Die Schweiz versucht nach einem barschen Abbruch der Verhandlungen mit der EU einen Schmusekurs. Doch nützen wird das Ganze wohl nichts.
Am Montag sind in Bern wie in einem sozialistischen Land fein orchestriert die Gewerkschaften aufgetreten und haben lautstark gegen Dumpinglöhne sowie eine Annäherung der Schweiz an die EU protestiert.
Verhandlungsmandat im Fokus
Darüber berichtete muula.ch – genauso wie darüber, dass die Schweiz diese oder spätestens nächste Woche über den weiteren Weg in den bilateralen Beziehungen zur Europäischen Union entscheiden werde, weil sonst kaum noch Zeit für einen Abschluss der Verhandlungen bleibt.
Und muula.ch hatte Recht, der Bundesrat beschloss am heutigen Mittwoch, dass die zaghaften Sondierungsgespräche mit Brüssel beendet seien und die Schweizer Landesregierung bis Ende des Jahres über ein konkretes Verhandlungsmandat befinden werde. Das Signal an Brüssel lautet somit, wir sind Willens.
Der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse jubelte umgehend in einer Stellungnahme die Fortschritte.
Der Weg für Verhandlungen mit der EU sei geebnet, hiess es hoffnungsvoll. Die Wirtschaft unterstütze den Bundesrat weiterhin in seinem Bestreben, mit den «Bilateralen III» das Erfolgsmodell des bilateralen Wegs der Schweiz zu sichern und weiterzuentwickeln, so Economiesuisse.
Viele Baustellen
Die Sondierungsgespräche zwischen der Schweiz und der EU, welche die Verhandlungspartner nach dem barschen Zurückweisen von Gesprächen durch die Schweiz im April 2022 zaghaft initiierten, betrafen alle Elemente des Paketansatzes.
Darin enthalten sind einerseits die neuen Abkommen in den Bereichen Strom, Lebensmittelsicherheit und Gesundheit, die Teilnahme an EU-Programmen, wie Horizon Europe, die Wiederaufnahme des Regulierungsdialogs im Finanzbereich sowie die Einrichtung eines politischen Dialogs.
Andererseits sieht der Paketansatz auch die Aufnahme institutioneller Lösungen in die bestehenden Marktzugangsabkommen vor, einschliesslich des Abkommens über die Personenfreizügigkeit, um deren Funktionsweise langfristig zu garantieren.
Nur Geheimniskrämerei
Zudem umfasst die Vorgehensweise die Aufnahme von Regeln für staatliche Beihilfen in den Abkommen in den Bereichen Luft- und Landverkehr sowie Strom, aber auch einen regelmässigen Beitrag der Schweiz zur Kohäsion innerhalb der EU.
Die letzte Runde der Sondierungsgespräche der Schweiz mit der EU habe vor wenigen Tagen, am 27. Oktober 2023, stattgefunden, hiess es weiter.
Der Bundesrat überprüfe nun die Ergebnisse anhand der Ziele, die er sich gesetzt hatte, die er aber geheim hielt, um sich von der EU nicht in die Karten schauen zu lassen.
Delegation an die SVP
Der Bundesrat wird das Parlament, die Kantone, die Sozialpartner, die Wirtschaft und andere wichtige Akteure weiterhin eng in die nächsten Schritte des Prozesses einbeziehen, gelobte die Landesregierung.
Gerade die fehlende Kommunikation hatten die Gewerkschaften am Montag in Bern moniert. Sie würden eigentlich vor vollendete Tatsachen gestellt, lautete die Kritik.
Der Bundesrat hat zudem das WBF beauftragt, die technischen Gespräche über die internen Massnahmen in Bezug auf den Lohnschutz der entsandten Arbeitnehmer in der Schweiz mit den Sozialpartnern und den Kantonen fortzusetzen.
Die Landesregierung beauftragte das UVEK obendrein, Gespräche mit der Elektrizitätsbranche, den Kantonen und den Sozialpartnern über interne Umsetzungsmassnahmen im Zusammenhang mit einem Stromabkommen zu führen.
Ausserdem muss das UVEK die Gespräche mit den Sozialpartnern und den Schweizerischen Bundesbahnen SBB im Bereich des Landverkehrs fortzusetzen, namentlich in Bezug auf den internationalen Schienenpersonenverkehr und staatliche Beihilfen.
Gegner berühigen
Bei alldem braucht man sich nicht viele Gedanken zu machen, dass dies von Erfolg gekrönt sein wird.
Die SVP schimpfte umgehend in einer Stellungnahme, dass der Bund in Geheimverhandlungen die Ergebnisse quasi vorweg genommen habe und einen gemeinsamen Bericht mit der EU, der als vertraulich gilt, publizieren sollte.
Die betroffenen Departemente sind zudem fest in SVP-Hand und die SVP-Bundesräte Guy Parmelin und Albert Rösti werden keine Finger krumm machen, dass sich die Schweiz zu rasch und zu stark an Brüssel angenähert.
Der Bundesrat hält sich mit seinem Vorgehen wieder einmal alle Optionen offen. Einerseits wird die EU hingehalten und innenpolitisch sind die Gegner einer Annäherung an die EU andererseits auch beruhigt.
08.11.2023/kut.