Das Interne Kontrollsystem IKS überwacht in Firmen die Betriebsabläufe. Bei der Agrargenossenschaft Fenaco versagten offenbar die Alarmglocken.
Eigentlich wollen die Schweizer Bauern, die sich in der Agargenossenschaft Fenaco zusammengeschlossen haben, ihre Risiken ganz genau überwachen.
Alles, was die finanziellen Ziele der einzelnen Geschäfts- oder Dienstleistungseinheit gemäss der Mittelfristplanung wesentlich beeinflussen kann, wird ganz genau unter die Lupe genommen und gemäss Eintrittwahrscheinlichkeit sowie Schadenausmass analysiert.
Aufgabe des Verwaltungsrates
Doch das Wort «eigentlich» ist an dieser Stelle korrekt.
Fenaco hat im abgelaufenen Geschäftsjahr einen unglaublichen Gewinneinbruch erlitten, wie muula.ch exklusiv vorab berichtete. Dieser Gewinneinbruch hängt mit dem Versagen des Risikomanagements zusammen.
Der Verwaltungsrat einer Gesellschaft hat normalerweise die Aufgabe, die Risiken der Organisation zu identifizieren, zu bewerten und zu überwachen.
Er stellt sicher, dass angemessene Massnahmen ergriffen werden, um Risiken zu minimieren und Chancen zu nutzen.
Dazu gehört auch die Implementierung von Kontrollsystemen IKS und die Festlegung von Richtlinien zur Risikobewertung sowie zum Risikomanagement.
Toprisiko bei Gastroumsatz
Bei der Bauerngenossenschaft Fenaco soll es all dies geben.
Doch schaut man in den Geschäftsbericht des Jahres 2021, so werden folgende drei Toprisiken für das Geschäftsjahr 2022 identifiziert:
Unter dem Stichwort «Marktveränderungen» wird der Preisdruck in der Lebensmittelindustrie aufgeführt. Aufgrund der Strukturen des Schweizer Detailhandels sei Fenaco oftmals von wenigen Grosskunden abhängig, hiess es.
Während der Corona-Pandemie sei ein wesentlicher Teil des Gastronomieumsatzes weggefallen. Diese Situation habe sich akzentuiert.
Automatisierung soll helfen
Aufgrund des Homeoffice-Trends würden nämlich die Gastronomieerlöse auch nach der Corona-Krise nicht mehr auf das ursprüngliche Niveau steigen, hiess es zum Toprisiko Nummer 1.
Fenaco wolle aber mit einer konsequenten Automatisierung der Prozesse die sinkenden Margen kompensieren und so sicherstellen, dass den Landwirten für ihre Produkte weiterhin faire Preise bezahlt werden können.
Fachkräftemangel als Problem
Als zweites Toprisiko führte Fenaco die Umsetzung von IT-Projekten auf.
Die hohe Anzahl an IT-Projekten – sei es zur Umsetzung neuer Geschäftsmodelle, zur Förderung der Digitalisierung oder zur Modernisierung bestehender IT-Umgebungen – führe zu einem steigenden Ressourcenbedarf und wachsender Komplexität, hiess es.
Insbesondere fehlende Fachkräfte könnten die termingerechte Umsetzung der Projekte gefährden, beschrieb Fenaco die Risikosituation.
Mit dem Aufbau zusätzlicher Ressourcen innerhalb der eigenen Organisationen solle aber die Abhängigkeit von Drittanbietern reduziert und die Realisierung wichtiger Projekte sichergestellt werden.
Raumplanung behindert
Als drittes und letztes der Toprisiken spricht die Agargenossenschaft über die Verfügbarkeit von Bauland.
Das neue Raumplanungsgesetz erschwere oder verhindere die Einzonung von Bauland.
Dies schränke die Fenaco in der Entwicklung ihrer Geschäftstätigkeiten ein. Mit verschiedenen Massnahmen wolle die Organisation aber die notwendigen Flächen auch künftig sichern.
Dazu zählten eine langfristige Planung, die Umnutzung bestehender Infrastrukturen oder die Prüfung von Standorten im Ausland.
Getreidehandel mit Verlust
Und was ist dem 8-Milliarden-Konzern im Geschäftsjahr 2022 auf die Füsse gefallen?
Genau, nichts von alldem, was das Management als Toprisiken identifiziert hatte.
Die Märkte hätten nämlich verrückt gespielt und dabei insbesondere Mega-Verluste im Getreidehandel verursacht, hiess es zum hohen Gewinneinbruch im abgelaufenen Geschäftsjahr, wie auch das Wirtschaftsnews-Portal muula.ch berichtete.
Da darf man also durchaus auch die Frage stellen, wie das 19-köpfige Gremium des Verwaltungsrates seine Aufgaben wahrgenommen hat.
Verwerfungen lange bekannt
Nun dürfte der Gewinn von Fenaco zu einem guten Teil ohnehin nur auf die Bildung der Kartellstrukturen unter den Schweizer Bauern zurückzuführen sein.
Harter Wettbewerb unter den Landwirtschaftsbetrieben bei den Abnehmern würde nämlich höhere Preise, die zu Gewinn bei Fenaco führen, verschwinden lassen beziehungsweise reduzieren.
Doch im Mai 2022, als der Geschäftsbericht für das Jahr 2021 publiziert wurde, wusste das Fenaco-Management bereits von Verwerfungen, die ihren Gewinn beeinträchtigten.
«Der Ukraine-Krieg hat zu teilweise heftigen Preisaufschlägen an den Rohstoffmärkten geführt. Die weitere Preisentwicklung und damit verbundene mögliche Auswirkungen auf das Jahresergebnis 2022 hängen stark vom Kriegsverlauf ab», hiess es aber lediglich.
Keine Blösse geben
Neben der Lieferketten-Problematik, die sich bereits während der Coronavirus-Pandemie akzentuiert habe, seien aber keine weiteren bedeutenden Ereignisse nach dem Bilanzstichtag bis zur Genehmigung der vorliegenden Rechnung durch die Verwaltung am 6. Mai 2022 zu verzeichnen gewesen, steht im Geschäftsbericht.
Vielleicht hatte das Management noch darauf gehofft, dass die Verluste kleiner werden und man sich extern nicht die Blösse geben müsste.
Viele Fehleinschätzungen
«Der Ukraine-Krieg führte zu grossen Verwerfungen im internationalen Getreidehandel. Die Preise an der Pariser Warenterminbörse Matif und der Chicagoer Warenterminbörse CBOT, über welche die Fenaco ihre internationalen Transaktionen abwickelte, stiegen innert kürzester Zeit massiv an und erreichten ein historisches Allzeithoch», hiess es nun allerdings im Geschäftsbericht 2022.
In Kombination mit Fehleinschätzungen der Marktsituation vor Kriegsausbruch führte dies zu einem ausserordentlichen Verlust von 73,4 Millionen Franken.
War dies in der Mittelfristplanung so einkalkuliert? Wahrscheinlich nicht.
Also hätten diese Umstände auch als Toprisiko klassifiziert werden müssen, selbst wenn solche Fälle selten eintreten.
Gewinn aus Immobilienverkäufen
Der Gewinneinbruch um rund 60 Prozent auf 52 Millionen Franken wäre laut den Angaben sogar noch höher ausgefallen, wenn nicht rund 20 Millionen Franken aus Immobilienabgängen und anderen diversen Erträgen etwas Gegensteuer gegeben hätten.
Nun wagt muula.ch aber noch einen Blick auf die Toprisiken, die Fenaco im neuen Geschäftsbericht angibt:
Das erste Risiko umfasst einerseits einen möglichen Ausfall von Kommunikationsverbindungen oder instabile IT-Systeme.
Andererseits bestehen Risiken in Zusammenhang mit Cyberangriffen oder unbefugten Zugriffen auf Daten und Steuerungssysteme von Produktionsanlagen.
Einsprachen behindern
Das zweite Risiko seien die behördlichen Auflagen für die Realisierung von Infrastrukturprojekten, die laufend verschärft würden.
Insbesondere die Einzonung von Bauland sei aufgrund des neuen Raumplanungsgesetzes wesentlich erschwert, hiess es. Dies schränke Fenaco neben privaten Einsprachen in der Entwicklung ihrer Geschäftstätigkeiten ein.
Und das dritte Toprisiko lautet zu «Marktveränderungen» zwar diesmal analog zum Vorjahr, dass die Lebensmittelindustrie unter hohem Preisdruck stünde. Doch dabei wird noch etwas erwähnt:
«Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat dazu geführt, dass bewährte Lieferketten innert kürzester Zeit zusammenbrachen. An den internationalen Beschaffungsmärkten führte dies teilweise zu enormen Preisausschlägen, von denen auch die Fenaco wesentlich betroffen war – unter anderem bei Energie, Getreide und Dünger.»
Tragen von Verlusten
Bei starken Preisrückgängen bestünde das Risiko, dass die hohen Einkaufspreise nicht mehr in den Verkaufspreisen abgebildet werden können und Verluste entstünden.
Solange der Krieg andauere, müsse Fenaco als grösste Agrargenossenschaft der Schweiz zur Sicherstellung der Versorgung entsprechende Vorräte anlegen und dieses Risiko tragen, erklärten die Schweizer Bauern.
Die Agrargenossenschaft Fenaco scheint doch zumindest aus Fehlern zu lernen.
16.05.2023/kut.
Wenn Sie mir ein Unternehmen nennen, das in der Mittelfristplanung (i. d. R. 5 Jahre) den Ukrainekrieg als Top-Risiko abgebildet hat, dann kann ich diesen Artikel wieder ernst nehmen. Schade. Viel Boulevard und wenig wirklich Einordnendes auf muula.ch.
Ich denke, die Marktveränderungen sind in diesem Geschäftsumfeld immer ein grosses Risiko. Dass ein Ukraine-Krieg ausbricht, das kann man nicht voraussehen. Dass der Osten Europas für die Schweizer Agrarwirtschaft wichtig ist, kann man nicht vermeiden. Ob man dieses „Auslandgeschäft“ nun als Super-Risiko einschätzt oder nicht, hat eigentlich nichts zur Sache. Das Desaster wäre auch mit einer anderen Einstufung geschehen. Vielmehr muss man sich fragen, ob ein solches Beschaffungsrisiko VR und GL überhaupt in einer Genossenschaft eingehen sollen…??