Bei Berner Krankenkasse versagen die Risikosysteme

Hauptsitz der Krankenkasse KPT in Bern
Die Krankenkasse KPT hat ihre Risiken nur mässig im Griff. (Bild: PD)

Die kleine Krankenkasse KPT hat 2022 zwei Grossrisiken völlig übersehen. Nun wird auf der ganzen Welt gezittert, ob es gigantische Prämienerhöhungen für die Kundschaft gibt.

«Trotz diesen Unsicherheiten erwartet die KPT ein erfolgreiches Geschäftsjahr 2022.»

Dies hatte der Berner Krankenversicherer KPT im Mai 2022 im Lagebericht seines Jahresabschlusses 2021 geschrieben.

Klare Benennung der Gefahren

Die Aussichten für das Geschäftsjahr 2022 seien im Versicherungsgeschäft nach den ersten Wochen positiv, hiess es weiter.

Dabei werde aber erwartet, dass sich die Leistungskosten wegen sehr wahrscheinlicher Aufholeffekte in beiden Geschäftszweigen überdurchschnittlich entwickeln würden.

Seit Anfang Jahr habe zudem die Unsicherheit an den globalen Finanzmärkten stark zugenommen, beschrieb das KPT-Management die weitere Herausforderung.

Risiken eingetreten

Nun, ein paar Monate später, gab der Krankenversicherer am heutigen Dienstag seinen Jahresabschluss für das abgelaufene Geschäftsjahr bekannt und der ist verheerend.

Die Gesellschaft ist mit 14 Millionen Franken in die Verlustzone gerutscht.

Im Jahr 2021 hatte es noch einen kleinen Gewinn von 6,5 Millionen Franken gegeben.

Hohe Schäden

Was ist passiert? Nun genau das, was als Risiken im Lagebericht eigentlich aufgeführt war und zu einem erfolgreichen Geschäftsjahr 2022 führen sollte.

Die Leistungskosten erhöhten sich um rund 4 Prozent auf 1,8 Milliarden Franken. Allein in der Grundversicherung, dem Segment KVG, ging es absolut um 64 Millionen Franken nach oben.

Die Prämieneinnahmen stagnierten dagegen bei insgesamt 1,7 Milliarden Franken.

Mit Blick auf diese Einnahme-/Ausgabe-Relationen wird nur schon klar, dass da noch irgendwoher Geld kommen muss, weil ja auch Verwaltungskosten von rund 180 Millionen Franken zusätzlich zu decken sind.

Auflösung von Rückstellungen hilft

Einnahmen kommen einerseits noch aus dem Risikoausgleich der Krankenversicherer, einem Umlagetopf, um die Selektion schlechter Risiken auszugleichen.

Von dort erhielt die KPT im vergangenen Jahr 281 Millionen Franken, rund 7 Millionen Franken weniger als im Jahr 2021.

Und die andere Einnahmequelle sind die Kapitalanlagen, aber das war die zweite Gefahr, vor der das Management sich selbst gewarnt hatte.

Die Erträge aus Kapitalanlagen brachen dann auch regelrecht um 53 Prozent auf 68,4 Millionen Franken ein.

Die Aufwände für Kapitalanlagen verdreifachten sich fast gleichzeitig um 272 Prozent auf 177 Millionen Franken.

Nur durch die Auflösung von Rückstellungen von 132 Millionen Franken konnte die KPT ein komplettes Desaster verhindern.

12 Prozent mehr Personal

Sehenden Auges ging es bei den Leistungen nach oben und bei den Kapitalanlageerträgen nach unten.

Die Erhöhung des Personalbestandes um 64 Vollzeitstellen beziehungsweise um 12 Prozent auf über 600 Vollzeitstellen dürfte bei KPT auch nicht aus heiterem Himmel gekommen sein.

«Die KPT-Gruppe verfügt über ein etabliertes Integriertes Risiko- und Kontroll-Managementsystem (IRKM), welches auf die relevanten Risiken der einzelnen Gruppengesellschaften ausgerichtet ist», schrieb das Management der Krankenkasse im Lagebericht 2021.

Wirtschaftsprüfer winken ab

«Jährlich wird in Workshops ein umfassendes Risk and Control Self Assessment (RCSA) durchgeführt, um Veränderungen in der Risikosituation festzustellen», hiess es weiter.

Das ist offenbar alles schiefgegangen.

Kein Wunder distanzieren sich die Wirtschaftsprüfer von EY vom ganzen Lagebericht und erklären auch, dass kein Prüfungsurteil über die Wirksamkeit des internen Kontrollsystems abgeben wurde.

Ansturm auf Günstigkasse

Damit sind die eigentlichen Probleme der KPT aber noch gar nicht angesprochen.

Hinsichtlich 2023 hat die Krankenkasse nämlich die Prämien in der Grundversicherung mit +4,4 Prozent deutlich weniger erhöht als der Markt (+6,6 Prozent) und zur Dämpfung der Prämienentwicklung in einigen Versicherungsmodellen sogar die Rabatte erhöht. 

Das Resultat waren, wie muula.ch als erstes Medium berichtet hatte, sehr viele Neueintritte. Doch die damalige Zahl von 150.000 Neukunden wurde noch übertroffen.

Per Jahresbeginn 2023 verzeichnete die KPT gemäss Communiqué vom heutigen Dienstag einen Zuwachs von 195.000 Versicherten in der Grundversicherung (+55 Prozent) und rund 13’800 Kunden im Zusatzversicherungsgeschäft (+5 Prozent).

Beliebtes Produkt

Besonders im angepriesenen Produkt KPTwin.win wuchs der Versichertenbestand überdurchschnittlich stark an. Per Januar 2022 war das alternative Grundversicherungsmodell KPTwin.win Telemedizin- und Hausarztmodell in einem.

Kunden haben jederzeit die flexible Wahl zwischen Medi24 und Hausarzt, was offenbar am Markt gut ankam.

Regulator am Werk?

Weniger gut dürfte dies für die Solvenz des Versicherers ankommen.

Bei einem so starken Wachstum gibt es nicht nur Probleme mit dem Ausstellen von Versichertenkarten, sondern die ganze Kalkulation der Prämien dürfte Makulatur sein.

Dies hat normalerweise zur Folge, dass auch Schwierigkeiten mit der Erbringung des aufsichtsrechtlichen Solvenzkapitals vorliegen und der Regulator, das Bundesamt für Gesundheit BAG, eigentlich Massnahmen verfügen müsste.

Wenig Offenheit

Wie ist die Situation nun mit der Solvenz?

«Aus wettbewerbstechnischen Gründen kommunizieren wir keine Zahlen zur Solvenz – dies wäre ein Steilpass für die Konkurrenz», erklärte ein KPT-Mediensprecher auf eine entsprechende Frage von muula.ch.

Auch Gespräche mit dem BAG hätten stattgefunden, hiess es.

«Wir pflegen einen konstruktiven Austausch und schätzen den offenen Dialog mit der Aufsichtsbehörde», teilte die Gesellschaft aber lediglich zu dem Thema mit.

EDA in Alarmbereitschaft

So harmlos dürfte der Dialog allerdings nicht laufen. Schliesslich kann es sein, dass die Krankenkasse ihre Prämien stark und sogar unterjährig erhöhen muss, um die gesetzlichen Anforderungen zu erfüllen.

Dies hätte sogar weltweit Auswirkungen, weil die KPT auch die Krankenversicherung für die Schweizer Diplomaten vom Eidgenössischen Aussendepartement EDA durchführt.

Insofern wäre tatsächlich die ganze Welt von den Auswirkungen bei der kleinen Berner Krankenkasse betroffen.

IT-Projekt als Ursache?

Warum ist das Wachstum so überdurchschnittlich ausgefallen, wo doch die KPT so ein tolles Risikosystem hat?

Laut Recherchen von muula.ch lag es höchstwahrscheinlich an einem Systemwechsel in der IT im Jahr 2022.

«Im Frühjahr konnten wir die Erneuerung unserer gesamten IT erfolgreich abschliessen und einen wichtigen Meilenstein bei der Digitalisierung der KPT erreichen», hiess es im aktuellen Geschäftsbericht.

Damit hatte die Krankenkasse sicher Verarbeitungsrückstände und keine gute Datengrundlage, um die Prämien für 2023 im Sommer 2022 beim BAG korrekt einzugeben. So schnell verkalkuliert man sich und wird von Neukunden überrannt.

Krankenkassen können sich dann aber auch nicht mehr gegen einen Kundenansturm zur Wehr setzen, weil die Tarife genehmigt sind und alle Neukunden der Grundversicherung aufgenommen werden müssen.

Steigende Verwaltungskosten

Das Wachstum bringe vorübergehend einige Herausforderungen mit sich, biete jedoch auch Chancen, steht im jüngsten Geschäftsbericht weiter geschrieben.

«Wir werden zusätzliche Arbeitsplätze schaffen, in die Digitalisierung und Automatisierung von Prozessen investieren», klingt fast höhnisch und dürfte auf weiterhin steigende Verwaltungskosten hindeuten.

Durch die grosse Versichertenzunahme ist die Unsicherheit in Bezug auf das Versicherungsergebnis angestiegen, teilten die Geschäftsleitung und der Verwaltungsrat weiter mit. Die Unsicherheit an den globalen Finanzmärkten sei weiterhin hoch.

«Die KPT erwartet trotz diesen Unsicherheiten ein erfolgreiches Geschäftsjahr 2023», steht aber auch diesmal wieder positiv im Lagebericht geschrieben.

02.05.2023/kut.

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