Der Bund will neue Berichtspflichten zur Nachhaltigkeit, die bis zu einer Milliarde Franken an Zusatzkosten verursacht. Eine Branche freut sich.
«Wir schätzen die Regulierungskosten auf rund 907 Millionen Franken pro Jahr», lautet der entscheidende Satz im Gutachten des Eidgenössischen Justizdepartements EJPD.
Fast eine Milliarde Franken rollen demnach auf Schweizer Unternehmen an neuen Bürokratiekosten zu.
Neue EU-Standards
Dabei geht es um die «Nachhaltige Unternehmensführung zum Schutz von Mensch und Umwelt», wie es auf der entsprechenden Webseite des Justizministeriums zum Thema fast verniedlichend heisst.
Die Kosten von 907 Millionen Franken pro Jahr entstünden, falls die Schweiz neue EU-Standards zur Nachhaltigkeitsberichterstattung in Schweizer Recht umsetzen würde.
Brisante Angaben gut versteckt
Das Gutachten hat das EJPD gut auf der Webseite versteckt und auch als der Bundesrat am vergangenen Mittwoch das Thema zur Vernehmlassung anstiess, war die Abschätzung der Regulierungskosten nur ein Randthema.
Am Donnerstag stellten die Beamten den brisanten Rapport auf die Webseite, den muula.ch dann fand.
Es versteht sich fast von selbst, dass man die Webseite kaum findet und dann auch noch bis ganz nach unten scrollen muss, um zu der Regulierungskostenabschätzung für die Schweiz zu gelangen.
Den Beamten dürfte wohl klar gewesen sein, dass eine Milliarde Franken an Zusatzkosten für Schweizer Firmen das Vorhaben von Anfang an mit einem Aufschrei abgewürgt hätten.
Selbst Status Quo kosten Millionen
Die geltenden Bestimmungen des Obligationenrechts betreffend die «Transparenz über nichtfinanzielle Belange» sollen nun aber an eine EU-Richtlinie (2022/2464 vom 14. Dezember 2022) hinsichtlich der Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen angepasst werden.
Selbst wenn die Schweiz nur am Status Quo festhielte, fielen für Schweizer Unternehmen zwischen 13 und 61 Millionen Franken pro Jahr (!) an Zusatzkosten an, hiess es.
Abgeschwächte Untervarianten
Dem Bundesrat geht es aber um einen teilweisen Nachvollzug der EU-Regeln.
Und je nachdem, wie dieser Teilnachvollzug um berichtspflichtige Firmengrössen, Umfang des Berichtsstandards und eine Prüfpflicht der ganzen Angaben zur Nachhaltigkeit ausgestaltet wird, rasen aber bis zu 907 Millionen Franken an Kosten auf die Unternehmen zu.
Der Betrag ist dann der Höchstwert, falls die Schweiz alle Kriterien der EU vollständig übernimmt.
Da die Personalkosten in der Schweiz teils deutlich höher sind als in der EU, fallen logischerweise viel höhere Regulierungskosten an. Laut Gutachten sind es vor allem Personalkosten, die sich niederschlagen.
Neugeschäft für Wirtschaftsprüfer
Ein Grossteil der jährlichen Kosten, namentlich 580 Millionen Franken, wären Prüfkosten, dass Wirtschaftsprüfer die ganzen Zahlen absegnen. Insofern freuen sich Ernst & Young, KPMG, PwC, Deloitte, BDO & Co. auf das Zusatzgeschäft.
Ohne Testate hätte die Berichterstattung viel weniger Wert, steht im Gutachten des EJPD.
Offen für anderes
Der Bundesrat versucht noch ein Trickli, um die Auswirkungen auf Schweizer Firmen zu reduzieren. Die Firmen sollen neben dem EU-Standard freiwillig einen weiteren Standard zur Berichterstattung wählen können.
Im Gutachten steht dazu aber, die Zulassung gleichwertiger Standards hätte keine Auswirkungen, da es aktuell kaum gleichwertige Standards gibt.
Der Kundschaft gefallen
Die Schweiz täte bei alldem wohl gut daran, diesen ganzen gesetzlichen Zwang gar nicht zu beachten.
Im Gutachten zur Regulierungsfolgenabschätzung steht nämlich, dass die Firmen bei einer Umfrage geantwortet hätten, dass sie Nachhaltigkeitsberichte erstellen würden, weil es die Kundschaft verlangt.
Und genau diese Unternehmen sehen einen Nutzen in der Zahlenschlacht – sie würden freiwillig Kennzahlen zu Umwelt- und Sozialstandards publizieren und, falls nötig für den Kapitalmarkt, sogar von einem Wirtschaftsprüfer testieren lassen.
Eine staatlich angeordnete Geldvernichtung von fast einer Milliarde Franken pro Jahr braucht die Schweiz hingegen nicht.
28.06.2024/kut.