Späte Einsicht beim Traditionskonzern Von Roll

Von-Roll-Werk in Breitenbach
Das Schweizer Werk von Von Roll in Breitenbach. (Bild: PD)

Die Schweizer Traditionsfirma Von Roll kommt seit Jahren kaum noch auf einen grünen Zweig. Nun ergibt sich aber eine aussichtsreiche Perspektive.

«Besser spät als nie» dürften einige Beobachter des Schweizer Wirtschaftsgeschehens am heutigen Freitag gedacht haben.

Die Traditionsfirma Von Roll, Hersteller von Elektroisolationen und Spezialmaterialien, hat ein Übernahmeangebot des deutschen Spezialchemiekonzerns Altana erhalten.

Aufkauf aller Titel

Die Deutschen schlossen Vereinbarungen mit den Hauptaktionären und dem Management der Von Roll Holding AG über den Erwerb von 84,3 Prozent der ausstehenden Aktien zum Preis von 86 Rappen pro Aktie, teilte Von Roll am heutigen Freitag mit.

Zum gleichen Preis kündigte Altana über einer Tochtergesellschaft zudem ein öffentliches Kaufangebot für alle Aktien der Von Roll Holding an.

Dieser Wert entspreche einer Prämie von 8,9 Prozent gegenüber dem volumengewichteten Durchschnittspreis der letzten 60 Handelstage und von 10,3 Prozent auf den Schlusskurs der Von-Roll-Aktien vom gestrigen 10. August 2023.

Damit will der deutsche Konzern mit Sitz in Wesel am Niederrhein die Innovationskraft für den Ausbau der Elektromobilität und erneuerbarer Energien bündeln, wie es hiess.

Schluss nach 200 Jahren

Der Verwaltungsrat von Von Roll findet all dies gut. Der Verkauf sei im Interesse der Von Roll Holding AG sowie aller Stakeholder dieser Gesellschaft, erklärte das Management.

Der Verwaltungsrat werde den Aktionären in einem Bericht zum Kaufangebot die Annahme des Kaufangebots empfehlen und in seinem Bericht, der im Angebotsprospekt der Elantas GmbH veröffentlicht werden wird, detailliert Stellung nehmen sowie seine Andienungsempfehlung begründen, hiess es von der im Jahre 1823 gegründeten Schweizer Traditionsfirma.

Konzern auf Intensivstation

Doch der Schritt, sich mit einem grösseren Partner zusammenzutun, kommt spät. Seit Jahren sinken die Umsätze des einstigen Milliardenkonzerns dramatisch.

Viele Verluste fielen an. Die «NZZ», die sich früher noch stark mit Firmen auseinandersetzte, schrieb bereits vor rund zehn Jahren, dass das Siechtum bei Von Roll weitergehe und eigentlich drastische Massnahmen des Managements erfordere.

Auch von Industriekonzern auf der Intensivstation war bei dem Traditionsblatt bereits die Rede.

Rund 1000 Mitarbeiter

Im Laufe der Unternehmensgeschichte musste sich Von Roll mehrfach einem wandelnden Marktumfeld anpassen und entwickelte sich so von der grössten Schweizer Stahl- und Eisenhütte zu einem Industrieunternehmen, das nunmehr die Energiewende mitvorantreibt.

Von Roll ist ein Hersteller für Elektroisolationssysteme, die etwa in Windkraftanlagen zur Anwendung kommen.

Die Firma entwickelt aber auch Hochleistungsmaterialien für die nächste Batteriegeneration im Bereich Elektromobilität und produziert umweltfreundliche Kunststoffe für die Flugzeugindustrie.

Mit weltweit 14 Standorten und rund 1000 Mitarbeitern beliefert der Konzern derzeit Kunden in über 80 Ländern. Vom einstigen Transformator- oder Generatorengeschäft ist also auch keine Rede mehr.

Preispremium als Hürde

All dies muss sich aber auch rechnen und daran hapert es immer wieder.

Die Produkte werden von Kunden durchaus geschätzt, aber die Schweizer Produktionskosten am Standort Breitenbach SO sowie die ganzen Konzernstrukturen mit vielen Werken weltweit sind wohl zu üppig und bringen das notwendige Preispremium nicht.

Die Nettoerlöse lagen im ersten Halbjahr 2023 aber bloss noch bei 122,6 Millionen Franken, wie das Unternehmen ebenfalls am heutigen Freitag bekanntgab.

Der Gewinn lag bei 8,2 Millionen Franken. Vor der Corona-Pandemie, im ersten Halbjahr 2020, gab es aber auch nur einen Umsatz von 120 Millionen Franken. Damals war ein Verlust von 15 Millionen Franken angefallen.

Seit Jahren hangelt sich Von Roll von Neuausrichtung zu Neuausrichtung und vom Verkauf der Immobilien sowie weltweiten Werke zur nächsten Transaktion. Irgendwann ist aber auch dort das Ende der Fahnenstange erreicht.

Fragwürdige Börsenkotierung

Der Jahresumsatz betrug vor einer Dekade noch 500 Millionen Franken. Gewinn gab es schon damals keinen. Nun ist das Unternehmen bei den Einnahmen noch halb so gross – vielleicht wäre die Suche nach einem Partner viel früher sinnvoll gewesen.

Die nun angekündigte Übernahme soll voraussichtlich im November 2023 erfolgen. Danach sollen die Aktien von der Schweizer Börse SIX genommen werden, teilte das Unternehmen weiter mit.

Denn seit Jahren stellt sich auch die Frage, ob mit dem Grossaktionär, der deutschen Industrieellenfamilien von Finck, die derzeit 81 Prozent an dem Industriekonzern hält, eine Börsennotierung nicht etwas übertrieben ist.

Neben dem Durchwursteln auf der Geschäftsseite war nämlich auch die Notwendigkeit einer Börsenkotierung und der damit verbundene Extraaufwand häufig Gesprächsthema.

Freundschaft zu Baron

Seit Jahren begleitet das Sterben auf Raten des Von-Roll-Konzerns der Verwaltungsratspräsident Peter Kalantzis. Das ist ein ehemaliger Lonza-/Alusuisse-Manager und ein Weggefährte des Münchner Barons August von Finck sowie des italienischen Agnelli-Clans.

Diese Ära dürfte mit den Deutschen von Altana und dem Verschwinden des einstigen Schweizer Vorzeigekonzerns auch bei Von Roll bald vorbeisein.

«Besser spät als nie» dürften bei alldem am heutigen Freitag daher viele traditionsreiche Schweizer gedacht haben.

11.08.2023/kut.

Späte Einsicht beim Traditionskonzern Von Roll

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert