Wunder der Migration im Wolfsberg

Flüchtlinge hinter einem Stacheldraht und vor einer Erdkugel
Die hohe Zuwanderung braucht neue Denkanstösse – wie einen finanziellen Stacheldraht. (Symbolbild: pixabay)

Die Schweiz streitet heftig um Fragen der Zuwanderung. Dabei kamen sich Linke wie Rechte im geschichtsträchtigen Schloss Wolfsberg erstaunlich nahe.

Wie soll die Schweiz die Zuwanderung kontrollieren?

Darüber stritten sich am vergangenen Wochenende zahlreiche Wirtschaftsgrössen, Bundes- und Kantonalpolitiker, Diplomaten, Parteipräsidenten, Wissenschafter, Heimatschützer, Starjuristen, Gewerkschafter, Banker, Jungunternehmer, Kirchenvertreter und Journalisten.

Tragfähige Lösungen finden

Ins Schloss Wolfsberg bei Ermatingen TG hatte der Verein Zivilgesellschaft geladen, der vom St. Galler Unternehmer und einstigen Privatbankier Konrad Hummler präsidiert wird und vor fast drei Jahrzehnten vom Tessiner Tito Tettamanti gegründet worden war.

Die Organisation will die zivile Streitkultur nicht nur fördern, sondern der Schweiz auch als Basis für eine friedfertige Austragung sozialer Herausforderungen dienen.

Da passte es ins Konzept, Zuwanderungsfragen zu beleuchten, welche die Schweiz derzeit entzweien, um mit allen Gesellschaftsschichten tragfähige Lösungsansätze zu skizzieren, die dann in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft umgesetzt werden sollen.

Mehr Arbeitslosigkeit von Osteuropäern

Rasch wurde an dem Kolloquium im Wolfsberg mit den hochrangigen Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Religion und Kultur klar, dass sich das Thema gut in drei Teile strukturieren lässt.

Dann lassen sich jeweils Massnahmen dazu suchen.

Konrad Hummler am Kolloquium des Vereins Zivilgesellschaft
Konrad Hummler eröffnete das Kolloquium. (Bild: muula.ch)

Erstens geht es um die Personenfreizügigkeit mit der Europäischen Union (EU), welche der Schweiz viele Arbeitskräfte bringt.

Sie führt mittlerweile aber auch vermehrt zu Problemen wie Verkehrsstaus, Wohnungsknappheit und steigender Arbeitslosigkeit unter Rumänen sowie Bulgaren.

Neuwähler über Einbürgerungen

Die SVP möchte das Abkommen möglichst rasch loswerden, weil diese Zuwanderung neben den genannten Herausforderungen auch über Einbürgerungen immer mehr EU-Gedankengut in die Schweiz bringt und die Machtbasis der SVP aushöhlt.

Die Linken freuen sich dagegen über diese EU-Zuzügler, weil sie ihnen viele Wähler beschert.

Selbst Schweizer Detailhändler um Migros, Coop & Co. jubeln über diese Arbeitsmigranten, denn dadurch erhöht sich die Zahl der Kundschaft.

Prüfen grenznaher Lösungen

Eine wichtige Rolle spielen in dem EU-Zusammenhang die Grenzgänger, hiess es am Kolloquium.

Diese Ausländergruppe arbeitet von 9 bis 17 Uhr in der Schweiz und löst sich danach aber quasi in Luft auf, was eine gute Form von Arbeitszuwanderung darstellt. Gewiss, viele Staus ergeben sich am Morgen und Abend vom Tessin bis Genf.

Doch dieser Personenkreis belastet den Schweizer Wohnungsmarkt beispielsweise nicht, was für das Land einen grossen Wert darstellt.

Will die Schweiz das Grenzgängerregime mit den Nachbarstaaten ausbauen, bräuchte es die Personenfreizügigkeit eventuell gar nicht mehr.

Durch den Ausbau von Bahnstecken mit Hochgeschwindigkeitszügen bis weit ins Hinterland von Italien, Frankreich, Deutschland und Österreich könnte die Schweiz sogar noch mehr Talente für sich erschliessen. Gleichzeitig würden sich die Stauprobleme auf den Strassen entschärfen.

Staat im Hintergrund halten

Dabei bringen der Schweiz staatliche Einwanderungsquoten oder Punktesysteme, wie es sie in Australien oder Kanada gibt, herzlich wenig, weil der Staat künftige Bedarfe nicht genau kennt.

Die Steuerung der Arbeitsmigration weiterhin über die Wirtschaft sei da viel besser, hiess es in den Diskussionsrunden, die teils bis in die frühen Morgenstunden andauerten.

Sektorielle Lösungen mit Limitierungen böten sich aber an. Dabei sollte die Schweiz zunächst erst inländisches Arbeitskräftepotenzial mobilisieren und einen Renteneintritt für alle fix nach 40 oder 42 Beitragsjahren realisieren.

Brüssel sitzt am Stellhebel

Im Wolfsberg machten Teilnehmer allerdings auch klar, dass die Schweiz zunächst einen Gesamtnutzen der EU für das Land ermitteln muss, den weder das linke noch das rechte Lager verzerrt.

Ausbildungskosten für Ärzte, Ingenieure und Manager aus der EU müssten dabei genauso einfliessen, wie Sicherheitsaspekte des Landes, der Wert des EU-Binnenmarktes sowie die Nutzung von Spitälern, Flughäfen & Co. durch Auslandschweizer oder Touristen.

SVP-Chef Marcel Dettling im Wolfsberg
Marcel Dettling sprach im Wolfsberg. (Bild: muula.ch)
Grünen-Chefin Lisa Mazzone im Wolfsberg
Grünen-Chefin Lisa Mazzone legte ihre Positionen dar. (Bild: muula.ch)

Denn die Übermacht der EU gegenüber der kleinen Schweiz ist dabei analog zu den USA nicht klein.

Brüssel könnte der Schweiz die Überflugrechte streichen, die Rheinschifffahrt verbieten und den Alpenverkehr noch mehr über Österreich statt über den Gotthard leiten.

Dies würde die Schweizer regelrecht einsperren und dem Land mehr schaden als die fehlende Börsenäquivalenz, Horizon-Bildungsbeteiligung oder ein paar Zusatzzertifizierungen für Medizaltechnik.

Diskriminierung von Drittstaatlern

Die zweite Dimension bei der Zuwanderung ist das Thema «Drittstaaten».

Weil die Schweiz erst im ganzen EU-Raum potenzielle Arbeitnehmer suchen muss, könnte sie geeignete Talente aus Indien, China, Japan, USA, Australien & Co. möglicherweise nicht rasch ins Land holen.

Dies sei sogar eine Diskriminierung, kritisierten Teilnehmer im Schloss Wolfsberg.

Sozialstaat beachten

Hochkarätige Wissenschafter oder Topmanager wollen auch nicht jedes Jahr im Sitzkanton ihrer Forschungseinrichtung beziehungsweise ihrer Firma um die Verlängerung ihrer Aufenthaltsbewilligungen betteln.

Die Schweiz könnte das Problem beispielsweise mit einer «Green Card» für Hochqualifizierte elegant lösen.

Die Personenfreizügigkeit werde damit quasi auf die ganze Welt ausgedehnt. Doch dann stösst der Sozialstaat schnell an seine Grenzen, wie einst schon der Nobelpreisträger und liberale Ökonom Milton Friedman gewarnt hatte.

Rechtlich wenig Handhabe

Der dritte und schwierigste Teil der Zuwanderung ist jener im Asylrecht. Flüchtlinge, die nicht in ihre Heimat zurückkönnen, dürfen wohl auch künftig auf das humanistische Ansinnen der Schweiz zählen.

Menschen, die um ihr Leben fürchten müssen, sollen nie wieder an den Schweizer Grenzen abgewiesen werden, lautete einhellig der Tenor im Wolfsberg.

Konrad Hummler am Koloquium des Vereins Zivilgesellschaft
Konrad Hummler fasste gemeinsame Positionen stets zusammen. (Bild: muula.ch)

Rechtlich sei der Spielraum für das Abweisen mittlerweile ohnehin schwierig, mahnten Teilnehmer am Kolloquium. Die Schweiz sollte dabei jedoch die Höhe der Sozialleistungen überdenken.

Wertesysteme prallen aufeinander

Doch Kirchenvertreter merkten an, dass bei Flüchtlingen mit muslimischem Glauben oft keine Trennung von Staat und Religion erfolge.

Asylanten dürften das Wertesystem der Schweiz aber nicht infrage stellen.

Im Wolfsberg wurde obendrein deutlich, dass vor allem dieser Bereich der Zuwanderung die Ausländerkriminalität prägt und die Schweiz hier rasch handeln muss.

Klärung ausserhalb Europas

Eine Idee, welche derzeit viele Länder diskutieren, stiess auch bei den Gesprächen im Kanton Thurgau auf Interesse. Die Schweiz könnte Asylverfahren bereits in ihren Botschaften in den Herkunftsländern der Flüchtlinge durchführen.

Die anwesenden Diplomaten stuften das Unterfangen zwar gleich als aussichtslos ein.

Doch mit ausreichenden Ressourcen in den diplomatischen Vertretungen kämen abgelehnte Flüchtlinge erst gar nicht in die Schweiz. Dies würde auf der anderen Seite viel Steuergeld und vor allem Ärger im Inland ersparen.

Dänemark als Wegweiser

Dabei kam im Schloss Wolfsberg, das mittlerweile der Grossbank UBS gehört und als Seminar- und Konferenzzentrum dient, auch der Streitpunkt zur Sprache, ob die Schweiz ihre Entwicklungshilfe von der Rücknahme krimineller Ausländer abhängig machen könnte.

Asylgründe seien individuell und nicht vom Staat abhängig, lautete dabei zwar ein Gegenargument der Diplomatie.

Doch Dänemark beweist, dass es geht, Hilfsgelder mit Rücknahmeverpflichtungen zu verbinden und so Rückführungen von abgelehnten Ausländern zu forcieren.

Zielzustand definieren

Alle drei Dimensionen der Zuwanderung warfen Fragen um quantitative und qualitative Probleme auf.

Der Zahlenteil dreht sich darum, wie viel Wirtschaftswachstum die Schweiz wolle, welche demografischen Herausforderungen anstünden, wie hoch der Energieverbrauch sein solle, ob Einzelpersonen oder Paare in kleinere Wohnungen ziehen sollten und wo Grünflächen, die ohnehin schon stark schrumpfen, künftig noch verschwinden dürften.

Die qualitativen Aspekte der Migrations- und Flüchtlingspolitik tangierten die Rechtsstaatlichkeit, Zwangsheiraten, Geschlechtertrennung, körperliche Züchtigungen, Kriminalität und das künftige Zusammenleben in der Wertegemeinschaft Schweiz.

Jan Atteslander von Economiesuisse sprach im Wolfsberg
Jan Atteslander von Economiesuisse sprach über Demografie. (Bild: muula.ch)
Psychiater Frank Urbaniok sprach im Wolfsberg
Der renomierte Psychiater, Professor Frank Urbaniok, sprach über Kriminalität. (Bild: muula.ch)

Diesbezüglich zeigte sich im Wolfsberg, dass Linke und Rechte oftmals gar nicht so weit auseinanderliegen. Anwesende vertraten teils sogar Positionen gegen ihre Ideale.

Und ein Grossteil der Bevölkerung hat mittlerweile genug vom Menschenzustrom aus dem Ausland.

Westliche Werte sind ohnehin nicht verhandelbar und das Ur-Schweizer Volk möchte sich auch nicht weiter «aushöhlen» lassen.

Zusammenraufen in Griffweite

Die Rechten schüttelten dabei aber über die Linken schon ab und zu die Köpfe. Im Umweltbereich wollen sie externe Effekte über Jahrzehnte internalisieren, aber bei der Zuwanderung reden sie genau solche Negativwirkungen stets klein.

Doch ein Kompromiss rückt dank des Vereins Zivilgesellschaft und Hummler sowie Tettamanti näher..

Das Land streitet nach dem Kolloquium im Wolfsberg nicht mehr um die Fakten. Die Schweiz kann nunmehr um die bestmögliche Lösung in den drei Migrationsbereichen ringen.

06.10.2025/kut.

Wunder der Migration im Wolfsberg

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