Istanbul sehen – bevor Schönheit und Inflation gehen

Fähre über den Bosporus in Istanbul
Mit der Fähre über den Bosporus ist ein Muss in Istanbul. (Bild: S. Müldür / pixabay)

Die türkische Metropole Istanbul ist voller Reichtümer und Geheimnisse, die darauf warten, entdeckt zu werden. Schatzgräber sollten sich aber sputen.

Die erste Million ist die schwerste, seufzen die Leute häufig und meinen, dass eine Million unerreichbar ist.

Doch wer nach Istanbul kommt, merkt rasch, dass dies nicht stimmt.

Grosse Kundengruppe

Mit fast 20 Millionen offiziellen Einwohnern ist die Metropole am Bosporus zunächst ein Moloch.

Doch wer hier Simit, also türkische Sesamkringel, oder Ayran, den türkischen Durstlöscher aus Joghurt, verkauft, dürfte nicht nur wegen der Hyperinflation von rund 50 Prozent schnell Millionär sein, sondern auch aufgrund der hohen Kundenzahlen. 

Istanbul ist magisch, Istanbul ist cool, Istanbul ist Milyon, wie es auf Türkisch heisst.

Am besten beginnen Fremde die Stadt auch direkt am Bosporus zu erkunden, also an der Meerenge zwischen Europa und Asien.

Clans von Koc und Sabanci

Um die Dimensionen der Stadt besser zu verstehen, lässt man sich zunächst mit dem Taxi durch den Stadtverkehr nach Arnavutköy fahren, einem Ort mit einst griechischer Bevölkerung, deren Vertreibung 1923 mit dem Vertrag von Lausanne auf Schloss Ouchy festgeschrieben wurde.

Hier besteigen Fremde zusammen mit Einheimischen ein Ausflugsboot und lassen sich rund zwei Stunden auf dem Bosporus hin und her schippern.

Vorbei geht es an enormen Kontrasten, von Luxus der türkischen Familienclans Koc und Sabanci bis hin zu bitterer Armut, von Yachten bis hin zu Fischkuttern, von Prunkvillen bis hin zu Plattenbauten und von zubetoniert bis hin zu vollgrün.

Tee und Baklava

Die ersten Unterschiede zwischen Europa und Asien, nur durch eine kleine Wasserstrasse und wenigen Brücken getrennt, werden da sichtbar.

An Bord trinken Insider einen «demli cay», einen starken Schwarztee, im bauchigen Teeglas. Dazu gibt es Nüsse, Baklava, Trockenobst und die ersten Eindrücke der türkischen Gastfreundschaft kommen zum Vorschein.

Zurück am Hafen von Arnavutköy hat man Lust auf mehr Türkei und geht am besten zum Dolmabahce-Palast, dem Sultanspalast direkt am Wasser im Stadtviertel Besiktas.

Einfacher Entscheid

Die Herrscher der Türkei wollten nämlich Europa in nichts nachstehen und empfanden ihren alten Topkapi-Palast als veraltet. Daher liessen sie für rund ein Viertel der jährlichen Steuereinnahmen den Dolmabahce-Palast erbauen. Er diente ab 1856 sechs Sultanen und Kalifen als Residenz.

Sitzt man genau hier am Bosporus, vor beladenen Containerschiffen, kann man verstehen, wie sich der Gründer der Republik Türkei und erste Präsident Mustafa Kemal Atatürk gefühlt haben muss.

Er blickte in die eine Richtung und sah Afghanistan, Pakistan und Iran. Dann drehte er den Kopf und seine Gedanken schwirrten nach Frankreich mit Paris, ins Königreich Italien mit Rom, ins Deutsche Kaiserreich mit Berlin und München sowie nach Grossbritannien mit London als Machtzentrale.

Genau an dieser Stelle muss Atatürk entschieden haben, dass die Zukunft der Türkei im Westen liegt. Nicht umsonst verbot er für Männer die Turbane und Quastenmützen aus Filz, die Fes, um sie durch prowestliche Hüte zu ersetzen.

Moderne Massnahmen

Gleichzeitig trieb er die Säkularisierung sowie Frauenemanzipation voran und löste 1925 die islamische Jahreszählung durch die christliche Zeitrechnung ab.

Später tauschte Atatürk nicht nur den Sonntag als arbeitsfreien Tag gegen den für Muslime heiligen Freitag ein, sondern auch die am Koran orientierte Rechtsprechung musste dem Schweizer Zivilrecht weichen.

Um vollends klarzumachen, zu welcher der beiden Ländergruppen die Türkei gehören sollte, schaffte Atatürk noch die arabische Schrift ab und führte für das Türkische das lateinische Alphabet ein.

Schwimmen wie im Bosporus

Nach so viel Geschichte können Besucher in Richtung altem Swissôtel beziehungsweise RitzCarlton-Hotel zum modernen Fussballstadion laufen.

muula.ch hingegen empfiehlt aus Erfahrung, einen Abstecher vorbei am Luxustempel Four Seasons Bosporus hin zum Ciragan Palace zu machen.

Das Luxushotel der Kempinski-Gruppe braucht nicht als Unterkunft zu dienen, sonst wird das wahrscheinlich mit der Million nichts mehr.

Aber einen Kaffee oder Tee sollten sich Besucher der Stadt im Garten des alten Palastes gönnen.

Sichtbar wird neben dem Kontrast der Stadt dabei, dass der Swimmingpool bei den Nutzern den Eindruck erweckt, im Bosporus zu schwimmen. Das ist ein Erlebnis pur.

In Bann gezogen

Ein ganz anderes Gefühl von Pracht vergangener Zeiten liefert sodann die byzantinische Kirche Hagia Sophia, die einstige Kathedrale Konstantinopels, die jahrhundertelang als Moschee genutzt wurde.

Prachtvolle Mosaike, die Kuppel und die einzigartige Atmosphäre dieses architektonischen Wunders ziehen praktisch jeden in den Bann.

Gleich in der Nähe gibt es noch den Grand Bazar, dessen Besuch sich für Feriengäste ebenfalls lohnt, weil hier seit dem 17. Jahrhundert täglich um Millionen gefeilscht wird.

Wein von Kavaklidere

Mit der kleinen Tünel-Standseilbahn gelangt man wie 5,5 Millionen Fahrgäste pro Jahr rasch vom Stadtteil Karaköy mit seinen Galerien, Boutiquen, Ateliers junger Modedesigner und auch Strassenkunst nach Beyoglu.

Dort können Besucher dann noch vom Galata-Turm die Aussicht auf Istanbul geniessen.

Abseits ausgetretener Pfade finden Touristen in diesem Viertel authentische Restaurants und Imbissstände, die türkische Traditionsgerichte servieren.

Meze, Köfte, Lahmacun lauten die Schlagworte der Köstlichkeiten in den Gassen.

Leckerer türkischer Wein von Kavaklidere darf dabei nicht fehlen.

Bahnhof als Geschenk

Auch lohnt sich ein Ausflug für einen Tag mit der Fähre auf die asiatische Seite – zum Beispiel vom Hafen in Karakoy nach Üsküdar.

Die Fahrt, die auch von anderen Punkten auf der europäischen Seite aus starten kann, ist spektakulär und führt an der sagenumwobenen Insel Kiz Kulesi vorbei. Von der Uferpromenade laufen Ortskundige dann bis Kadikoy, um den deutschen Bahnhof «Haydarpaşa station» zu sehen.

Die Deutschen schenkten einen Bahnhof, damit die Türken dann die Trasse des Orient-Express bis zur Bagdadbahn in Richtung Anatolien, Iran und Irak bauten.

Ein Millionengeschenk, aber mit Millionen an Hintergedanken. So wurden damals Geschäfte gemacht.

Feilschen gehört dazu

Von dort aus nimmt man die Fähre, begleitet von vielen Möwen, wieder zurück auf die europäische Seite und hat eigentlich schon Millionen an Eindrücken von diesen symbolträchtigen Orten rund zwei Flugstunden von der Schweiz gewonnen.

Wer das alles erleben will, muss sich aber beeilen.

Denn einerseits nimmt die türkische Zentralbank den Kampf gegen die Hyperinflation ernst und verdoppelte die Zinsen dieser Tage nahezu auf 15 Prozent. Das war der erste Zinserhöhungsschritt seit über zwei Jahren gewesen.

Doch zu Istanbul gehört die Teuerung und das Feilschen mit grossen Scheinen eigentlich irgendwie dazu.

Angst vor Gefahr

Andererseits ist die Metropole am Bosporus aufgrund ihrer geografischen Lage stark anfällig für Erdbeben.

Das Beben an der türkisch-syrischen Grenze mit über 50.000 Toten im Februar dieses Jahres war bloss ein Vorbote, für das, was Istanbul an extremen Erschütterungen erwartet, wie Experten seit Jahren warnen.

Grosse Rückversicherer, wie Munich Re, haben längst ihre Büros in der Türkei zwischen der Anatolischen und Eurasischen Platte geschlossen und zeichnen kaum noch Risiken in der Region.

Rund 1,6 Millionen Häuser in Istanbul gelten als erdbebenunsicher. Mega-Erschütterungen dürften da eine Tragödie auslösen und Millionen an Toten bescheren, so die traurigen Vorhersagen.

Millionenfache Eindrücke

Istanbul ist jedenfalls eine Stadt der Kontraste, eine Mischung aus Tradition und kreativer Moderne, kultureller Vielfalt und atemberaubender Architektur.

Ein persönlicher Augenschein erklärt, warum dabei alle von Magie sprechen und warum türkische Schriftsteller, wie Orhan Pamuk, mit ihren Werken millionenfach erfolgreich sind.

Die erste Million im Leben ist die schwierigste, heisst es. In Istanbul bekommen sie Millionen von Einwohnern und Millionen von Touristen in Form von millionenfachen positiven Begegnungen ziemlich schnell zusammen.

Die Million auf dem Konto spielt dann aber rasch keine Rolle mehr.

01.07.2023/kut.

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