Die Schweizer Zentralbank relativierte negatives Eigenkapital stets bei sich selbst. Doch nun kann sie von Eigenmitteln offenbar nicht genug bekommen.
Die Schweizerische Nationalbank SNB hat seit Oktober mit Martin Schlegel eine neue Führungspersönlichkeit bekommen.
Er löste Thomas Jordan ab und tritt nun öfter in der Öffentlichkeit in Erscheinung.
Absage an Ausschüttungen
Am heutigen Freitag hielt er an der Universität Zürich eine Rede, die in Finanzkreisen allerdings mehr Stirnrunzeln als Klarheit hervorbrachte.
«Angesichts der Bilanzrisiken ist das Eigenkapital der Nationalbank derzeit deutlich zu niedrig» erklärte Schlegel.
Das Eigenkapital der SNB aufzubauen, müsse deshalb Vorrang vor Gewinnausschüttungen haben, erklärte der neue SNB-Chef weiter.
Hohe Eigenkapitalquote
Aktuell hat die Notenbank laut ihrem Zwischenbericht aber ein Eigenkapital von fast 120 Milliarden Franken.
Mit einer Bilanzsumme von rund 822 Milliarden Dollar per Mitte Jahr kommt die SNB damit auf fast 15 Prozent an Eigenkapitalquote. Das ist schon ein hoher Wert für ein Geldhaus.
Künftige Gewinne helfen
Das Schulterzucken unter Ökonomen resultierte daher, dass die Schweizer Zentralbank stets erklärte, selbst negatives Eigenkapital könne ihr nichts anhaben.
«Die konsequente Erfüllung des geldpolitischen Auftrags kann in bestimmten Situationen dazu führen, dass die Nationalbank das Risiko massiver Verluste in Kauf nehmen muss, die ihr Eigenkapital vorübergehend negativ werden lassen», heisst es sogar derzeit noch auf der SNB-Webseite.
In der Bilanz würde sich dies in einer negativen Ausschüttungsreserve spiegeln, deren Höhe die Rückstellungen für Währungsreserven und das Aktienkapital in absoluten Zahlen übersteigen würde, so die SNB.
Ein solcher Zustand wäre wahrscheinlich nur vorübergehend, da bei einer Zentralbank aufgrund ihres strukturellen Gewinnpotenzials in der Regel über die Zeit wieder Überschüsse anfallen, erklärte die Zentralbank weiter.
Bilanzverlängerung als Problem
Schlegel hob in seiner Rede auf Englisch in Zürich hervor, dass das zentrale Element der geldpolitischen Umsetzung der Nationalbank der SNB-Leitzins sei, der den geldpolitischen Kurs bestimme.
Als zusätzliche geldpolitische Massnahme habe die SNB aber auch Devisenmarktinterventionen eingesetzt, sowohl um der Deflationsgefahr entgegenzuwirken als auch um die Inflation zu bekämpfen.
Ein wichtiger Nebeneffekt der erforderlichen Devisenkäufe sei allerdings die Verlängerung der Bilanz der SNB gewesen, was zu starken Schwankungen ihres Jahresergebnisses geführt habe.
Daher bräuchte es nun mehr Eigenkapital, so seine Argumentation.
Kein Kapitaleinschuss nötig
Eine Nationalbank müsste bei negativen Eigenmitteln aber weder saniert noch liquidiert werden.
Die Nationalbank sei aufgrund ihrer Kapazität zur Geldschöpfung in eigener Währung stets zahlungsfähig, weil sie theoretisch unlimitiert über offizielle Zahlungsmittel verfüge, so die Erklärung der SNB zu dem Phänomen.
Daher sei die Nationalbank auch bei vorübergehend negativem Eigenkapital vollumfänglich handlungsfähig.
Zudem bestünde bei negativem Eigenkapital für die Nationalbank kein rechtlicher Zwang zur Sanierung, geschweige denn zur Liquidation, und es gibt auch keine Nachschusspflicht für die Aktionäre der SNB.
Glaubwürdigkeit leidet
Warum braucht eine Zentralbank dann überhaupt Eigenmittel, wenn sie gar keine Rolle spielen?
«Falls eine Zentralbank während langer Zeit über ein negatives Eigenkapital verfügt, kann sie ihre Glaubwürdigkeit an den Märkten verlieren», erklärte die SNB diesbezüglich.
Damit wäre sie im Extremfall nicht mehr in der Lage, ihren geldpolitischen Auftrag uneingeschränkt wahrzunehmen.
«Es wäre daher ein zentrales Anliegen der Nationalbank, nach Verlusten als erstes ihr Eigenkapital wieder aufzubauen», so die SNB.
Vorgeschmack auf Geldpolitik
Wenn 120 Milliarden Franken als Eigenmitteln für SNB-Chef Schlegel zu wenig sind, kann man sich also ausmalen, mit welchen Verlusten die SNB aufgrund ihrer künftigen Geldpolitik wohl rechnet.
Angesichts sinkender Zinsen sowie geopolitischer Herausforderungen kommt da einiges auf die Schweiz zu.
Negativzinsen lassen da wohl wieder grüssen – denn diese haben über die Massnahmen der Schwächung des Schweizerfrankens zur gigantischen Aufblähung der Zentralbankbilanz erst geführt.
Das Ausschütten von ein paar Franken an die Kantone und den Bund kann ja nicht wirklich das Problem dabei sein.
Grossbank im Fokus?
Der neue SNB-Chef könnte mit «Aufbau des Eigenkapitals vor Gewinnausschüttungen» aber auch einen Wink mit dem Zaunpfahl an die Grossbank UBS gegeben haben.
Geldhäuser haben ja nur drei Möglichkeiten, ihre Eigenmittel aufzustocken – durch Dividendenverzicht, durch Kapitaleinschüsse oder durch Herunterfahren der Risiken.
Vielleicht wollte SNB-Präsident Schlegel der UBS raten, erst einmal auf Ausschüttungen zu verzichten, um die niedrige Eigenkapitalquote von aktuell nicht einmal 5 Prozent auf ein akzeptables Mass zu bringen.
Anspruch steigt mit Verantwortung
Das wäre allerdings auch inkonsequent. Jahrelang war dieser niedrige Wert beim harten Eigenkapital für die Schweizer Finanzmarktstabilität bekanntermassen kein Problem.
Dafür war Schlegel vor seiner Ernennung zum SNB-Chef aber die ganze Zeit zuständig gewesen.
Nun, mit der Verantwortung für die gesamte SNB-Politik, könnte ihm das UBS-Eigenkapital analog zu den Eigenmitteln der Schweizer Zentralbank zu niedrig sein.
22.11.2024/kut.