SNB-Vize Schlegel redet über Herzensangelegenheit

SNB-Vize Martin Schlegel in Genf
SNB-Vize Martin Schlegel erklärt die Hintergründe der Interventionen am Devisenmarkt. (Bild: muula.ch)

Der Kronfavorit für den SNB-Chefposten Martin Schlegel verteidigt Interventionen am Devisenmarkt. Für stabile Preise seien sie unerlässlich.

Der Kronfavorit für den Chefposten der Schweizerischen Nationalbank (SNB) Martin Schlegel hat die Notwendigkeit von Interventionen der Zentralbank am Devisenmarkt bekräftigt.

Ohne diese Eingriffe der Notenbank am Kapitalmarkt, wäre der Auftrag, Preisstabilität zu gewähren, nicht erfüllbar gewesen.

Dies sagte der Vizepräsident des SNB-Direktoriums am heutigen Dienstagabend an einer öffentlichen Vorlesung am International Center for Monetary and Banking Studies (ICMB) in Genf.

Abstürzende Weltwirtschaft

Der Wechselkurs spiele seit Jahrzehnten eine wichtige Rolle für die Schweizer Wirtschaft und für die Geldpolitik der SNB.

Aber erst in der globalen Finanzkrise, am 12. März 2009, begann die Schweizer Zentralbank in grossem Umfang am Devisenmarkt zu intervenieren, wie Schlegel weiter ausführte.

Nur sechs Monate vor jenem Datum hatte Lehman Brothers Konkurs angemeldet.

Die Aktienmärkte brachen ein, die Weltwirtschaft stürzte ab und die Inflation fiel. Zentralbanken weltweit senkten ihre Leitzinsen rasch und erhöhten die Liquidität.

Deflationskampf als Auslöser

Die Turbulenzen an den internationalen Finanzmärkten erreichten auch den Schweizer Finanzmarkt. Der Rückgang der globalen Nachfrage traf die Schweizer Wirtschaft.

Investoren flüchteten in den als sicheren Hafen geltenden Schweizer Franken, wodurch die Währung unter starken Aufwertungsdruck geriet.

Die Inflationsaussichten verschlechterten sich und das Deflationsrisiko wurde akut, worauf die SNB ihren Leitzins auf 0,25 Prozent senkte.

Schüttet Herz aus

«Doch selbst mit dem Leitzins nahe bei null wären die monetären Bedingungen noch zu restriktiv gewesen», sagte Schlegel. Weitere Massnahmen seien daher nötig gewesen, führte er, der damals Leiter der Organisationseinheit Devisen und Gold war, vor duzenden Studierenden in Genf weiter aus.

«Das Thema Devisenmarktinterventionen liegt mir also am Herzen», hob er hervor. 

Um die Geldpolitik zu lockern, konnte die SNB jedoch nicht in ausreichender Menge Anleihen kaufen – im Gegensatz zu anderen Zentralbanken. Denn der Franken-Anleihenmarkt war viel zu klein.

Daher intervenierte die SNB am Devisenmarkt. «So gingen wir die Hauptursache des Deflationsrisikos – die Aufwertung des Frankens – direkt an.»

Mindestkurs eingeführt

Auf die globale Finanzkrise folgte 2010 die europäische Staatsschuldenkrise und verschärfte sich im Sommer 2011 massiv. Der Franken stand unter starkem Aufwertungsdruck und erreichte beinahe die Parität zum Euro.

Seit Beginn der globalen Finanzkrise im Sommer 2007 bis zum Sommer 2011 hatte er sich gegenüber dem Euro immerhin um fast 40 Prozent aufgewertet, weshalb das Deflationsrisiko wieder hoch war.

Aufgrund dieses Risikos und der Bedrohung für die Schweizer Wirtschaft führte die SNB einen Mindestkurs von 1.20 Franken pro Euro ein. 

«Wir waren bereit, zur Durchsetzung dieses Mindestkurses Devisen in unbeschränkter Höhe zu kaufen», sagte Schlegel zu den erneuten Aktivitäten am Devisenmarkt.

Unterschiedliche Geldpolitik

Die Massnahme habe sich als wirksam erwiesen und die Inflation mittelfristig stabilisiert. Zudem habe sich die Planungssicherheit für die Unternehmen verbessert und die Konjunktur habe sich in der Folge robust entwickelt.

2014 antizipierten die Kapitalmärkte laut Schlegel, dass sich die Ausrichtung der Geldpolitik in den USA und in der Eurozone unterschiedlich entwickeln würde.

Sie erwarteten eine Straffung der Geldpolitik in den USA. Zugleich signalisierte die Europäische Zentralbank, dass Ende 2014 weitere geldpolitische Lockerungsmassnahmen nötig sein würden.

Die divergierenden geldpolitischen Aussichten beeinflussten die Wechselkurse: Der Euro wertete sich gegenüber dem US-Dollar deutlich ab, was dazu führte, dass sich der Franken gegenüber dem US-Dollar abschwächte.

«Der Frankenkurs näherte sich 1.20 Franken pro Euro an, und wir mussten intervenieren, um den von der SNB festgelegten Mindestkurs zu halten», erklärte Schlegel.

Kontrollverlust über SNB-Bilanz

In diesem Umfeld wäre der Mindestkurs nicht mehr nachhaltig gewesen. Seine Beibehaltung hätte hohe Kosten nach sich gezogen: noch umfangreichere Interventionen, den Kontrollverlust über die SNB-Bilanz und den Verlust von Glaubwürdigkeit.

Daher beschloss die SNB, den Mindestkurs am 15. Januar 2015 aufzuheben. Gleichzeitig senkte sie den Leitzins auf −0,75 Prozent.

Die erste nominelle Aufwertung im Januar 2015 war nach dem «Schock» beachtlich.

Die Negativzinsen und Devisenkäufe federten in den folgenden Monaten aber die Aufwertung und die Deflation zu einem gewissen Grad ab.

Exportindustrie litt stark

Vor allem exportorientierte Unternehmen waren von der plötzlichen Aufwertung des Frankens negativ betroffen. Viele Unternehmen konnten den Schock absorbieren, indem sie ihre Gewinnmargen schmälerten. Langfristig mussten sie aber an ihrer Kostenbasis feilen.

«Nach der Aufhebung des Mindestkurses waren wir weiterhin am Devisenmarkt aktiv», sagte Schlegel.

Dabei habe die SNB nicht mehr nur auf den Euro, sondern auf die gesamte Währungssituation fokussiert, damit der Franken sich nicht unermesslich verteuerte.

 Devisenverkäufe gegen Inflation

Gegen Ende der Coronavirus-Pandemie schnellten dann die Energiepreise in die Höhe, wie Schlegel in Erinnerung rief. Globale Lieferketten wurden unterbrochen. Gleichzeitig normalisierte sich der Konsum der Haushalte mit der Aufhebung der Lockdowns. Aber der Krieg in der Ukraine verschärfte die Lage wieder.

Die Teuerungsraten stiegen weltweit markant an, auch in der Schweiz, jedoch später und weniger ausgeprägt als in anderen Ländern. 

Die steigenden Importpreise, vor allem für Energie, waren zunächst die stärksten Inflationstreiber in der Schweiz.

Um die importierte Inflation zu dämpfen, beendete die SNB ihre Devisenkäufe und liess den Franken aufwerten.

Keine Alternative

Im Juni 2022 erhöhte sie dann den SNB-Leitzins um 50 Basispunkte auf -0,25 Prozent. Im vierten Quartal 2022 startete sie Devisenverkäufe, um die straffende Wirkung der Zinsen zu unterstützen. Insgesamt verkaufte sie 2022 Devisen für rund 22 Milliarden Franken.

2023 umfassten die Devisenverkäufe sogar rund 133 Milliarden Franken, was 17 Prozent des Schweizer Bruttoinlandprodukts BIP entsprach.

Die Kombination von Zinserhöhungen und Devisenverkäufen senkte die Inflation rasch in den Bereich der Preisstabilität, den die SNB mit unter 2 Prozent definiert.

«Ohne den Einsatz von Devisenverkäufen hätte die SNB den Leitzins stärker anheben müssen», sagte Schlegel weiter.

Hohe Schwankungen belasten

Als Nebenwirkung der SNB-Geldpolitik in den vergangenen 15 Jahren bezeichnete Schlegel die grosse Bilanz. «Die SNB hat ihre Devisenreserven und damit ihre Bilanz signifikant erhöht, um ihr Mandat zu erfüllen.»

2022 erreichte die SNB-Bilanz einen Rekordwert von einer Billion Franken. Dies entspricht fast dem Eineinhalbfachen des Schweizer BIP.

Mit den grösseren Devisenreserven gehen auch grössere Schwankungen der absoluten Gewinne und Verluste einher. Diese Schwankungen sind vor allem von den Entwicklungen an den internationalen Finanzmärkten abhängig.

«Insbesondere die Entwicklungen von Wechselkursen, Aktienkursen und Zinsen beeinflussen unser Jahresergebnis», so Schlegel.

Risiken zur Nationalbank

Die SNB verbuchte dann sogar einen Verlust von 132,5 Milliarden Franken und konnte keine Gewinne an Bund und Kantone ausschütten.

Durch die SNB-Devisenkäufe hätten sich eben die Währungsrisiken vom Privatsektor zur SNB verschoben.

Aus Sicht von Schlegel haben die Devisenmarktinterventionen aber in den vergangenen 15 Jahren zur Erhaltung der Preisstabilität beigetragen.

Zusammenspiel wichtig

«Durch die Kombination von Leitzins und Devisenmarktinterventionen gelang es der SNB, angemessene monetäre Bedingungen zu gewährleisten – sowohl in Phasen tiefer Inflation und mit dem SNB-Leitzins nahe an der effektiven Zinsuntergrenze als auch bei hoher Inflation.» 

In der jüngsten Phase mit hoher Inflation habe sich gezeigt, wie gut das Zusammenspiel von Zinserhöhungen und Devisenverkäufen funktionierte: Die Inflation wurde erfolgreich zurück in den Bereich der Preisstabilität gebracht.

Auf die Frage von muula.ch, ob sich Schlegel mit diesen Erfahrungen befähigt sieht, das Amt des Präsidenten der SNB auszuüben, hielt sich der chancenreiche Anwärter auf die Position vornehm zurück.

Dies könne er nicht kommentieren, sagte er lediglich in Genf. Doch auch dies ist indirekt eine Manipulation.

09.04.2024/mat.

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