Starökonom Hans-Werner Sinn zeigt in Luzern, woran das Weltfinanzsystem krankt. Die Lösung zu Problemen des Euros findet er sogar in der Schweiz.
«Banken fordern von ihren Kunden zehnmal mehr Eigenkapital, als sie selbst haben, bevor sie ihnen einen Kredit geben», sagte der deutsche Wirtschaftsprofessor Hans-Werner Sinn am Dienstagabend in Luzern.
Alles andere wäre den Geldhäusern viel zu riskant, führte der Starökonom aus Deutschland während seines öffentlichen Vortrages am Institut für Schweizer Wirtschaftspolitik IWP an der Universität Luzern weiter aus.
Nur harte Eigenmittel zählen
Die Grossbank UBS brauche dringend mehr Eigenkapital, sagte Sinn, der eigentlich zum Thema Staatsschuldenwirtschaft sprach. Doch die Forderung nach mehr Eigenmittel für die systemrelevante UBS diskutiere die Schweiz ja schon selbst, sagte er.
Auf die Frage des Wirtschaftsnews-Portals muula.ch, wie hoch denn aus seiner Sicht das Eigenkapital der UBS bestenfalls sein sollte, wich Sinn dann aber aus.
Klar sei allerdings, dass der aktuelle Wert des harten Eigenkapitals sowie das Berücksichtigen von risikoangepassten Kernkapitalquoten im Krisenfalle kaum ausreichen dürften.
Hunderte gespannte Zuhörer
Dies konnte die Welt eindrücklich an der jüngsten US-Bankenkrise sehen. Die Silicon Valley Bank hatte das Geld von Sparern in vermeintlich sichere Obligationen angelegt. Trotzdem ging das Geldhaus unter, weil mit dem Zinsanstieg die Anleihen stark an Wert verloren und das US-Geldhaus diese Papiere im Krisenfall zu den niedrigen Werten verkaufen musste.
Die Eigenmittel reichten dann bei dieser relativ kleinen Bank letztlich doch nicht aus, die Verluste zu absorbieren, illustrierte Sinn vor hunderten Zuhörern in Luzern die Notwendigkeit für mehr Eigenkapital bei Banken.
Inflation hilft Staaten
Im Euroraum gab es eine solche Situation nun schon häufig, so der Experte. Die EU half ihren Mitgliedstaaten bei deren Schulden, damit die Geldhäuser die Staatsanleihen in ihren Büchern nicht abwerten mussten.
Die Europäische Zentralbank EZB kündigte sogar an, Staatsanleihen unbegrenzt zu kaufen und beruhigte damit die Finanzmärkte.
Die Stabilitätskriterien des Euro überschritten die Länder, obwohl es ein Verbot gibt, bereits 148-mal, erklärte Sinn weiter. Folgen hätten die Überschreitungen der 3-Prozent-Grenze des Stabilitäts- und Wachstumspaktes aber bisher praktisch keine gehabt.
Die EU arbeite schon an neuen Schuldenregeln, damit Investitionen, etwa in Infrastruktur, bei der Verschuldung nicht so stark ins Gewicht fallen sollen. Doch all dies führe langfristig zu Blasenbildungen und letztlich zu Inflation.
Die Teuerung sei bei den Staaten aber hochwillkommen, denn über das nominal aufgeblähte Bruttoinlandprodukt BIP drückten sie ihre Schuldenquoten.
Linke lieben Schulden
Demokratien neigten zu übermässiger Verschuldung und die negativen Wirkungen würden vielerorts unterschätzt, warnte der emeritierte Wirtschaftsprofessor der Universität München und einstige Präsident des ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung.
Linke Kreise mögen allerdings die Staatsverschuldung im Gegensatz zu den Rechten, weil Linke beim politischen Verteilungsprozess besser wegkämen als bei einer Verteilung durch den Markt.
Leere Büros zeigen nächste Blase
Die nächste Finanzkrise stünde jedenfalls schon ins Haus, warnte der einflussreiche Wirtschaftsexperte.
Alarmsignale kämen beispielsweise aus den USA, wo rund 300 Milliarden Dollar an Immobilienkrediten für Büroimmobilien innerhalb der nächsten zwei Jahre fällig würden. Die Leerstandsquoten bei Büroimmobilien lägen in San Francisco aber bereits bei 24 Prozent und in Manhattan bei 16 Prozent.
Dies läge zum einen am Liquiditätseffekt. Wenn die Zinsen steigen, schreckten Immobilienkäufer vor teurer gewordenen Immobilienkrediten zurück. Zum anderen verlören Bürogebäude an Wert, weil nach der Coronavirus-Pandemie sich das Homeoffice durchgesetzt habe.
Beschränkung ist wichtig
Neben dem auslaufenden Kreditportfolio bei Büroimmobilien sowie hohen Leerstandsquoten gibt es aber noch einen Punkt, der zur nächsten Finanzmisere führen dürfte.
Rund 1900 Finanzinstitute hätten mindestens das Dreifache ihres Eigenkapitals in die Finanzierung von Gewerbeimmobilien gesteckt, mahnte der Starökonom.
Letztlich zeigte Sinn am Luzerner IWP, was ein besserer Weg sei. Es brauche immer harte Budgetrestriktionen, wie eine Schuldenbremse, um Ausgabendisziplin zu erreichen.
Genau am Fehlen solcher Limite sei beispielsweise der ganze Ostblock zusammengebrochen, erklärte er.
Zinslast diszipliniert Ausgaben
Und an dieser Stelle verwies der 76-Jährige, der seine Redezeit um fast eine Stunde überzog und das Publikum doch bei der Stange hielt, auf die Finanzexzesse des Leukerbad-Beispiels im Wallis, wo letztlich auch das Bundesgericht entschieden habe, dass der Kanton nicht für die Schulden einer ausgabenfreudigen Gemeinde aufkommen müsse.
Die spätere Zinslast diszipliniere eben die Ausgaben, so die Mechanik. Jeder solle auch für seine Risiken selber einstehen, sei das richtige Motto.
Und so etwas brauche auch die EU. Die USA hätten ihre Gliedstaaten ja auch genau damit diszipliniert, indem Washington keine Vergemeinschaftung der Verschuldung mehr zulasse.
Verdeckte Ungleichgewichte im Euro
Zudem sollte etwa die EZB die unterschiedlichen Zinssätze bei der Finanzierung von Mitgliedstaaten nicht mehr glätten.
Damit gäbe es innerhalb der Europäischen Zentralbank auch keine Ungleichgewichte und Blasenbildung mehr, wie die ungedeckten Kreditforderungen der Länder bei den sogenannten Target-Salden, welche die EU jahrelang vor der Öffentlichkeit geheim gehalten hatte.
Unterschiedliche Risiken müssten sich in verschiedenen Zinssätzen spiegeln, betonte Sinn gleich mehrmals.
Drohungen ignorieren
Last, but not least, bräuchten aber alle Länder, inklusive der Schweiz, marktwirtschaftliche Reformen, um mehr Vitalität und Wachstum zu bescheren. Dies dürfe dann aber nicht dazu führen, dass Banken um UBS & Co. im Falle eines Falles von den Steuerzahlern gerettet werden.
Die Schweiz solle sich von der Grossbank UBS auch nicht mit der Drohung einschüchtern lassen, in ein anderes Land abzuwandern.
Denn dort würden die hohen Risiken von den Verantwortlichen beim Eigenkapital auch irgendwann eingepreist oder die dortigen Steuerzahler müssten die Zeche bezahlen.
01.05.2024/kut.