Bundesrat will mit dem Volk ernsthaft sprechen

Viele Gesprächsblasen und die Auswahl mit einem Finger
Bei gesundheitsökonomischen Abwägungen gibt es viele Meinungen. (Bild: G. Altmann / pixabay)

Der Bundesrat hat sich zu einem schwierigen Thema geäussert und will eine Diskussion im Volk lancieren. Dabei geht es um Leben oder Tod.

Wenn die Administration der Schweiz an einem Freitag eine Nachricht an die Öffentlichkeit mit dem Titel «Publikationshinweis» verschickt, wissen die Medien sofort, das Unheil naht.

Dann versuchen die Beamten nämlich, bei einem wichtigen Thema möglichst wenig Aufmerksamkeit zu erzeugen.

Verbesserungspotential gefunden

Am Freitag war es wieder einmal soweit und der «Publikationshinweis» hatte auch noch einen besonders sperrigen Titel, damit sich für die Angelegenheit möglichst ja niemand interessiert.

Nachkontrolle zur Inspektion «Spezialitätenliste der OKP: Aufnahme und Überprüfung von Medikamenten», hiess es und betraf nichts Geringeres als die Praxis des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) in Bezug auf die Aufnahme von Arzneimitteln in die Spezialitätenliste (SL) der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) und auf die periodische Überprüfung der dort aufgeführten Arzneimittel.

Bei den Verfahren für die Aufnahme und Überprüfung von Arzneimitteln bestünde Verbesserungspotenzial, hiess es lapidar im Bericht. Verzögerungen bei der Aufnahme in die SL seien primär auf das Kriterium der Wirtschaftlichkeit zurückzuführen.

Konkret führten sehr hohe Preisforderungen der Pharmaunternehmen um Roche, Novartis, Pfizer, Merck & Co. zu längeren Verfahren.

Erkaufen von Lebenszeit

Hierbei sieht der Bundesrat konkreten Handlungsbedarf bei der Anpassung der Preisfestsetzung, basierend auf einer gesellschaftspolitischen Diskussion zu Nutzen und Kosten von Arzneimitteltherapien.

Verklausuliert ist damit gemeint, ob etwa ein Krebsmedikament, das sehr teuer ist, sich die erkaufte Lebenszeit lohnt.

«In diesem Zusammenhang gilt es angesichts der stark überdurchschnittlich wachsenden Ausgaben für Arzneimittel auch unangenehme Fragen zu kostendämpfenden Massnahmen anzusprechen», erklärte die Landesregierung bei dem schwierigen Thema weiter.

Als Hürde erweist sich das von der Schweiz praktizierte Verfahren bei hohen und tiefen Medikamentenpreisen, einen Vergleich mit dem Ausland heranzuziehen.

Geheimnisse um Vergütung

«Für eine bestmögliche Bewertung der Wirtschaftlichkeit von Medikamenten erforderlich wäre, die im Ausland tatsächlich vergüteten Preise zu kennen», hiess es im Bericht. Verschiedene Versuche des BAG, Zugang zu den entsprechenden Informationen zu erhalten, führten jedoch bisher nicht zum gewünschten Ergebnis.

Das ist nicht verwunderlich, denn wer sich an die Publikation der Coronavirus-Impfstoffverträge des BAG erinnert, weiss, dass auch die Schweiz keine Informationen über ihre Beschaffungspreise herausgibt.

Andere Länder verfahren dabei genauso.

Versorgung gefährdet

Die von OKP zur Preissetzung verwendeten Modelle gerade im hohen und im tiefen Preissegment stossen an die Grenzen. Im hohen Preissegment führt die Beurteilung laut dem Bericht zu nicht sachgerechten Preisen.

Im tiefen Preissegment kann für Arzneimittel aufgrund der Prüfung anhand der Modelle und den daraus resultierenden Preissenkungen ein Preis resultieren, der für die Zulassungsinhaber nicht mehr wirtschaftlich ist, was zu einem Marktrückzug und bei relevanten Arzneimitteln anschliessend zu Problemen bei der Versorgung der Schweizer Bevölkerung führen kann.

Nun soll ein neues Modell im Bereich für Onkologie und auch für die Nicht-Onkologie diskutiert werden. Wirtschaftlichkeit heisst, dass es im Zweifelsfall um Leben oder Tod als Abwägung für Kosten der Grundversicherung geht.

Mehr Expertise im BAG

Sind die Medikamente sehr teuer, tun sich die Beamten logischerweise schwer, mehrere Millionen als Ausgaben zu akzeptieren, selbst wenn die Betroffenen damit nur ein paar Tage längeres Leben erhalten.

Um genau diesen Spagat besser zu bewältigen, bräuchte es mehr Expertise im BAG, gesundheitsökonomische Abwägungen zu treffen. Es geht um die knifflige Frage, ein Preisschild an das Leben von Menschen zu hängen.

Der Bundesrat sei bereit zu prüfen, wie dem Mehraufwand aufgrund der zunehmenden Komplexität der Gesuche sowie der hohen Preisforderungen und wie der Prüfung der Auswirkungen von Preissenkungen auf die Versorgungssicherheit Rechnung zu tragen sei, erklärte die Landesregierung.

Es geht also darum, zunächst den Aufwand aus vielen Schriftenwechseln, Sitzungen und Gesprächen mittels weiterer gebührenfinanzierter Ressourcen besser zu organisieren. Dann kommt erst die schwierige Abwägung mit der Frage an das Volk – wollt ihr das wirklich zahlen?

Unterschiedliche Sichtweisen

Es ist dabei keine einfache Antwort zu finden.

Betroffene werden sagen, egal was es koste, die Schweiz solle innovative Medikamente von der Grundversicherung bezahlen. Nicht-Betroffene sehen das wahrscheinlich rationaler.

Insofern ist klar, warum die Beamten dieses Thema mit einem «Publikationshinweis» versehen haben. Das Problem ist quasi draussen beim Volk, aber erhält wenig Aufmerksamkeit.

13.04.2024/kut.

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