Der Wind am Mietwohnungsmarkt weht deutlich schärfer. Die Ursache dafür ist aber nicht bloss die Zuwanderung.
Die Bilder von Warteschlangen bei Wohnungsbesichtigungen kursieren meist tagelang durch die Sozialen Medien.
Obwohl der Preis horrend und die angebotene Mietwohnung alt und vergleichsweise klein ist, stehen Menschenmassen da und wollen sie mieten.
Anstieg der Temperatur
Die Knappheit am Markt für Mietwohnungen hat zuletzt in der Schweiz deutlich zugenommen.
Dies geht auch anschaulich aus der jüngsten Analyse zum Schweizer Immobilienmarkt von Raiffeisen hervor, welche die drittgrösste Bankengruppe der Schweiz am heutigen Donnerstag präsentierte.
Sämtliche Indikatoren zeugten von einem deutlichen Anstieg der Markttemperatur bei Mietwohnungen, hiess es. Immer mehr Haushalte seien auf der Suche nach den immer knapper werdenden Mietobjekten.
Weniger Inserate
So habe die Zahl der online ausgeschriebenen Mietwohnungen im Vorjahresvergleich um stattliche 33 Prozent abgenommen. Damit einher gehe auch eine deutlich kürzere Vermarktungsdauer, wie aus der Abbildung deutlich wird.
Im ersten Quartal 2023 mussten Mietwohnungen im Schweizer Schnitt nur noch 28 Tage ausgeschrieben werden. Dies ist rund eine Woche oder 20 Prozent weniger als der Durchschnittswert von 35 Tagen, der sich in den vergangenen Jahren etabliert hat.
Fehlende Attraktivität
Eine Besserung der vielerorts bereits angespannten Marktlage sei zudem nicht in Sicht, teilte die Raiffeisen-Gruppe weiter mit.
Weder von der Angebots- noch von der Nachfrageseite könne in nächster Zeit mit Entspannungsimpulsen gerechnet werden.
Eine dynamische Zuwanderung wird die Nachfrage hochhalten. Doch die Einwanderung ist nicht das einzige Problem.
Gleichzeitig planen Investoren trotz sinkender Leerstände und bald deutlich steigender Mieten aber bisher keine Ausweitung der Wohnbautätigkeit.
«Im Umfeld steigender Baupreise, erhöhter Finanzierungskosten, immer höherer administrativer Hürden und deutlich gestiegener Opportunitätskosten reichen die Erhitzungszeichen nicht, um die Attraktivität neuer Bauprojekte genügend zu steigern», erklärte Martin Neff, Chefökonom Raiffeisen Schweiz, diesbezüglich.
Falsche Kennzahl
Das Problem sei dabei regional recht unterschiedlich ausgeprägt, hiess es.
Beim Blick auf Durchschnittswerte, wie der Leerwohnungsziffer, würde die Dringlichkeit nicht korrekt angezeigt, mahnte Neff.
So liege etwa die Leerwohnungsziffer mit 1,31 Prozent noch deutlich über dem langjährigen Schnitt von 1,07 Prozent seit den 1980er Jahren.
Die noch leerstehenden Wohnungen sind eben meist nicht am richtigen Ort.
Hypothekarzins steigt
Zudem stehen alle Anzeichen in diesem Markt auf eine weitere deutliche Anspannung.
«Die akute Wohnungsknappheit wird sich in immer mehr Regionen ausbreiten. Spätestens nächstes Jahr dürfte die Leerwohnungsziffer den genannten langfristigen Mittelwert bereits deutlich unterschreiten», zeigte sich Neff überzeugt.
Zwar dürften steigende Wohnkosten, etwa durch die Anhebung des Hypothekarzinses, zweifelsohne zu Verhaltensanpassungen der Markteilnehmer führen, was beispielsweise den zuletzt stark steigenden Flächenbedarf pro Kopf etwas ausbremsen dürfte.
Im aktuellen Marktumfeld weist laut Raiffeisen aber vieles darauf hin, dass der Markt aus strukturellen Gründen zumindest kurzfristig die sich akzentuierenden Probleme nicht von selbst lösen kann.
Kreative Lösungen
Die Politik könnte tatsächlich an einigen Stellschrauben drehen, um Angebot und Nachfrage am Wohnungsmarkt wieder etwas stärker ins Gleichgewicht zu bringen.
Von Nutzungseinschränkungen bei Ferienwohnungen über die Förderung von Wohnungstauschbörsen bis hin zum Überdenken des Denkmalschutzes und einer Verflüssigung des Baulandes seien viele, durchaus unkonventionelle Lösungsideen denkbar, hiess es von Raiffeisen zur Lösung des Problems.
Zeichen der Dringlichkeit
Klar sei aber, dass es zur Linderung der Schwierigkeiten am Wohnungsmarkt keine einfachen Rezepte gebe.
«Ohne schmerzhafte Güterabwägungen und einschneidende Kompromisse ist der Wohnungsnot nicht beizukommen», hält Chefökonom Neff abschliessend fest.
So werden wohl auf absehbare Zeit weiterhin die Warteschlangen bei Wohnungsbesichtigungen durch die Sozialen Medien geistern und auf die Dringlichkeit von Mietwohnungen aufmerksam machen.
11.05.2023/kut.