Baume-Schneider gräbt im kolonialen Erbe der Schweiz

SP-Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider
SP-Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider nähert sich einem schwierigen Thema der Schweiz. (Bild: Bundeskanzlei)

Die Schweiz spricht sich als Land ohne Kolonien oft von der Kolonialzeit frei. Allerdings war die Schweiz mit dem Kolonialistismus stark verflochten.

«Präventiver Freispruch in eigener Sache», so bezeichnete die Schweizer Innenministerin Elisabeth Baume-Schneider den Umgang der Schweiz mit der Kolonialzeit.

Nur Zaungast der Geschichte?

Es herrsche häufig die Meinung vor, als Land ohne eigene Kolonien habe die Schweiz nichts mit der Kolonialzeit zu tun gehabt, wie die SP-Bundesrätin diese Woche bei einer Ansprache im Landesmuseum Zürich sagte.

Die Schweiz sei bestenfalls Beobachter gewesen – ein Zaungast der Geschichte, sei oftmals die Einschätzung zur kolonialen Vergangenheit des Landes.

Ehrlicheres Selbstbild

Doch dank kritischer Stimmen aus Wissenschaft und Gesellschaft reife mittlerweile die Erkenntnis, dass die Schweiz auf vielfältige Weise mit dem kolonialistischen System verflochten war, hob die Ministerin hervor.

Dieser Schritt zu einem ehrlicheren Selbstbild sei ein Fortschritt, so die Vorsteherin des Eidgenössischen Departements des Innern.

Boom beim Rohwarenhandel

Schweizer Unternehmen profitierten laut Baume-Schneider erheblich von der kolonialen Ausbeutung, insbesondere im Bereich des Handels mit Rohstoffen, wie Zucker, Kaffee, Kakao und Baumwolle.

Viele dieser Produkte seien unter menschenunwürdigen Bedingungen auf Plantagen in Afrika, Amerika oder Asien abgebaut oder produziert worden, hiess es weiter.

«Im Windschatten der Kolonialmächte und ihrer Armeen florierten auch die Schweizer Geschäfte – oder eben die Geschäfte von einzelnen Schweizern und von Schweizer Unternehmen», sagte sie.

«Darüber hinaus stellte die Schweiz eine beträchtliche Anzahl von Söldnern, die in den Armeen kolonialer Mächte dienten», hiess es weiter.

David De Pury als Mahnmal

Selbst Schweizer Missionare seien in kolonialen Gebieten aktiv gewesen und hätten eine Rolle bei der Verbreitung christlicher Lehren gespielt, die oft dazu beitrugen, die koloniale Ideologie zu festigen, betonte Baume-Schneider weiter.

Schweizer Wissenschaftler beteiligten sich laut der Ministerin an ethnographischen Studien, die häufig dazu dienten, koloniale Herrschaft zu legitimieren und zu festigen. «Überall ein bisschen» – es gäbe viele weitere Beispiele, sagte sie.

In Neuchâtel entzündete sich der Konflikt um die kontaminierte Vergangenheit an David De Pury und seiner Statue, die bis heute den wichtigsten Platz der Stadt ausfüllt, zog Baume-Schneider zudem heran.

Täter und Wohltäter in einem

De Pury sei ein Kaufmann aus Neuchâtel gewesen, der im 18. Jahrhundert neben Diamanten auch mit Sklaven handelte – und zwar in grossem Stil. Seine Geschäfte besorgte er demnach in Amsterdam, Lissabon und London. Er kehrte zwar selten in seine Heimatstadt zurück.

Doch dies hinderte ihn nicht, Neuchâtel später einen Grossteil seines Vermögens zu vermachen. Nach heutigem Wert sei dies über eine halbe Milliarde Franken gewesen, erklärte Baume-Schneider weiter.

In Neuchâtel habe man die Herkunft des Geldes wohl auch nicht allzu genau wissen wollen, erklärte die SP-Politikerin aus dem Kanton Jura. Man nahm das Geld gerne und finanzierte damit unter anderem ein Bürgerspital, das Rathaus und zwei Gymnasien. Alle profitierten also von De Purys Vermächtnis.

«Von seinen Geschäften. Von seinem Geld», betonte Baume-Schneider. «De Pury war Täter und Wohltäter in einem.»

Schweizer Staat war zurückhaltend

Dies heisst zwar nicht, dass es eine kollektive Schuld für das Handeln von De Pury gebe, fuhr die Bundesrätin fort. Aber eine kollektive Verantwortung gegenüber der Geschichte gebe es sehr wohl.

Die Beteiligung der Schweiz am Kolonialismus fand «überall ein bisschen» statt, zitierte Baume-Schneider den Glarner Kantonsarchivar Eduard Vischer, der schon vor rund 60 Jahren auf die Thematik aufmerksam gemacht hatte.

Klar sei, dass es die Beteiligung einzelner Schweizer war, denn staatliche Institutionen hätten eher eine untergeordnete Rolle gespielt.

Land braucht Diskussion

«In den europäischen und aussereuropäischen Kriegen und Streitigkeiten blieben wir als Staat neutral, individuell nahmen wir – als Reisläufer – daran teil, und ebenso schalteten wir uns als Kaufleute mit grosser Energie ein, wo es irgend möglich war, und beteiligten uns an der Verteilung der Reichtümer der Erde», zitierte Baume-Schneider den Kantonsarchivar.

Ein kritisches Bewusstsein für die Rolle der Schweiz im kolonialen System stärke nunmehr den gesellschaftlichen Zusammenhalt des Landes, erklärte Baume-Schneider.

Geschichte um Aspekte ergänzen

Die Zeit für einen ehrlicheren Blick auf unsere Geschichte sei da nämlich gekommen.

«Die Schweizer Geschichte ist von der Geschichte des Kolonialismus nicht fein säuberlich zu trennen», so die Innenministerin als Fazit.

Die Schweizer Geschichte müsse dabei nicht neu geschrieben werden – aber sie müsse um eine wichtige Dimension, namentlich jene des kolonialen Erbes des Landes, ergänzt werden.

Überall Verantwortung gefordert

Die Verantwortung müssten die Menschen aber selber wahrnehmen, machte Baume-Schneider weiter klar.

Jede Einzelne und jeder Einzelne sowie in den Unternehmen, in der Gesellschaft, in der Politik, im Alltag, müsse dies geschehen.

«Überall ein bisschen», mahnte Baume-Schneider in Zürich mit dem gleichen Zitat zur Täterbeschreibung beim «Schweizer» Kolonialismus.

14.09.2024/kut.

Baume-Schneider gräbt im kolonialen Erbe der Schweiz

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