Die Privatbank Pictet prognostiziert die Entwicklung der Wirtschaft und Inflation vieler Länder. Die Schweiz landet in einer ungewöhnlichen Gruppe.
Praktisch alle Finanzinstitute prognostizieren die Wirtschaftsentwicklung.
Doch auf die Erwartungen der Genfer Privatbank Pictet blickt die Öffentlichkeit mit besonders grossem Interesse, weil sie bei Ultrareichen seit über 200 Jahren so erfolgreich ist.
Angebotsseitige Schocks
«Wir sind seit langem der Ansicht, dass die kommenden Jahrzehnte von einem neuen Regime strukturell höherer und volatilerer Inflation geprägt sein werden», hiess es gleich zu Beginn der jüngsten Analyse von Pictet.
Einige der zugrundeliegenden Treiber dieses Regimewechsels seien bereits vor der Pandemie vorhanden gewesen.
Aber ihre Auswirkungen wurden seitdem durch eine Reihe von angebotsseitigen Schocks und die politischen Reaktionen auf diese Schocks, insbesondere in den USA, aufgeladen, führten die Wirtschaftsexperten weiter aus.
Ausbreitung von KI wirkt
Zu diesen säkularen Treibern gehören die Deglobalisierung, die Demografie, die Dekarbonisierung und die Dominanz der Finanzpolitik gegenüber der Geldpolitik.
Die «neue Normalität» für Wachstum und Inflation, die sich aus der Ausbreitung von Künstlicher Intelligenz KI ergibt, sollte mit einem neuen geldpolitischen Regime übereinstimmen, das sich von der unteren Grenze von Null entfernt und näher an die Zinssätze heranrückt, die vor der globalen Finanzkrise vorherrschten.
Ausgleich für Personalmangel
In den USA hat das reale Wachstum des Bruttoinlandprodukts BIP von 2,5 Prozent im Jahr 2023 die Erwartungen übertroffen.
Pictet erwartet, dass das Wachstum in den kommenden zehn Jahren durchschnittlich 2,1 Prozent betragen wird, eine Rate, die über den Schätzungen der Federal Reserve Bank Fed über dem langfristigen Potenzial der USA liegt.
Der Abwärtsdruck auf das Arbeitskräftewachstum aufgrund einer alternden Bevölkerung sollte durch den jüngsten Anstieg der Einwanderung teilweise ausgeglichen werden.
Nach einer deutlichen Verbesserung im vergangenen Jahr wird erwartet, dass das Produktivitätswachstum wieder im Trend sein wird, wobei die Vorteile von Remote-Arbeit und KI möglicherweise durch die Alterung der Belegschaft und den Klimawandel ausgeglichen werden.
Phase von Nullzins vorbei
«Wir erwarten, dass der Zinssatz der Fed per Ende 2024 sinken wird und im nächsten Jahrzehnt in Richtung 3 Prozent konvergiert», so Pictet weiter.
Es sei zudem selbst bei einer Rezession unwahrscheinlich, dass die Wirtschaft in das Umfeld niedriger Zinssätze und geringer Zinsvolatilität zurückfalle.
Städtebau in China vorbei
In China hat der Einbruch im Immobiliensektor das Wirtschaftswachstum beeinträchtigt und ist zu einer starken desinflationären Kraft geworden.
Trotz der Wiedereröffnung nach Covid und verschiedenen staatlichen Unterstützungsmassnahmen muss sich der Sektor noch stabilisieren.
Der Rückgang des Bevölkerungswachstums in China und die Verlangsamung des Tempos der Urbanisierung deuten darauf hin, dass die Nachfrage nach städtischem Wohnungsbau wahrscheinlich ihren Höhepunkt erreicht hat und im kommenden Jahrzehnt nach unten tendieren könnte.
Kontinuität in Indien
Indien, die zweitgrösste Schwellenwirtschaft Asiens, scheint die starke Wachstumsdynamik, die es in den vergangenen Jahren genossen hat, aufrechterhalten zu können.
Narendra Modi wird sich wahrscheinlich eine dritte Amtszeit als indischer Premierminister bei den Parlamentswahlen 2024 sichern, was auf die Kontinuität der Politik hinweist.
Potenzial am grössten
Die zunehmenden geopolitischen Spannungen zwischen den USA und China haben auch viele multinationale Unternehmen dazu veranlasst, Indien als alternatives Ziel für das Produktions-Outsourcing ernster zu nehmen.
Dieser Rückwind bedeutet, dass Pictet weiterhin glaubt, dass Indiens langfristiges Wachstumspotenzial das Höchste in der Region ist.
Sorgenkind Deutschland
Europa versuche immer noch, über seine Prioritäten nach der Coronavirus-Pandemie hinauszugehen, wobei es insbesondere Deutschland schwerfällt, sein Geschäftsmodell an eine neue wirtschaftliche und geopolitische Realität anzupassen.
Zusätzlich zu seiner Exposition gegenüber dem Krieg in der Ukraine und den höheren Energiekosten glaubt Pictet, dass der Hauptgrund für Europas chronische wirtschaftliche Unterleistung gegenüber den USA in den vergangenen Jahren eine weniger unterstützende fiskalische Haltung war.
Eine teilweise und suboptimale Reform der europäischen Haushaltsregeln lässt wenig Hoffnung auf einen Quantensprung in absehbarer Zeit.
Hohes Wirtschaftswachstum
Doch die Schweiz fällt beim Stichwort Europa völlig aus dem Rahmen.
Die Pictet-Experten teilen sie in die Kategorie zu China und Indien ein.
Wer auf die obere Grafik schaut, sieht, dass das reale Wirtschaftswachstum mit niedriger Inflationsrate einhergeht.
20.08.2024/kut.