Schweizer Forschern gelingt es, heilende Textilien zu entwickeln. Nun brauchen sie aber noch etwas Hilfe.
Die Schweiz ist für ihren Entwicklungsgeist weltberühmt.
Vom Sackmesser über Reissverschluss bis zu Nespresso-Kapseln sind nur einige Beispiele von Schweizer Erfindungen.
Altverfahren ungenau
Doch jetzt gelang es Schweizer Forschern, ein Problem aus der Medizin zu beheben.
Gängige lokale Verabreichungsmethoden von Medikamenten kommen nämlich an ihre Grenzen, wenn es darum geht, Wirkstoffe über längere Zeit präzise zu dosieren.
Sobald eine Salbe die Tube verlässt oder die Injektionsflüssigkeit aus der Spritze strömt, ist die Steuerung der Wirkstoffmenge nämlich kaum mehr möglich.
Medizinische Fasern
Wird eine Wunde oder Entzündung jedoch direkt am Ort der Entstehung behandelt, hat dies aber klare Vorteile: Der Wirkstoff ist sofort am Ziel, und Nebenwirkungen auf unbeteiligte Körperteile entfallen.
Daher entwickelte Edith Perret aus dem Labor «Advanced Fibers» in St. Gallen nunmehr medizinische Fasern mit ganz besonderen «inneren Werten».
Die Polymerfasern umschliessen einen flüssigen Kern mit medizinischen Wirkstoffen, teilte die Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt Empa diese Woche voller Stolz mit.
Wundverbände mit Antibiotika
Dies seien «Flüssigkernfasern», die Medikamente in ihrem Inneren enthielten und sich zu medizinischen Textilien verarbeiten liessen, erklärte die Forschungseinrichtung weiter.
Die Anwendung der Erfindung wäre aber vielseitig.
Medizinische Produkte mit besonderen Fähigkeiten, wie chirurgisches Nahtmaterial, Wundverbände und Textilimplantate, die Schmerzmittel, Antibiotika oder Insulin präzise über einen längeren Zeitraum verabreichen können.
Angestrebt sei zudem eine individuelle Dosierbarkeit im Sinne einer personalisierten Medizin.
Heilende Pullover und T-Shirts
Zu den Vorteilen der Flüssigkernfasern gehört laut den Forschern auch die Möglichkeit, den Wirkstoff aus einem Reservoir über einen längeren Zeitraum freizusetzen.
Mit Durchmessern von 50 bis 200 Mikrometern seien die Fasern beispielsweise gross genug, um sie zu robusten Textilien zu weben oder zu stricken.
Heilende Haute Couture wird quasi Realität.
Die medizinischen Fasern könnten selbst ins Körperinnere geführt werden und dort Hormone wie Insulin abgeben, so Forscherin Perret. Heilende Textilien mit präziser Abgabe von Wirkstoffen wären sicher eine Weltsensation.
Lifestyle-Präparate denkbar
Ein weiterer Vorteil ist dabei, dass die Fasern, die ihr Medikament freigesetzt haben, erneut befüllt werden könnten.
Die Palette der Wirkstoffe, die mittels Flüssigkernfasern einfach, bequem und präzise verabreicht werden könnten, sei gross.
Neben Schmerzmitteln seien entzündungshemmende Medikamente, Antibiotika oder sogar Lifestyle-Präparate denkbar.
Dies wäre eventuell eine praktische Lösung im Boom von Abnehmmedikamenten, über den muula.ch unlängst berichtete.
Suche klinischer Partner
Doch nun sind die St.Galler-Forscher selbst auf Hilfe angewiesen. In einem nächsten Schritt wollen sie chirurgisches Nahtmaterial mit antimikrobiellen Eigenschaften ausstatten.
Mit dem neuen Verfahren sollen verschiedene Flüssigkernmaterialen mit medizinischen Wirkstoffen befüllt werden, um Gewebe bei einer Operation so zu vernähen, dass Wundkeime keine Chance haben, eine Infektion auszulösen.
Daher sind die Empa-Forscher auf der Suche nach klinischen Partnern, um die Basis für weitere innovative klinische Anwendungen zu finden.
Die Palette von Schweizer Erfindungen ist gross. Nun kommt also heilende Wunderkleidung hinzu.
29.06.2024/kut.