Einfachere Lösung
Letztlich schätzt der Bericht die Auswirkungen der beantragten Neuregelungen als gering ein. Sie seien allenfalls indirekter Art, so das Fazit.
Doch warum sollen die Bauern wieder einmal eine Sonderrolle einnehmen?
Wie wäre es, wenn auch Landwirte einfach obligatorische Beiträge wie alle Bürger in diesem Land zahlen würden?
Damit fiele zumindest mit der Zeit die nächste Extrawurst bei Scheidungen automatisch weg.
11.10.2023/kut.