Schon seit einem Jahrhundert lebt die Schweiz eine gefangene Freiheit in einer Währungsunion. Das Abkommen kennt sogar fremde Richter.
Die Schweiz ist für ihre Eigenständigkeit und Neutralität bekannt.
Dies sind zwei Werte, die tief in der politischen und gesellschaftlichen Kultur des Landes verwurzelt sind.
Bemerkenswertes Beispiel
Diese Haltung spiegelt sich besonders in der Zurückhaltung wider, sich über internationale Grenzen hinweg zu integrieren – sei es durch die Europäische Union EU oder andere supranationale Projekte.
Doch inmitten dieser Skepsis gegenüber engerer Zusammenarbeit gibt es ein bemerkenswertes Beispiel für eine funktionierende und erfolgreiche Währungsunion: die Partnerschaft zwischen der Schweiz und Liechtenstein, die in diesem Jahr ihr 100-jähriges Bestehen feiert.
Lebensverhältnisse angleichen
Die Währungsunion zwischen der Schweiz und Liechtenstein wurde 1924 begründet, als Liechtenstein offiziell den Schweizerfranken als seine Landeswährung einführte und die österreichische Krone ablöste.
Dieser Schritt, welchen die Schweiz duldete, wurde aus praktischen und wirtschaftlichen Gründen unternommen: Liechtenstein ist ein noch kleineres Land als die Schweiz mit begrenzten Ressourcen und ohne eigene leistungsfähige Zentralbank.
Zudem wirkte sich die Hyperinflation in Österreich nach dem 1. Weltkrieg in Liechtenstein negativ aus.
Der Schweizerfranken bot da Stabilität, Vertrauen sowie eine Anbindung an eine starke und diversifizierte Volkswirtschaft.
Und klar war wohl allen auch, wo die Menschen aus Liechtenstein hingegangen wären, wenn sie zu Hause langfristig keine Aussicht auf bessere Lebensverhältnisse vorgefunden hätten.
Krisen erzwungen Handeln
Interessanterweise waren es laut dem Historischen Lexikon Liechtensteins die Schweizer Banken, welche zu diesem Währungsschritt geführt hatten.
Sie wollten Liechtenstein nämlich keine Kredite geben und so suchte das Nachbarland einen anderen Weg, um die Ökonomie aus der Umklammerung Österreichs zu lösen.
Weil es aber für die Nutzung des Schweizerfrankens in Liechtenstein keine institutionelle Anbindung gab, musste die Schweizerische Nationalbank SNB aufgrund von Turbulenzen mehrmals Massnahmen zum Schutz der Heimwährung ergreifen, wobei Liechtenstein dabei stets als Währungsausland galt.
Enge Verflechtungen bis heute
Erst mit dem formellen Währungsvertrag von 1980 schloss die Schweiz das Fürstentum in ihr Währungsgebiet ein. Seither gelten die Schweizerischen Bestimmungen zu Geld-, Kredit- und Währungspolitik ebenfalls in Liechtenstein.
Das Abkommen ermöglichte dem Nachbarland nicht nur, von der Schweizer Finanz- und Geldpolitik zu profitieren, sondern auch eine enge wirtschaftliche Verflechtung mit der Schweiz zu entwickeln.
Bis heute ist der Schweizerfranken die offizielle Währung Liechtensteins, und die beiden Länder arbeiten eng im Finanz- und Bankensektor zusammen.
EU-skeptische SVP
Die nun schon 100 Jahre dauernde Währungsgemeinschaft mit Liechtenstein wirft ein Licht auf die grössere Frage der institutionellen Anbindung der Schweiz und ihrer Herausforderungen.
Während die Schweiz erfolgreich eine bilaterale Währungsvereinbarung mit ihrem Nachbarn unterhält, bleiben vor allem konservative Kreise des Landes um SVP & Co. gegenüber einer engeren wirtschaftlichen und währungspolitischen Integration in Europa skeptisch.
Die Währungsunion mit Liechtenstein ist jedoch ein Beispiel dafür, dass solche Partnerschaften erfolgreich sein können – und dies, ganz ohne Volksabstimmung.
Die Währungsunion mit dem Fürstentum ist ein klarer Beweis, dass die Schweiz unter den richtigen Bedingungen durchaus zur Zusammenarbeit mit anderen Ländern bereit ist.
Vorteile für beide Seiten
Die Beziehung zu Liechtenstein bleibt ein Modell für eine pragmatische Partnerschaft, die auf gegenseitigem Nutzen basiert.
Zum 25. Jubiläum der Vereinbarung lobte die offizielle Schweiz, dass der bewährte Vertrag «für die Schweiz die Absicherung ihrer Geld-, Kredit- und Währungspolitik auf dem gesamten Währungsgebiet, mit den notwendigen Kompetenzen der Schweizerischen Nationalbank in Liechtenstein» brachte.
Wohlgemerkt galt damit Schweizer Recht praktisch im Ausland.
Und das Fürstentum konnte laut der damaligen Medieninformation zum Jubiläum seinen Wunsch, Teil des Schweizerischen Währungsinlandes zu sein und auch zu blieben, vertraglich absichern.
Die Vereinbarung zwischen zwei völlig unterschiedlichen Wirtschaftsräumen brachte also klare Vorteile.
Schiedsgericht einrichten
Und wer dann noch in den Vertrag von 1980 schaut, sieht, dass es dort schon die Delegation von Handlungen an fremde Richter, namentlich bei den Mechanismen zur Beilegung von Meinungsverschiedenheiten, gibt.
Artikel 14 beschreibt eine Vereinbarung zu einem Schiedsgericht.
Kann eine Meinungsverschiedenheit über die Auslegung oder die Anwendung dieses Vertrages nicht über eine gemischte Kommission beigelegt werden, so ist sie auf Verlangen eines der Vertragsstaaten einem Schiedsgericht zu unterbreiten, steht dort.
Weitsichtige Regelung
Blockiert eine Seite aber das Schiedsgerichtsverfahren, so kann jeder Vertragsstaat den Präsidenten des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte EGMR bitten, einzuspringen.
Selbst für den Fall, dass dort Schweizer oder Liechtensteiner arbeiteten und nicht neutral entscheiden könnten, sorgten die beiden Staaten bereits damals vor.
Sind Präsident oder auch Vizepräsident befangen, soll das im Rang nächstfolgende Mitglied des EGMR, das weder die Schweizerische noch die liechtensteinische Staatsangehörigkeit besitzt, agieren, vereinbarten die Vertragsparteien weitsichtig.
«Das Schiedsgericht entscheidet aufgrund der zwischen den Vertragsstaaten bestehenden Verträge und des allgemeinen Völkerrechts mit Stimmenmehrheit», stimmte die Schweiz zu. Entscheidungen des Schiedsgerichts seien bindend, hiess es sogar weiter.
EWR-Beitritt bot weitere Vorteile
Das Aufplustern rechter Kreise in der Schweiz gegen jegliche Art von Streitbeilegung mit der EU ist also nur Show.
Eigentlich kennt die Schweiz einen solchen Mechanismus seit Jahrzehnten und das sogar für den so wichtigen Schweizerfranken.
Selbst als das liberale Liechtenstein im Jahr 1995 dem Europäischen Wirtschaftsraum EWR beitrat, hielt die Schweiz an dem Abkommen fest, obwohl sie es unter Einhaltung einer Frist von sechs Monaten auf das Ende des Kalenderjahres hätte kündigen können.
Auch die EWR-Anbindung Liechtensteins nützt nämlich der Schweiz.
Kooperation nützt allen
Die Feiern zum 100-jährigen Bestehen der Währungsunion könnten daher als Gelegenheit dienen, die Diskussion über die Rolle der Schweiz in der internationalen Wirtschaft zu vertiefen.
Während die Souveränität der Schweiz ein unbestrittenes Gut bleibt, zeigt die Geschichte mit Liechtenstein, dass Kooperation keine Bedrohung sein muss, sondern auch Stabilität und Wohlstand aller fördern kann.
Klar, über die Bedingungen muss man reden.
26.12.2024/kut.