In der Finanzverwaltung ist ein Streit mit den Finanzprüfern ausgebrochen. Um Missstände zu verbergen, nutzen Beamte aber sogar eine List.
Der Bund hat fast 500 Millionen Franken zur Erneuerung der IT bewilligt, doch wie seine Beamten diesmal das Geld ausgeben, kontrolliert fast niemand.
Einzig die kleine Eidgenössische Finanzkontrolle EFK schaut hier und da mal hin.
Effizienz steigern?
Und jedes Mal, wenn die EFK einen Report publiziert, läuft es den Lesern kalt den Rücken hinunter.
Genauso passierte es auch am heutigen Donnerstag, als die Finanzprüfer ihre Resultate zu einem kleinen Teilprojekt bekanntgaben, bei dem die Bundesverwaltung das aktuelle SAP-R/3 durch ein neues SAP-S/4HANA-System ersetzen will, aber vieles aus dem Ruder läuft.
Für das Projekt Finanzen wurden gemäss Botschaft 25 Millionen Franken budgetiert.
Dabei will der Bundesrat aber nicht nur das alte System einfach in ein Neues wechseln, sondern gleichzeitig auch die Effizienz verbessern.
Alles zerstückelt
Erst wollte die Verwaltung das ganze Projekt auf einen Schlag umsetzen.
Später entschieden sich die Staatsdiener aber für eine schrittweise Einführung des Systems, was den ganzen Ablauf schon mal wieder änderte.
Per 18. September 2023 soll nun die Migration der bestehenden Prozesse mit der neuen Technologie erfolgen, die zwingend Anpassungen auf S/4 benötigen.
Ab dem Jahr 2024 werden Erweiterungen vorgenommen. Und ab Januar 2025 soll alles laufen.
Ab dann beabsichtigen die Beamten auch, weitere Nutzen- sowie Synergiepotentiale zu realisieren.
Datenumfang stimmt nicht
«Bis zum Go-Live S/4 verbleibt rund ein Jahr. Dabei gibt es noch zahlreiche offene Punkte und Entscheidungen, die auf Stufe Programm und Projekt getroffen werden müssen», kritisierten die Finanzprüfer.
Sollten diese Punkte nicht gelöst werden, sei die Termineinhaltung des 18. September 2023 kritisch beziehungsweise gefährdet, hiess es weiter.
Sie monierten aber beispielsweise noch einen wichtigen Punkt: Eine Datenübernahme von nur zwei Jahren sei viel zu kurz. Die Projektverantwortlichen machten es sich da viel zu einfach.
Zahlreiche Geschäfte des Bundes verfügen nämlich über eine längere Laufzeit.
Auch für Anfragen aus dem Parlament und Kommissionen seien Mehrjahresvergleiche mit grösserer Aussagekraft vorzunehmen. Vorjahresvergleiche ohne Covid-19-Effekte wären mit der geplanten Vorgehensweise nicht mehr möglich.
Vorzugsweise seien daher sämtliche Daten zu migrieren, empfahlen die Kontrolleure.
Test für korrekte Übertragung fehlt
Mit der Migration wird auch die Einführung des neuen zentralen Kontenplans in der Bundesverwaltung erfolgen.
Dabei werden die ursprünglichen Kontoangaben bei sämtlichen übertragenen historischen und aktuellen Buchungen überschrieben. Rund 60.000 Konten werden auf neu rund 7500 Konten zusammengeführt.
Die Migration auf S/4 unter gleichzeitiger Überschreibung der Kontoangaben mit den Konten des neuen zentralen Kontenplans erhöhten einerseits aber die Komplexität der Migration, bemängelten die Auditoren.
Andererseits werde auch der Nachweis der vollständigen und korrekten Migration anspruchsvoller.
Doch dafür gibt es offenbar noch nicht mal ein Konzept.
Mit anderen Worten existieren nicht einmal Überlegungen, wie der Bund prüfen will, ob der Datentransfer korrekt geklappt hat.
Isolierte Betrachtungen
Auch schien es der EFK etwas komisch, dass alle Verwaltungseinheiten noch bis Juni neue Konten eröffnen können und dann das gesamte Migrationskonzept sowie die neue Kontenplanung gleich wieder durcheinanderkommen können.
Und noch ein Detail, eine Richtlinie, wie die gesamte Bundesverwaltung künftig kontieren soll, stehe auch noch in den Sternen.
Dass es keine Abstimmung zu anderen IT-Projekten, wie dem Subventionsmanagement von Bund und Kantonen gibt, ist wahrscheinlich ebenfalls bloss eine unangenehme Randerscheinung.
Freche Stellungnahme
Für die spätere Optimierungsphase, die dem Bundesrat eigentlich bei der Digitalisierung der Administration wichtig gewesen war, gibt es sogar noch gar keine Vorstellungen.
Alles sei nur rudimentär, kritisierte die EFK. Auch plane das Projekt für diesen Teil viel zu wenig Budget ein, hiess es weiter negativ.
Nun gibt es bei der EFK stets die Möglichkeit, dass sich die betroffenen Abteilungen zu den Kritikpunkten äussern können.
Doch dabei haut es Leser regelrecht um, weil die Stellungnahme der betroffenen Eidgenössischen Finanzverwaltung EFV eigentlich eine Frechheit darstellt.
Entfernt von Realität
«Die EFV nimmt mit Befriedigung zur Kenntnis, dass nach Ansicht der EFK die Arbeiten auf Kurs sind und keine im Programm bisher nicht bekannten oder nicht adressierten Sachverhalte aufgetaucht sind», schrieben die direkten Kollegen der EFV und entwerteten damit praktisch die Arbeit der EFK-Prüfer.
Externe dürfen sich durchaus auch fragen, ob die Schreiber der Stellungnahme den Report überhaupt gelesen haben und ihnen die Missstände bewusst geworden sind.
Es wäre ja nicht das erste Mal, dass der Bund bei IT-Projekten viele Millionen in den Sand setzt.
Blindheit vortäuschen
Doch die Reaktion auf die Kritik der Prüfer dürfte vielmehr eine Strategie sein. Indem im Statement einfach alles positiv dargestellt wird, erscheint die Lage nicht so dramatisch.
«Grundsätzlich entstehen mit der Einführung von S4/HANA aus heutiger Sicht tendenziell nur geringe zusätzliche Digitalisierungs- oder Automatisierungspotentiale», schmettern die Betroffenen letztlich auch noch das Optimierungspotential ab.
Der Kniff lautet hierbei – man vermutet einfach keine Möglichkeiten für Effizienzgewinne und dadurch müssen sie die Beamten auch nicht prüfen sowie gegebenenfalls realisieren.
Beim Projekt Finanzen überwiegen die geplanten Projektkosten aber die offiziell ausgewiesenen langfristigen Einspareffekte von 3 Millionen Franken deutlich, kritisierten die Finanzprüfer in ihrer Analyse.
Berechtigte Kritik
Wie muula.ch aus sicherer Quelle weiss, gibt es von der EFK auf eine Stellungnahme allerdings keine erneute Reaktion. Die Prüfer lassen das Geschriebene einfach stehen. Dies nutzt die EFV da aus.
Neben dem Aspekt, dass berechtigte Kritik einfach abprallt, hat die Vorgehensweise der EFV gegen die EFK aber noch zwei wichtige Folgen.
Einerseits werden die Missstände in dem Programm nicht adressiert und behoben.
Die Programmteilnehmer sehen in dem Report auch die Reaktion des Bundes und werden sich sagen, dass von ganz oben alles als nicht so schlimm beurteilt wurde.
Doch die zweite Implikation ist noch schlimmer für das Volk.
Ansehen verlieren
Wenn die Finanzprüfer der ganzen Bundesverwaltung von dem Departement, bei dem sie angegliedert sind, quasi von den direkten Kollegen, so heruntergeputzt werden, verlieren die Revisoren viel Ansehen im Rest der Administration.
Das Wirtschaftsnews-Portal muula.ch hatte dies bereits im Report über die Missstände bei Swissmint thematisiert.
Dort hatte die EFV einfach gesagt, wir prüfen nicht einmal die Anregung der EFK, die defizitäre Münzprägestelle des Landes in die Schweizerische Nationalbank SNB zu integrieren.
Die einzige Stimme des Volkes, um Geldverschwendung beim Staat halbwegs herauszufinden, hat es durch all dies nun noch viel schwerer.
Beamte versuchen oftmals, alles unter den Teppich zu kehren – und nur wenige, wie die EFK, holen es von dort wieder hervor.
11.05.2023/kut.